Sie nannten ihn „Pitbull“: Stig Tøfting über die Faszination von Rockergangs, seine Schwäche für Provokationen und das Gefühl von Freiheit.
Kurz nach dem Tod Ihres Sohnes, im Sommer 2003, traten Sie Ihre viermonatige Haftstrafe an. Hat Ihre Familie nicht darunter gelitten?
Es machte uns nur stärker. Wir waren uns einig, dass ich die Haftstrafe antrete. Ich musste endlich raus aus der Öffentlichkeit. Die Sache mit der Kirche war nur die Spitze des Eisbergs. Ich sah in unserer Straße damals täglich Fotografen und Journalisten, die im Gebüsch lagen und die nächste heiße Story erhofften.
Hatten Sie Angst vor dem Gefängnis?
Nein.
Wie war es denn dort?
Nicht schlimm. Ein offener Vollzug, ein bisschen wie ein Trainingslager mit dem HSV. Ich hatte auf meinem Zimmer Fernseher, DVD-Player, Telefon und einen Ergometer. Ich konnte wunderbar trainieren, sogar während ich Rasen mähte.
Sie mähten Rasen?
Ja, das war meine Arbeit. Täglich von 8 bis 15 Uhr. Und jede Stunde habe ich eine kurze Pause eingelegt und 50 Liegestütze gemacht.
Haben Sie in der Zeit an Fußball gedacht?
Klar, ich wollte zurück. Es war immer schon so, dass mich die Geschichten von Typen faszinierten, die sich von ganz unten nach ganz oben kämpfen …
… die auf die Barrikaden gehen …
Typen, die mit dem Rücken zur Wand stehen. Filmhelden wie Rocky Balboa. Und wie es der Zufall so wollte, rief mein alter HSV-Mitspieler und Freund Jörg Albertz kurz vor meiner Entlassung an.
Wieso?
Er spielte für Shanghai Shenhua und wollte mich nach China holen. Der Verein Tianjin Teda zeigte Interesse. Ich sagte zu und durfte die letzten zwei Wochen meiner Haftstrafe aufschieben.
Vor Ihrem Gefängnisaufenthalt spielten Sie für die Bolton Wanderers, danach ging es nach China. War Ihre Karriere eine Flucht?
China war vor allem der richtige Schritt. Die dänischen Journalisten, die nur auf meine Entlassung warteten, reisten mir jedenfalls nicht hinterher, und jedes Mal, wenn ein dänischer Zeitungsheini bei Tianjin Teda anrief, sagte unser Pressesprecher: „Sorry, no english!“
Das 1,76 Meter große Kraftpaket wurde am 14. August 1969 in Hørning geboren. Vom Stammverein Aarhus GF startete er eine Karriere, die ihn u.a. zum HSV (1993−95, 2000-02), zum MSV Duisburg (1997−2000), zu den Bolton Wanderers (2002−04) und zum chinesischen Klub Tijanin Teda (2004−05) führte. Tøfting spielte insgesamt 41 Mal für Dänemark. Gemeinsam mit Thomas Gravesen bildete er die Mittelfeldachse im Nationalteam. Einzig die großen Titel fehlen in seiner Karriere. Später arbeitete er als Co-Trainer bei Aarhus GF. In der Freizeit verdingt er sich auch als Boxer.
Und Bolton?
Bolton war ein Fehler. Ich hatte zuvor beim HSV gespielt. Jedes zweite Wochenende kamen über 50 000 Fans ins Stadion. Ich konnte außerdem nach jedem Spiel in meine Heimat Aarhus fahren, das nur drei Autostunden entfernt liegt.
Wenn Sie heute ins Volksparkstadion gehen und auf den Rasen blicken: Welches Spiel läuft vor Ihrem inneren Auge ab?
Das grandiose Champions-League-Spiel gegen Juventus Turin aus dem Spätsommer 2000.
Der HSV führte bis kurz vor Schluss 4:3, in der 88. Minute traf Filippo Inzaghi per Elfmeter zum 4:4. Fühlte sich das Spiel wie eine Niederlage an?
Im Gegenteil: Es war mein größter Sieg. Bis dahin war ich nur Ergänzungsspieler. Doch nachdem ich in der 27. Minute für den verletzten Martin Groth ins Spiel kam, rannte ich um mein Leben. Ein Wahnsinnsgefühl.
Können Sie das beschreiben?
In meinem Leben ist mir viel Schlechtes widerfahren, der Tod meiner Eltern, der Tod meines Sohnes, der Gefängnisaufenthalt. Doch immer, wenn ich Fußball spielte, spürte ich eine große Freiheit. Das Leben fühlte sich mit einem Mal so herrlich leicht an. So in etwa war es auch im Spiel gegen Juventus Turin.
Sie spielten bereits von 1993 bis 1995 für den HSV. Damals machten Sie nur acht Spiele und wurden von den Fans und der Presse als Flop abgestempelt. Was lief damals schief?
Bei meinem ersten Wechsel war ich schlichtweg zu jung.
War der Druck zu hoch?
Das nicht. Ich war vielleicht zu nervös. Das fing schon in der Verhandlungsphase an, schließlich fragte nicht irgendein Verein an, sondern der große HSV. Für den hatte einst der Däne Lars Bastrup gespielt und 1983 den Landesmeistercup gewonnen. Ich wäre für ein Paar Fußballschuhe und eine Unterkunft gewechselt. Zum Glück führte ich nicht die Verhandlungen.
Die Nervosität wirkte sich aber auf die sportlichen Leistungen aus?
Das Problem war, dass ich von Anfang an auf einer Position spielte, die ich nicht kannte: hinten rechts. Zudem war ich der vierte Ausländer im Team. Ich kam nicht zum Zug.
Was hatte man Ihnen denn versprochen?
Eine Position im defensiven oder offensiven Mittelfeld. Zudem versprachen mir Trainer und Verantwortliche immer wieder, dass sie keine neuen Ausländer verpflichten wollten. Wenn ich dann aus der Winter- oder Sommerpause heimkehrte, musste ich mir allerdings stets anhören: „Es tut uns leid, Stig, aber wir konnten zu dem Spieler unmöglich Nein sagen.“ Es kamen Sergio Zarate, Valdas Ivanauskas und Niklas Kindvall.
War der zweite Anlauf beim HSV eine Genugtuung?
Als ich 2000 zurückkehrte, war alles anders. Und klar, es war gut, den Hamburgern zu zeigen, dass ich doch Fußball spielen konnte.