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Neymar hat den Bart sprießen lassen, was in Kom­bi­na­tion mit seinem blauen Mütz­chen eher lustig denn bedroh­lich wirkt, aber er ist ja auch nicht gekommen, um das Volk zu erschre­cken, ganz im Gegen­teil. Alles ist in Ord­nung, macht euch keine Sorgen um mich“, sagt der Mann, um den sich seit Tagen so ziem­lich alle Bra­si­lianer sorgen. Jeden­falls die, die sich für Fuß­ball inter­es­sieren und ihr see­li­sches Befinden mit dem Erfolg der Seleçao bra­sileira ver­knüpft haben. Sie sitzen in den Bars und Cafés von Rio, Sao Paulo oder Belo Hori­zonte und gut 1500 von ihnen stehen draußen vor den Toren des Mann­schafts­quar­tiers in Tere­so­polis und warten darauf, dass der Bus mit ihren Helden kommt.

Am Samstag hat die Nation so schwer gelitten wie lange nicht mehr. 120 Minuten plus Elf­me­ter­schießen. Neymar hat sie am Ende erlöst mit seinem finalen Elf­meter gegen Chile. Aber weil er danach kaum noch einen Schritt tun konnte und der Gang zum Mann­schaftsbus eine echte Her­aus­for­de­rung war, befand sich Bra­si­lien zuletzt im Zustand einer doch sehr ange­spannten Erleich­te­rung. Ein Glück, dass es geklappt hat mit dem Vier­tel­fi­nale. Aber was soll nur werden am Freitag in For­ta­leza gegen Kolum­bien, wenn Neymar nicht spielen kann?

Neymar lacht alle Sorgen mit einer Leich­tig­keit weg, wie er auf dem Platz auch jedes Pro­blem umdrib­belt. Ja, er hat ein paar Schläge abbe­kommen, aber das gehört dazu, es war ein span­nendes Spiel, und jetzt kommt das nächste“.

O Globo“ – der Retter der Nation

Vier Tage nach dem Spiel gegen Chile ist es ein anderer Neymar, der vor dem Abflug nach For­ta­leza vor die Kameras und Mikro­fone tritt und um Ver­trauen wirbt für das Pro­jekt Hexa­cam­peao, den fest ein­ge­planten Gewinn des sechsten WM-Titels. Am Samstag noch hatten die Kameras seine Tränen ein­ge­fangen und die von Julio Cesar. Der Tor­wart hatte sie schon ver­gossen, bevor es los­ging mit dem Elf­me­ter­schießen, in dem er zum Retter der Nation“ („O Globo“) auf­stieg.

Die Nation hat sich gern retten lassen, aber sie hat sich auch ein wenig irri­tiert und besorgt gefragt, ob die ver­meint­li­chen Retter nicht selbst gerettet werden müssen. Weil sie nerv­lich viel­leicht über­for­dert sind mit der Auf­gabe, die WM zu gewinnen und die Herzen der Lands­leute.

Im Zuge der öffent­li­chen Dis­kus­sion um über­teu­erte Sta­dien und man­gelnde Inves­ti­tionen in Gesund­heit und Bil­dung war das Land des Fuß­balls vor der WM auf Distanz zum Fuß­ball gegangen. Die Natio­nal­mann­schaft befand sich auf einmal in einem Pro­zess öffent­li­chen Lie­bes­ent­zuges, beschleu­nigt noch durch die zunächst beschei­denen Leis­tungen, und das könnte schon aufs Gemüt gehen.

Mit dem Drama von Belo Hori­zonte haben Volk und Mann­schaft wieder so nah zuein­an­der­ge­funden, als hätte es die Mani­festa­çoes, die gewal­tigen Pro­teste gegen die WM, nie gegeben. Des­wegen hat sich das Volk vor dem Abflug der Mann­schaft zum Vier­tel­fi­nale gegen Kolum­bien auf den Weg in die Berge gemacht. Nach Tere­so­polis, 900 Höhen­meter, 150 000 Ein­wohner, umstellt von den Orgel­bergen. Unter deren spek­ta­ku­lären Spitzen hat die Seleçao ihr WM-Camp auf­ge­schlagen.

Kaum einer der War­tenden, der nicht in Kana­ri­en­vo­gel­gelb gekleidet ist. Die bra­si­lia­ni­sche Farbe der Hoff­nung. Sol­daten und Poli­zisten patrouil­lieren. Eine Gruppe stimmt die bra­si­lia­ni­sche Hymne an: Ich bin Bra­si­lianer, mit viel Stolz, mit viel Liebe. Dann, end­lich, öffnet sich das Tor. Meu Deus! Neymar!

Ein biss­chen mehr Fuß­ball, ein biss­chen weniger Emo­tion

Ein Mäd­chen hält einen Zettel hoch: David Luiz, you make me strong.“ Fuß­ball­got­tes­dienst. Die Götter sitzen hinter Vor­hängen, sie tragen Kopf­hörer und Son­nen­brillen. Nichts hören, nichts sehen, nichts an sich her­an­lassen. Sie wissen, dass Begeis­te­rung, im Fuß­ball vor allem, immer nur die besser gelaunte Schwester der Erwar­tung ist. Denn am Ende sind jene, die jetzt noch weinen vor Glück, auch jene, die schreien werden vor Wut.

In diesem Sinne war auch Bra­si­liens Luiz Felipe Sco­lari zu ver­stehen mit seiner Mah­nung, er wün­sche sich ein biss­chen mehr Fuß­ball und ein biss­chen weniger Emo­tion. Ney­mars Ant­wort darauf fällt deut­lich aus. Nie­mand in der Mann­schaft hat ein emo­tio­nales Pro­blem“, aber Fuß­ball sei nun mal ein Geschäft der Lei­den­schaft, und das sollen am Freitag in For­ta­leza auch die Kolum­bianer zu spüren bekommen. Es ist dies für Neymar eine ganz per­sön­liche Aus­ein­an­der­set­zung mit James Rodri­guez. Kolum­biens Nummer zehn hat in vier WM-Spielen fünf Tore erzielt und damit eins mehr als Bra­si­liens Nummer zehn. Er ist ein groß­ar­tiger Spieler“, sagt Neymar, aber ich denke , dass sein Zyklus am Freitag zu Ende geht.“

Als der Bus längst aus der Stadt gefahren ist, steht vor dem Tor des Trai­nings­ge­ländes noch eine Fernseh-Repor­terin, sie richtet sich das Haar und sagt: Jedes Mal sind mehr Sicher­heits­kräfte hier, jedes Mal mehr Fans. Die Euphorie wird größer.“ In Tere­so­polis klingt das fast wie eine Dro­hung.