Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Bis­weilen gibt es Urteile, die den Fuß­ball ver­än­dern. Das Bosman-Urteil war so eines, anschlie­ßend brach das euro­päi­sche System der Ablö­se­summen in sich zusammen. Im Frühsom­mer 2019 ist nun ein Urteil gespro­chen worden, das den Fuß­ball eben­falls tief­grei­fend ver­än­dern könnte, diesmal nicht auf dem Rasen, son­dern auf den Rängen. Anhänger von Borussia Dort­mund wurden zu Geld­strafen ver­ur­teilt, weil sie beim BVB-Aus­wärts­spiel in der Saison 2017/18 Dietmar Hopp als Sohn einer Hure“ besungen hatten. Der Hof­fen­heimer Boss hatte einige Monate später Straf­an­trag gestellt, am Ende wurde ins­ge­samt gegen fast 50 BVB-Fans ermit­telt und drei Anhänger in einem merk­wür­digen Ver­fahren voller juris­ti­scher Stock­fehler ver­ur­teilt. Um all die Merk­wür­dig­keiten des Pro­zesses auf­zu­zählen, reicht der Platz dieser Kolumne nicht aus. Sei es der bizarre Auf­wand, der zuvor von den Ermitt­lern betrieben wurde; allein sechs Wochen saß ein Sach­be­ar­beiter an der

Ana­lyse der Video­auf­nahmen. Oder die Wei­ge­rung des Gerichts, Dietmar Hopp als Zeugen zu befragen, es befand sich nicht einmal eine ladungs­fä­hige Adresse in den Akten, so dass die Ver­tei­diger ihre Vor­la­dung mit sub­ku­taner Bos­haf­tig­keit an Hopps Golf­klub schickten. Ganz offen­kundig war die Ver­hand­lungs­füh­rung des Gerichts darauf aus­ge­legt, den großen Mäzen der Region nicht mit sol­chen Peti­tessen wie einem Gerichts­pro­zess zu moles­tieren, obwohl der ohne seine Initia­tive gar nicht erst zustande gekommen wäre.

Man kann diesen Pro­zess als Pro­vinz­posse abtun, als gut orches­trierten und von seinem Medi­en­an­walt Chris­toph Schi­ckardt vor­an­ge­trie­benen Rache­feldzug eines Mannes, der zuvor immer lässig ver­kündet hatte, die Schmä­hungen in den Sta-dien prallten an ihm ab. Dann aber würde man die Signal­wir­kung eines sol­chen Urteils unter­schätzen, das ein ent­schei­dender Schritt hin zur Domes­ti­zie­rung der Fan­kurven ist, hin zum Fuß­ball, den sich die Hopps und Schick­hardts dieser Fuß­ball­welt wün­schen. Ein Fuß­ball, bei dem die Zuschauer brav auf den Scha­len­sitzen hocken, allen­falls bei Toren auf­springen und die Welle schon für ent­fes­selte süd­län­di­sche Stim­mung halten. Denn wenn Fan­blöcke mit Richt­mi­kro­fonen abge­hört und mit hoch­auf­lö­senden Kameras über­wacht werden, und wenn im Sta­di­on­kon­text seit Jahr­zehnten übliche Schmä­hungen plötz­lich zu Straf­tat­be­ständen werden, dann muss end­lich nicht nur das Gefasel von den Sta­dien als rechts­freie Räume ein Ende finden, son­dern auch Abschied genommen werden von der Vor­stel­lung, die Fan­blöcke in den Sta­dien seien noch ein Ort, an dem sich Emo­tionen Bahn bre­chen können, an dem tra­di­tio­nelle Fan­kultur gelebt werden kann.

Atmo­sphäre wie bei Musi­cal­auf­füh­rungen?

Wer nun abwinkt und von den Anhän­gern in der Kurve for­dert, sich ein­fach mehr zusam­men­zu­reißen und auf per­sön­liche Belei­di­gungen zu ver­zichten, macht es sich zu ein­fach. Denn derlei Gerichts­ver­fahren sind nur ein kleiner Teil der viel­fäl­tigen Bemü­hungen des Fuß­bal­lestab­lish­ments, end­lich die reni­tenten Fan­blöcke unter Kon­trolle zu bekommen, deren Pro­teste seit jeher die Geschäfte mit dem Fuß­ball ver­miesen. Zu diesen Bemü­hungen gehören die durch­schau­baren Ver­suche, die Pyro­technik zum Gewalt­ver­bre­chen hoch­zu­stufen ebenso wie die hane­bü­chene Legende von ver­meint­li­chen Ultra-Strip­pen­zie­hern in der Ver­eins­po­litik. Am Ende soll in Fuß­ball­sta­dien eine Atmo­sphäre herr­schen wie bei Musi­cal­auf­füh­rungen, asep­ti­sche Unter­hal­tung für die ganze Familie.

Dabei gehen die Leute ja gerade wegen der Fans ins Sta­dion. Fas­zi­niert starren die Zuschauer auf den Sitz­platz­tri­bünen hin­über in die Kurven, wo Fahnen geschwenkt werden und die Gesänge aufs Spiel­feld hin­un­ter­don­nern. Zu glauben, dass es das alles noch geben wird, nachdem man die aktiven Anhänger nur lange genug durch Über­wa­chung, Repres­sion und Benimm­schule kujo­niert hat, ist völlig wirk­lich­keits­fremd. Wer leben­dige, bunte und selbst­be­wusste Kurven will, muss ihnen Frei­raum geben, Frei­raum für krea­tive und humor­volle Aktionen, aber auch für kon­fron­ta­tive und bis­weilen auch rät­sel­hafte Vor­gänge. Fan­blöcke sind immer Orte der Jugend­kultur gewesen, Orte des Aus­pro­bie­rens und der gele­gent­li­chen Grenz­über­schrei­tung. Für die Tole­ranz, die die anderen Zuschauer dafür auf­ge­bracht haben, wurden sie immer belohnt, durch fas­zi­nie­rende Gesänge, tolle Cho­reo­gra­fien und vieles mehr. Von der Wild­heit frü­herer Zeiten ist ohnehin nicht mehr viel geblieben, der pro­le­ta­ri­sche Mix aus Gesängen, Alkohol und Schlä­ge­reien kommt heute ohnehin schon sehr zivi­li­siert daher. Man kann die Fan­blöcke nun noch weiter drang­sa­lieren, über­wa­chen, mit Gerichts­ver­fahren über­ziehen. Nur wird es dann nie­manden mehr geben, der Gesänge anstimmt und Fahnen schwenkt.