Sie nannten ihn „Pitbull“: Stig Tøfting über die Faszination von Rockergangs, seine Schwäche für Provokationen und das Gefühl von Freiheit.
Sie sprachen nicht mit einem Psychologen?
Später, klar. Doch zunächst ging das Leben mit seltsamer Routine weiter. Am Montag trug ich wieder Zeitungen aus. Als ich aufs Titelblatt blickte, sprang mir der Aufmacher entgegen: „13-jähriger Junge findet seine Eltern tot in der Wohnung“. In dem Moment traf ich meine Tante. Sie nahm mir die Zeitung aus der Hand und brachte mich nach Hause.
Das ist mehr als 30 Jahre her. Was empfinden Sie, wenn Sie daran zurückdenken? Wut?
Wütend war ich nie. Ich würde meinen Vater nur gerne fragen: Warum? Darauf habe ich nie eine zufriedenstellende Antwort erhalten. Vielleicht, weil ich nicht richtig danach gesucht habe.
Sie haben nie mit anderen Familienangehörigen über die Tragödie gesprochen?
Wenig. Ich habe seit jeher die Einstellung, dass ich für Dinge, die ich nicht beeinflussen kann, keine Energie verschwende.
Journalisten stellten später gerne einen Zusammenhang zwischen Ihrer harten Kindheit und Ihren Eskapaden abseits des Fußballplatzes her. Wie sehen Sie das?
Ich kenne diese Berichte. Sie kamen nach der WM 2002 in Südkorea und Japan auf. Ihr Tenor: Weil der Tøfting seine Eltern verloren hat, ist er nun eine tickende Bombe. Aber da gab es nie einen Zusammenhang.
Vor Dänemarks Gruppenspiel gegen den Senegal veröffentlichte die Boulevardzeitschrift „Se og hør“ einen Artikel mit Details über den Tod Ihrer Eltern.
Schon ein paar Tage vor dem Spiel gegen den Senegal holte mich unser Pressesprecher zu sich. Er sagte, dass „Se og hør“ am Donnerstag einen Artikel über meine Eltern drucken wird. Zu dem Zeitpunkt war die Geschichte den meisten dänischen Medien bekannt, doch es gab ein Stillhalteabkommen, auch weil meine Kinder davon noch nichts wussten. Sie sollten es von mir erfahren, wenn sie alt genug sind.
„Wer hat sich nicht schon mal geprügelt?“
Wie haben Sie reagiert?
Meine Mitspieler empörten sich mehr als ich. Sie schimpften: „Jetzt reicht es! Wir boykottieren die gesamte Presse!“ Ich war nur besorgt wegen meiner Kleinen. Also rief ich meinen Onkel in Aarhus an und bat ihn, meinen Kindern zu erklären, was in den nächsten Tagen los sein würde.
Wie war die Resonanz am Tag des Erscheinens?
Viele Kioskbesitzer zeigten sich solidarisch mit mir und meiner Familie. Sie schickten die Exemplare von „Se og hør“ an den Verlag oder die Grossisten zurück. Der Chefredakteur wurde wenig später entlassen.
Es war eine Zeit, in der Sie überhaupt nicht mehr mit der Presse gesprochen haben.
Es kam vieles zusammen. Die Geschichte mit „Se og hør“ war nur der Anfang.
Erzählen Sie.
Im Sommer 2002 habe ich mich im „Café Ketchup“ in Kopenhagen geprügelt. Wir hatten mit der dänischen Nationalmannschaft eine gute WM in Südkorea und Japan gespielt, feierten, und ich habe mich im betrunkenen Zustand provozieren lassen.
Sie sollen dem Barkeeper eine Kopfnuss verpasst haben, weil er Sie zur Ruhe ermahnte.
Die Medien stürzten sich wie Heuschrecken auf mich. Wenn ich nicht so bekannt gewesen wäre, wäre das der Presse nicht mal eine zweizeilige Meldung wert gewesen. Denn wer hat sich nicht schon mal geprügelt?
Leute, die sich nicht so leicht provozieren lassen?
Ich finde nicht, dass ich leicht zu provozieren bin.
Wie war es damals?
Es gab eben manchmal Situationen, in denen ich nicht weggehen konnte. Doch ich habe gelernt, heute bringe ich mich nicht mehr in solche Situationen.
Sie mussten nach der Schlägerei ins Gefängnis.
Im Frühjahr 2003 kam zunächst unser Sohn Jon zur Welt. Doch er starb nach nur drei Wochen an den Folgen einer Hirnhautentzündung. Es war die schlimmste Tragödie in meinem Leben. Viel schlimmer als der Tod meiner Eltern. Vor der Beisetzung sagte ich der Presse, dass ich keine Journalisten wünsche. Doch dann versteckte sich ein Fotograf in einem Kirchenschiff und machte mit einem dicken Teleobjektiv Bilder. Sie wurden am nächsten Tag im „Ekstra Bladet“ abgedruckt.