Aber wie das geschehen sein soll, ist völlig unklar – der Vater starb etliche Jahre vor dem ersten Stadionbesuch des Sohnes.
Unergründliche Prägungsmuster dieser Art legt ja auch die atemberaubende Familiengeschichte nahe, über die Jörg Heinisch im Frankfurt-Fanzine „Fan geht vor“ berichtet hat. Da geht es um den großen Eintracht-Fan Wilfried, der zwei Töchter hat und wenigstens eine davon so für den Fußball begeistern konnte, dass sie sich in den siebziger Jahren auch eine Dauerkarte kaufte und dann viele Jahre zusammen mit ihrem Vater auf der Haupttribüne saß.
Immer neben denselben Leuten – wie das im Sitzplatzbereich so ist. Bei diesen Nachbarn gingen sogar drei Generationen gleichzeitig zur Eintracht: Die Oma, die noch eine vergleichsweise junge Frau war, ihr Sohn und zwei Enkel. Mehr als ein Dutzend Jahre lang saß diese Familie neben Wilfried, man kannte sich, man duzte sich.
Zwei Familien, die eine waren
Ende der achtziger Jahre starb Wilfrieds Mutter – und in ihrem Nachlass machte er eine Entdeckung, die sein Leben ins Wanken bringen sollte: Die Verstorbene war nicht seine leibliche Mutter gewesen, sondern hatte ihn in den Wirren des letzten Kriegsjahres aus einem Frankfurter Heim adoptiert. Wilfried begab sich daraufhin auf die Suche nach seiner richtigen Familie, seiner wahren Mutter, und als er sie ein halbes Jahr später tatsächlich gefunden hatte, erlebte er die nächste sprachlos machende Überraschung: Die Frau, die ihm die Tür öffnete, war die Dame mittleren Alters, neben der er an jedem zweiten Samstag im Waldstadion saß.
Da hatten also Saison auf Saison zwei Familien die Eintracht angefeuert, die eigentlich eine Familie waren. Wenn man auch sagen muss, dass die Darstellung der verwandtschaftlichen Verhältnisse in diesem Fall wohl eine sehr verwirrende Grafik ergeben würde. Wer mag hier wen auf welche Weise geprägt haben? Und welche Beziehungen wurden durch den Fußball, auf welcher Ebene auch immer, fortgeführt? In jedem Fall zeigt auch dieses Beispiel, dass der Weg in ein Leben als Fan nicht immer so glatt verläuft, wie wir das Sascha Polanec wünschen wollen.
Auch Nick Hornby selbst hat diese Erfahrung gemacht. Mehr als 35 Jahre nach seinem eigenen ersten Spiel nahm er seinen ältesten Sohn Danny mit zu Arsenal. „Er war selig“, sagte Hornby über den damals Zehnjährigen in einem BBC-Radiointerview. „Er liebte das Flutlicht, und er liebte den Lärm.“ Aber wie genau sein Sohn den Fußball erlebt, das wird Hornby wohl nie erfahren.
Danny ist Autist.