55 Grad Außentemperatur, 90 % Luftfeuchtigkeit: Eine WM im Sommer 2022 ist undenkbar ohne Kühltechnik. Katar preist seine klimatisierten Arenen und Fanzonen an. Doch wie soll das gehen?
Ohnehin nehmen sie es mit der Ökologie nicht so genau in Katar: Wegen seiner Erdöl- und Erdgasvorkommen ist das Emirat zwar eines der reichsten Länder der Welt, durch die CO2-intensive Gasförderung aber auch einer der größten Klimasünder des Planeten. Die lächerlichen Benzinpreise von 16 Cent pro Liter in Verbindung mit einer hohen Anzahl zugelassener Autos tragen ihren Teil dazu bei, aber das ist eine andere Geschichte.
Sieben von acht WM-Arenen warten auf ihren ersten Spatenstich
Fährt man dorthin, wo einmal neue Wunderarenen stehen sollen, in die Wüste, ist dort wenig mehr zu sehen als planierter Sand. Im Moment herrscht auf den meisten Baustellen noch Stillstand: Sieben von acht WM-Arenen warten auf ihren ersten Spatenstich. Bislang haben die Planer die neue Kühltechnologie nur im kleinen Rahmen erprobt: Sie ließen ein Mini-Stadion für 500 Besucher bauen. „All unsere Modelle zeigen, dass die Technologie funktioniert“, sagt OK-Chef Nasser al Khater. „Jetzt müssen wir sie auf die WM-Arenen erweitern.“ Im Durchschnitt sollen die Stadien 50 000 Besuchern Platz bieten.
Zudem müssen die Organisatoren öffentliche Plätze für tausende Besucher aus aller Welt herrichten. Geplant sind klimatisierte Zelte für bis zu 1500 Fans. Die Fanzonen für Public Viewing versprühen den Charme eines Kongresszentrums: Stuhlreihen, gedämpftes Licht, dutzende Leinwände. Bei der Handball-WM im Januar kamen sie kürzlich erstmals zum Einsatz, wirklich genutzt hat sie aber kaum jemand. War ja auch Winter und angenehm mild draußen. Eigentlich bestes Fußballwetter.
Im Sommer sind gekühlte Orte umso wichtiger. Und nicht ungefährlich. Welcher westliche Mensch kann schon von sich behaupten, einmal in Sekunden von 50 Grad Außen- auf 25 Grad Innentemperatur abgekühlt worden zu sein?
Eingewöhnungszeit: zwei Wochen
„Die größte Herausforderung für den Körper besteht darin, einen Wechselschock zu vermeiden“, sagt Markus de Marées von der Deutschen Sporthochschule Köln. Beim ständigen Hin und Her zwischen klimatisierten und nicht klimatisierten Räumen dürften Fans eher an ihre Grenzen stoßen als der wohlbehütete Herr Nationalspieler, der vom Hotel aus mit dem Bus ins Stadion kutschiert wird. Sportlich rät de Marées jedem, pünktlich anzureisen. „Körperliche Probleme lassen sich bei einer Eingewöhnungszeit von etwa zwei Wochen vor Ort verhindern oder zumindest minimieren“, sagt der Sportmediziner.
Ein weiterer wichtiger Faktor lässt sich hingegen kaum beeinflussen: die enorme Luftfeuchtigkeit. „Der Schweiß des Sportlers kann auf der Haut nur verdampfen und kühlen, wenn die Luft noch Feuchtigkeit aufnehmen kann“, sagt de Marées. Ansonsten tropft der Schweiß einfach auf den Boden. Die Gefahr, dass der Körper irgendwann kollabiert, steigt damit. Angesichts der absehbaren Luftfeuchtigkeit von über 90 Prozent im Sommer wird eine Verbot der Gastgeber so beinahe zur Rettung: Bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen wird, wie in Katar üblich, öffentlich kein Alkohol ausgeschenkt. Auch wenn Bier vordergründig den Durst löscht, würde es die Fans innerlich noch mehr austrocknen.
Stellen Sie sich vor, es ist also 2022, und Sie kommen nach Katar. Fahren Sie in die Wüste, um sich von umgewandelter Sonnenenergie kühlen zu lassen? Riskieren Sie eine Klimaanlagen-Erkältung und verzichten auf das Bier zum Spiel? Oder drehen Sie am Terminal direkt wieder um? Der heimische Garten ruft. Der ist nicht modern, aber gut fürs Klima.