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Seite 2: „In dem Moment hätte ich die am liebsten alle erwürgt!"

Gab und gibt es für Sie im Aus­land spe­zi­elle Ver­hal­tens­re­geln vom Verein?
Stein: Nein. So etwas brauchten wir nicht. Wir waren doch Ein­tracht Frank­furt, einer der größten Ver­eine Deutsch­lands! Wir hatten immer das Image des guten Gastes und dieses Image wollten wir nicht beschä­digen.
Meier: Und wir halten diese Tra­di­tion selbst­ver­ständ­lich am Leben!

Den­noch sagten Sie, Erwin Stein, es hätte Ihnen nach dem ver­lo­renen Finale 1960 große Mühe gemacht, dem Befehl von Trainer Paul Oßwald zu folgen und für die sieg­rei­chen Spa­nier ein Spa­lier zu bilden.
Stein: Weil wir das aus Deutsch­land nicht kannten. Oßwald hatte sich das in Groß­bri­tan­nien abge­guckt, dort war das Tra­di­tion.
Meier: Und wie habt ihr reagiert, als der Trainer euch zum Spa­lier auf­stellte?
Stein: Ich war stink­wü­tend. Die hatten uns gerade mit 3:7 ver­hauen und jetzt sollte ich den Spa­niern gra­tu­lieren? In dem Moment hätte ich die am liebsten alle erwürgt!
Neu­berger: Nach so einem Spiel eine ver­ständ­liche Reak­tion. Bei uns gab es selbst nach gewon­nenen Final­spielen Zoff: Beim UEFA-Cup-Finale 1980 war Bernd Höl­zen­bein dahin­ter­ge­kommen, dass Trainer Friedel Rausch ihn hatte aus­wech­seln wollen. Allein die Vor­stel­lung daran brachte Holz“ auf die Palme. Das wäre einer Majes­täts­be­lei­di­gung gleich­ge­kommen!
Meier: Was hat er getan?
Neu­berger: Auf dem Ban­kett nach dem End­spiel hat er sich klamm­heim­lich den Pokal geschnappt und ist damit ver­schwunden. Angeb­lich soll er ihn mit ins Bett genommen haben!

In welche Länder reisten Sie am liebsten?
Neu­berger: Mir waren die kurzen Wege am liebsten: Nie­der­lande, Frank­reich, Eng­land. Reisen hinter den Eisernen Vor­hang“ fand ich anstren­gend. Da gab es oft Stress bei der Ein- oder Aus­reise. Wenn es in den Ost­block ging, haben unsere Offi­zi­ellen stets darauf geachtet, dass genug Wimpel und Anste­cker im Rei­se­ge­päck waren. Damit ließ sich manch quä­lende Zoll­ab­fer­ti­gung abkürzen.
Stein: Die Reisen mit der Ein­tracht haben meinen Hori­zont erwei­tert. Wir sind für Freund­schafts­spiele sogar nach Süd­ame­rika gereist.
Neu­berger: Ihr wolltet eben noch die Welt sehen, für uns war das schon fast zur Rou­tine geworden.

Wie viel Zeit blieb für Sight­seeing?
Neu­berger: Das hat mich damals gar nicht inter­es­siert. Ich bin hin­ge­fahren, habe Fuß­ball gespielt, bin wieder zurück­ge­fahren.
Stein: Für uns war das ein Aben­teuer. Ich hatte bei den Reisen stets meine Kamera dabei, auch bei einem Aus­wärts­spiel in Moskau. Die U‑Bahnhöfe waren zum Teil kom­plett mit Marmor aus­ge­kleidet, eine echte Attrak­tion. Ich stand also da, mit offenem Mund, die Kamera klebte vor meinen Augen. Ich war so fas­zi­niert, dass ich nicht mit­bekam, wie die Bahn ein­fuhr. Die Mann­schaft stieg ein, die Türen schlossen sich und mir rutschte das Herz in die Hose. Im letzten Moment wuch­tete unser dama­liger Prä­si­dent Rudi Gram­lich, ein Hüne, die Tür wieder auf und ich huschte unter seinen Armen hin­durch ins Abteil. Sonst würde ich da noch heute stehen …
Neu­berger: … und foto­gra­fieren!

