Ken Loach ist ein weltberühmter Filmregisseur, nun will er mit dem Sechstligisten Bath City FC den englischen Fußball revolutionieren. Für Ausgabe #167 haben wir ihn getroffen.
Ken Loach, Sie engagieren sich in Bath für die Übernahme des lokalen Fußballklubs, wie groß ist generell Ihr Interesse an Fußball?
Ich habe immer gerne Fußball geschaut und war Fan der Mannschaft des Ortes, wo ich gerade gelebt habe. Anstatt Fan einer großen Mannschaft von irgendwo zu sein, die man nicht sehen kann. Es geht doch darum, die eigene Mannschaft jeden zweiten Samstag zu sehen – und zwar live im Stadion. Also gab es in meinem Leben drei Mannschaften. Zunächst mal die aus Nuneateon, wo ich geboren wurde. Als wir später für etwas mehr als zehn Jahre in London gewohnt haben, bin ich zu Fulham gegangen. Ein netter Klub mit einem schönen Stadion, der damals gerade eine große Zeit hatte. 1974 sind wir nach Bath gezogen, und eigentlich wollte ich da keinem Team mehr folgen.
Warum nicht?
Der Schmerz ist immer größer als das Vergnügen. Aber dann stellte ich fest, dass Samstagnachmittage einfach nicht dasselbe waren, wenn man nicht zum Fußball geht und ich fing wieder damit an. Tja, das war vor mehr als 40 Jahren. Seitdem gehe zu jedem Spiel von Bath City FC, wenn ich in der Stadt bin.
Wie ist das Leben eines Klubs in der sechsten Liga in England?
Der Fußball ist nicht schlecht, denn die meisten Spieler sind ehemalige Profis und die Jungen könnten welche werden. Der Wunsch, gewinnen zu wollen, ist genauso groß wie in höheren Ligen. Aber die Zuschauerzahlen schrumpfen, weil viele junge Leute Fußball nur noch auf dem Fernseher oder am Computer verfolgen. Sie sagen, dass sie Fans von Manchester United, Arsenal oder Chelsea sind, aber sie sehen ihre Mannschaften nicht mehr im Stadion. Zugleich wird es für uns immer schwieriger, die Zuschauerzahlen von früher zu bekommen.
Warum wollen Sie den Klub seinen bisherigen Besitzern abkaufen und in einen Mitgliederverein verwandeln?
Das würde die Persönlichkeit des Klubs fundamental verwandeln. Bislang gehört er wenigen, die nicht mehr wollen, als einfach nur jeden Samstag eine Mannschaft auf den Platz schicken. Dazu stopfen sie mit ihrem eigenen Geld Löcher, wenn Zuschauer- oder Sponsoreneinnahmen nicht ausreichen. Anstatt dessen hätten wir breiter gestreuten Besitz unter demokratischer Kontrolle. Außerdem würde der Klub zu einem Zentrum für lokale Aktivitäten, von denen Fußball nur ein Teil wäre.
Sind das für England, wo Fußballklubs immer eher Unternehmen als Vereine waren, nicht ungewöhnliche Ideen?
Das stimmt, aber oft haben Fußballklubs als Arbeiterklubs angefangen. Manchester United begann als ein Klub, in dem Bahnarbeiter Fußball gespielt haben und wurde erst nach einigen Jahren von Geschäftsleuten übernommen. Heute gehören sie Oligarchen, die damit ihre Eitelkeit befriedigen. Vielen geht es nicht einmal mehr darum, Geld zu verdienen, sondern um ihren Machismo. Die Klubs sind das Spielzeug der Superreichen. Aber es gibt auch Gegenbeispiele wie FC United of Manchester, AFC Wimbledon oder den FC Portsmouth, wir sind also nicht die ersten.
Die Klubbesitzer in Bath sind keine Oligarchen oder Superreiche, sondern einfache Leute, die vielleicht sogar froh wären, wenn sie den Klub loswürden.
