In Baden-Württemberg wurde die Zahl der Polizeistunden beim Fußball drastisch reduziert. Kann das ein Modell für ganz Deutschland sein?
Vor knapp zwei Wochen empfing der SV Babelsberg den FC Rot-Weiß Erfurt zum letzten Heimspiel der Saison. Das Spiel war für beide Mannschaften sportlich weitgehend bedeutungslos, die Gastgeber verabschiedeten ihren Trainer und den Leiter der Geschäftsstelle. Ein paar Tränen flossen, im hübschen Karl-Liebknecht-Stadion in Potsdam schauten 2.609 Zuschauer zu.
Beaufsichtigt wurden sie von 220 Polizisten, was wohl damit zu erklären war, dass es in Babelsberg oft ein hohes Aggressionspotenzial gegenüber der als links geltenden heimischen Fanszene von Fans einiger Gastmannschaften gibt, die sich politisch als rechts verstehen. An jenem sonnigen Sonntagnachmittag gab es jedoch keine erwähnenswerte Vorfälle – vielleicht auch Dank des Polizeieinsatzes.
Wie aufwändig müssen Polizeieinsätze sein?
In den letzten Monaten ist viel über die Polizeikosten debattiert worden. Das Bundesland Bremen hat beim Bundesverwaltungsgericht durchgesetzt, dass der SV Werder sich bei Hochrisikospielen an den Polizeikosten beteiligen muss. Rheinland-Pfalz und das Saarland wollen einen ähnlichen Weg bestreiten. Andere Bundesländer sind dagegen. Aber wenn die Vereine zahlen müssen, leitet sich für sie eine interessante Frage an die Polizei ab: Wann ist ein Spiel eigentlich ein Hochrisikospiel, und wie aufwändig müssen Polizeieinsätze überhaupt sein?
Anfang April spielte der VfB Stuttgart gegen den 1.FC Nürnberg in einem vorentscheidenden Spiel gegen den Abstieg. Das Stadion war mit 58.757 Zuschauern ausverkauft, mehr als ein Zehntel der Zuschauer begleitete den Club, darunter eine große Gruppe aktiver Fans. Auch bei diesem Spiel gab es, vermutlich auch Dank des Einsatzes der Polizei, keine nennenswerten Ausschreitungen. In vergangenen Jahren galt die Partie Stuttgart gegen Nürnberg immer als Hochrisikospiel, und es wurden rund 500 Beamte eingesetzt. Diesmal war es trotz der sportlichen Zuspitzung nicht so, es wurde mit rund 250 Beamten sicher über die Bühne gebracht.
„Die Zahlen der Delikte beim Fußball sind ausgesprochen gering“
Nun werden Spezialisten für Polizeieinsätze möglicherweise eine Begründung dafür finden, warum in Babelsberg ein Polizist auf zehn Zuschauer kam und in Stuttgart einer auf 236 Zuschauer. Es geht hier auch gar nicht darum, der Polizei in Potsdam eine Verschwendung von Ressourcen vorzuwerfen. Der Vergleich belegt nur, wie viel Spielraum bei Polizeieinsätzen ist – und bei ihren Kosten.
Das zeigte sich auch, als wir Uwe Stahlmann für ein Interview in der aktuellen Ausgabe von 11FREUNDE trafen. Es ist selten, dass sich Polizeiführer im Zusammenhang mit Fußballeinsätzen anders als alarmistisch äußern. Insofern sind die Aussagen des Leiters der Landesinformationsstelle Polizeieinsätze im baden-württembergischen Innenministerium besonders spektakulär.
Stahlmann zeichnete kein Bild von Fußballstadien als Orten kaum zu bändigender Gewaltexzesse, sondern sagte ganz im Gegenteil: „Die Zahlen der Delikte beim Fußball sind ausgesprochen niedrig.“ Es gäbe in Baden-Württemberg im Durchschnitt pro Spiel der ersten und zweiten Bundesliga im Schnitt weniger als eine verletzte Person und nicht mal fünf Straftaten. Das sei etwa deutlich weniger als bei großen Rockfestivals oder Volksfesten. Dass es anders wahrgenommen wäre, bezeichnete er als Ausdruck einer „medialen Lage“. Wenn etwas passiert werde es oft völlig übertrieben dargestellt.
Der Polizei in Baden-Württemberg ist es von der vorletzten Saison auf die letzte gelungen, die Einsatzstunden der Beamten beim Fußball um über 20 Prozent zu reduzieren. In der gerade zu Ende gehenden Saison werden sie noch einmal deutlich zurückgehen. Das liegt vor allem an den so genannten Stadionallianzen, in Rahmen derer alle eng zusammenarbeiten, die beim Fußball um Sicherheit bemüht sind, von der Polizei über die Klubs bis zu den Fanbeauftragten.
Im Austausch mit den Experten für die Fanszene wurde etwa klar, dass es zwischen Stuttgarter und Nürnberger Fans keine außergewöhnliche Rivalität gibt, die das Label „Hochrisikospiel“ verdient. Auch andernorts, bis hinunter in die Oberliga wurde genauer auf den Einzelfall geschaut. Beim Spiel zwischen Hoffenheim und Leverkusen in der vergangenen Saison wurde mit nur 65 eingesetzten Beamten sogar eine Art Minusrekord aufgestellt.
„Es geht uns nicht ums Geld.“
Die Diskussion über Polizeieinsätze wird oft von Scharfmachern bestimmt. So brauchte Stahlmann als Beamter im Innenministerium für ein neues Konzept wie die Stadionallianzen ein stabiles politisches Mandat. Das hat er vom baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU) bekommen, und es geht dabei nicht um einen Kuschelkurs.
Die Polizei versucht sich auch nicht als Fanversteher zu profilieren, was das Konzept sogar noch interessanter macht. Letztlich geht es nämlich um schlichtweg pragmatische Überlegungen. Dem Bundesland fehlen Polizeibeamte, wie übrigens auch anderen Bundesländern. „Es geht uns nicht ums Geld. Das bringt uns keinen einzigen Beamten mehr, wir benötigen die Beamten an anderer Stelle als beim Fußball“, sagte Stahlmann.
Die Vision: Fußball ohne Polizei
Auch weil die Zahl der Einsatzstunden bei der baden-württembergischen Polizei beim Fußball reduziert werden konnte, verbesserte sich die Aufklärungsquote bei Wohnungseinbrüchen. Oder zugespitzt gesagt: Statt beim Fußball mit aufgeblasenen Einsätzen ihre Zeit zu verplempern, konnten die Beamten dort arbeiten, wo es wirklich nötig war.
„Fußball ohne Polizei, das ist die Vision. Und sei es allein, um darüber nachzudenken, denn das schafft ganz neue Perspektiven“, sagte Stahlmann noch. Mitte Juni bei der Konferenz der Innenminister der Bundesländer wird sich zeigen, wie offen für neue Perspektiven Strobls Kollegen jenseits von Baden-Württemberg sind.
Das komplette Interview mit Uwe Stahlmann über „unsichtbare Polizisten“, Überlegungen zur Pyrotechnik und wie man es schafft, über Stadionallianzen Vertrauen aufzubauen, gibt es in der aktuellen Ausgabe von 11FREUNDE.