An welche Reise haben sie die besten Erin­ne­rungen?
Stein: Da fällt mir ein Besuch ein, der viele Jahre nach dem Ende meiner Kar­riere statt­fand. 2002 waren die noch lebenden Final­teil­nehmer von 1960 anläss­lich des Cham­pions-League-End­spiels zwi­schen Real Madrid und Bayer Lever­kusen nach Glasgow ein­ge­laden. Vor dem Spiel gab es ein Ban­kett. Der Bür­ger­meister von Glasgow trat ans Red­ner­pult und bedankte sich bei uns und den Spie­lern von Real Madrid für das – wie er es nannte – beste Fuß­ball­spiel aller Zeiten“. Da erhob sich der ganze Saal und klatschte Bei­fall. Mir liefen die Tränen übers Gesicht.
Neu­berger: Mit Glasgow ver­binde ich eben­falls tolle Erleb­nisse. Mit Borussia Dort­mund bestritt ich dort mein erstes Euro­pa­po­kal­spiel, aller­dings im Ibrox Park gegen die Ran­gers. Mein Gegen­spieler war ein gewisser Alex Fer­guson, der trat auf alles ein, was sich bewegte!

Welche Sta­dien waren die Sehn­suchtsorte Ihrer Gene­ra­tion?
Neu­berger: Das Estadio Cal­derón von Atlé­tico Madrid fand ich beein­dru­ckend.
Stein: Ich werde nie ver­gessen, wie wir kurz vor einem Spiel gegen Feye­noord Rot­terdam aus einem Fens­ter­chen unserer Kabine ins Sta­di­on­in­nere schauten und ent­täuscht sahen, dass die Tri­bünen weit­ge­hend leer waren. Eine Vier­tel­stunde später liefen wir ein – und im Sta­dion war die Hölle los. Die hatten das schon damals so gut geplant, dass inner­halb von wenigen Minuten das Rund mit Zuschauern geflutet werden konnte.
Meier: Na ja, was soll ich sagen: Meine Hoff­nung wäre, dass der FC Bar­ce­lona in der Cham­pions League nach der Vor­runde aus­scheidet und es sich auf diese Weise fügt, dass wir auf unserem Weg ins Finale im Camp Nou spielen. (Lacht.)
Stein: Frank­furt gegen Bar­ce­lona – das käme von den Erfolgs­aus­sichten unserem Duell gegen Real Madrid 1960 gleich.

Warum?
Stein: Das war die größte Mann­schaft dieser Ära, die hatten viermal in Folge den Lan­des­meis­tercup geholt, waren gespickt mit den besten Spie­lern der Welt: Ferenc Puskás, Alfredo Di Sté­fano. Als ich auf den Platz lief, fühlte ich mich wie ein ganz armer Hund. Wenn einer von denen gesagt hätte: Hol mir die Tasche aus dem Bus“ – ich wäre los­ge­rannt. Wir gingen nicht davon aus, eine Chance zu haben – und wir hatten am Ende ja auch keine.
Meier: Lionel Messi und Neymar die Taschen hin­ter­her­tragen? Ich glaube, die Blöße würde sich bei uns keiner geben. Chan­cenlos wären wir wohl auch. Aber ver­su­chen kann man’s ja mal.
Was läuft in der Vor­be­rei­tung auf ein Euro­pa­cup­spiel anders als sonst?
Stein: Als fest­stand, dass wir 1960 unsere Halb­fi­nal­spiele gegen die Glasgow Ran­gers bestreiten würden, orga­ni­sierte Trainer Paul Oßwald ein paar Bälle, wie sie damals in Schott­land ver­wendet wurden. Teuf­li­sche Teile waren das, relativ klein, wahn­sinnig hart auf­ge­pumpt und bei Regen­wetter so schwer, dass man bei jedem Kopf­ball eine Gehirn­er­schüt­te­rung bekam.

Aber die Kopf­schmerzen lohnten sich, Sie gewannen zu Hause mit 6:1 und aus­wärts mit 6:3.
Meier: Die Unter­schiede bei den Bällen gibt es heute ja nicht mehr. Der UEFA-Ball ist nur unwe­sent­lich anders als der in der Bun­des­liga. Aber wir haben ein paar Netze mit Bällen von der UEFA bekommen und vor Euro­pa­cup­spielen trai­nieren wir damit.