Ja, es gibt hier keinen offensichtlichen Bösewicht, das sind nette Leute. Aber das Modell von Vereinen im Privatbesitz funktioniert einfach nicht. Wir machen jede Saison einfach nur immer mehr Schulden. Deshalb müssen wir das Netz weiter spannen. Wenn die Leute einen kleinen Anteil kaufen können, haben sie das Gefühl, dass es ihr Klub ist und entwickeln stärkere Loyalität.
Sie sind immer ein politisch denkender und handelnder Filmemacher gewesen. Wie politisch ist diese Initiative?
Natürlich ist sie politisch, denn es ist an der Zeit, eine Alternative zum Modell des Privatunternehmens zu setzen. Der Fußballklub muss eine Kooperative sein, das ist ein sowohl politisches wie auch wirtschaftliches Konzept.
Wollen Sie beweisen, dass Fußball anders funktionieren kann als in der Premier League?
Absolut, Fußball kann anders sein. Es ist ein Sport, warum sollte er Leute reich machen? Es ist ein Sport, und warum sollten wir nicht von dem Interesse und der Loyalität profitieren, das die Leute mitbringen? Es gibt eine Stiftung für Behinderte, die Fußball spielen, die mit dem Bath City FC verbunden ist. Ähnliches gilt für Jugendfußball und Frauenfußball. Aber davon könnte es noch viel mehr geben, wenn es dem Klub nicht nur angehängt wäre, sondern zentral für seinen Ethos wäre.
Aber gibt es im englischen Fußball überhaupt noch Platz für kleine Klubs wie Bath City?
Absolut. Dass wir so niedrige Zuschauerzahlen haben, bedeutet nicht, dass die Leute sich hier nicht für Fußball interessieren. Der Kampf geht darum, dass sie sich die Spiele wieder im Stadion anschauen, statt elektronisch. Die Premier League quetscht das Leben aus den kleineren Klubs, weil ihre Medienpräsenz so groß ist. Dabei verpassen die Leute so viel. Die Identifikation mit der Mannschaft vor Ort und mit Spielern aus der Stadt ist doch eine wesentlich persönlichere und menschlichere Erfahrung als ein Trikot von Messi zu kaufen.
Gab es mal eine Zeit, in der sie von der Entwicklung des Fußballs total frustriert waren?
Ach nein, im Grunde nicht. Man versteht doch den Prozess, dass es um Kommerz geht. Es ist Kapitalismus, oder? Es ist ein klassisches Zeitalter des Kapitalismus. Die größeren Organisationen tendieren dazu Monopole zu schaffen. Sie bekommen die besten Spieler, sind noch erfolgreicher, bekommen noch mehr Geld und noch bessere Spieler nicht nur aus Großbritannien, sondern aus der ganzen Welt. Also verkaufen sie noch bessere Senderechte.
Wohin führt das Ihrer Meinung nach?
Wir haben keine Premier League aus 20 Vereinen mehr, sondern nur noch eine Liga aus vier oder fünf Klubs, die den Titel unter sich ausmachen. Aber die Tendenz zum Monopol gibt es nicht nur bei den Klubs, sondern auch bei den Ligen, also etwa zwischen der Premier League und der Bundesliga. Die Ironie des Kapitalismus ist: Wettbewerb tötet Wettbewerb, denn Wettbewerb führt zum Monopol. Wenn man das mal verstanden hat, geht es nicht mehr um Frustration, sondern darum, einen anderen Weg einzuschlagen. Die Revolution fängt bei Bath City an.
Kann das Konzept eines Mitgliederklubs in England sportlich zum Erfolg führen oder ist das für Sie zweitrangig?
Das geht Hand in Hand. Dadurch, dass der Klub mit der Stadt besser verbunden ist, kommen auch mehr Leute und man bekommt bessere Spieler. Statt der bisherigen Abwärts- bekommt man dann eine Aufwärtsspirale.
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Ken Loach, 79, ist ein britischer Regisseur und Drehbuchautor. 2009 drehte er (mit Eric Cantona in der Hauptrolle) den viel beachteten Film „Looking for Eric“. In unserer aktuellen Ausgabe 11FREUNDE #167 findet ihr eine große Reportage über Loach und den Klub Bath City FC. Jetzt im Handel, im 11FREUNDE-Shop oder im App-Store.