Im Februar 1987 stellte sich der „Kicker“ vor, wie die Bundesliga um die Jahrtausendwende aussehen könnte. Eine Vision, die erstaunlich viel Wahres beinhaltete. Und absurden Quatsch.
„Maurizio Gaudino köpft das Leder ins Aus. Knapp hinter der Mittellinie landet der Ball hinter der Bande. Der 34-Jährige Kapitän der Nationalelf und Star von BMW München sprintet hinterher. Nicht, weil er es so eilig hätte. Nein, er hat auch noch Augen für anderes. Für die hübsche Blondine etwa, die dort im Schalensessel mit den Hydrauliklehnen thront. Ihr Name: Ariane Schneider. Ihre Aufgabe: Oberschiedsrichterin. Zwei Monitore hat sie vor sich auf ihrem Schaltpult.“
So beginnt ein Artikel des „Kicker“ vom 2. Februar 1987. Der Gedanke dahinter: Eine Utopie der Bundesliga, eine Phantasie darüber, wie des Deutschen liebstes Kind im Jahr 2000 aussehen könnte.
Brusthaare statt Ramelow
Nun ist das Jahr 2000 auch schon wieder blasse Erinnerung, liegt weiter zurück, als es 1987 noch voraus lag. Und so willkürlich der Blick zurück in genau diesem Moment, an diesem Tag, erscheinen mag, so spannend und unterhaltsam ist er zugleich. Welche Entwicklungen haben die Auguren des „Kicker“ richtig vorausgeahnt? Und worin lagen sie komplett daneben?
Es beginnt mit Maurizio Gaudino. Nationalmannschaftskapitän? Knapp vorbei. Wobei das weniger am mangelnden Sachverstand des zuständigen „Kicker“-Redakteurs liegt, als vielmehr am Unrecht der Welt. Denn natürlich hätte Gaudino es in den Beinen gehabt. Und was für eine schöne Vorstellung: Die deutsche Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2000, angeführt von deutsch-italienischer Grandezza. Brusthaare statt Ramelow.
4711 Köln gegen BMW München
Und auch der eingangs angedeutete Videobeweis ist ja längst überfällig. Nur eben auch noch immer nicht Realität. Im Jahr 1987 vermutet ihn der „Kicker“ so: „Schiri Förster hatte zwar auf Tor erkannt, doch Ariane Schneider (…) hat von ihrem Einspruchsrecht Gebrauch gemacht. (…) Der Treffer wird annulliert.“
Weiter im Text, in der nun eine Familie durch ihren typischen Stadionbesuch geführt wird. Zunächst ist der Vater dran: „Sein erster Weg führt zum Wettcounter. Dort hat er sich verabredet. Walter wartet schon. Nach dem ›Hallo‹ beginnt die Fachsimpelei. ›Wetten, dass der Witeczek das erste Tor schießt?‹ Die Kreditkarte wird über den Counter geschoben. Zwanzig Mark Mindesteinsatz. Walter hält dagegen, setzt aufs Ergebnis bei diesem Spitzenspiel zwischen 4711 Köln und BMW München, auf die erste gelbe Karte, das erste Foul.“
Was sagt man dazu? Treffer versenkt! Konnte ja im Jahr 1987 niemand ahnen, dass der Kapitalismus ausgerechnet im Osten zum Kahlschlag der Fußball-Kultur ansetzt.
Dann wendet sich die Zukunftsvision dem eigentlichen Spielgeschehen zu. An der Brust des Schiedsrichters „baumelt ein drahtloses Mikrofon, an den Stadionlautsprecher gekoppelt.“ Fast, möchte man meinen und zugleich anerkennend den Hut ziehen. Die Headsets der Unparteiischen sind schließlich längst etabliert.
Überhaupt hat der Text trotz schrulliger Details einiges an hellseherischer Qualität zu bieten. Die Namen der Stadien sind an Firmen verkauft, die Arenen mit Dächern versehen, die bei schlechtem Wetter geschlossen werden können. Der Manager des DFB heißt Uli Hoeneß und fordert, was dank Bosman-Urteil zumindest in Teilen längst geschehen ist: Den Entfall von Ablösesummen. Jupp Heynckes als HSV-Trainer? Marokko als Vize-Weltmeister? Ein bisschen Schwund ist immer.
Ein schriller Piepston, der die Zuschauer wach hält
Gänzlich daneben liegt die Fantasie des „Kicker“ bei weiteren technischen Einfällen, die das Spiel fairer oder anschaulicher machen sollten. Auf „Elektroden in den Schienbeinschützern, die harte Aufschläge, also brutale Tritte des Gegners, anzeigen“ wartet Fußball-Deutschland bis dato ebenso vergeblich wie auf den „schrillen Piepston, der die 50.000 Zuschauer wach hält, wenn Bälle die Seiten- oder Torauslinie überschritten haben“, oder aber ein Spieler im Abseits steht. Vermutlich besser so.
Der Artikel endet, wie er beginnt. Mit Maurizio Gaudino, der nach Spielschluss in einen angeregten Disput mit Gegenüber Toni Schumacher geraten ist: „Arm in Arm ziehen sie von dannen, der Schumacher und der Gaudino. Man sieht sie in eine heftige Diskussion verstrickt mit Ariane Schneider, der ersten Oberschiedsrichterin der Bundesliga. Blond und blaue Augen, lila Bluse und heiße Shorts. Wer kann da schon nein sagen?“ Eben.