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Das Bürsch­lein mit dem blon­dierten Haar kniete kurz vor der Mit­tel­linie, es hatte den Kopf tief in beide Arme ver­graben, so tief, dass sich das Publikum sorgte, oben auf der Tri­büne des Estadio Mineirao von Belo Hori­zonte.

Um Him­mels Willen, was ist mit Neymar los?

Neymar ist der beste Fuß­ball­spieler Bra­si­liens, aber er ist erst 22 Jahre alt und manchmal wird der Druck ein biss­chen zu groß für ihn bei dieser WM zwi­schen Manaus und Porto Alegre. 200 Mil­lionen Bra­si­lianer erwarten wie selbst­ver­ständ­lich, dass ihre Mann­schaft zum Hexa­campeo auf­steigt, und wer anders als Neymar sollte diese eher mit­tel­mä­ßige Mann­schaft zum sechsten WM-Titel schießen? Am Samstag ist es ihm für einen Augen­blick ein biss­chen zu viel geworden. Also kniete er nieder an der Mit­tel­linie und hielt sich den Kopf, kurz vor der Ver­län­ge­rung des Ach­tel­fi­nales gegen Chile. Zwanzig ewige Sekunden lang.

Neymar ist nicht Bra­si­lien, aber ohne Neymar ist Bra­si­lien nichts. Genau das hat er dann auch wieder gezeigt, als es ernst wurde im Mineirao und Bra­si­lien kurz davor stand, die WM nur noch als Gast im eigenen Land zu ver­folgen.

Später, nach diesem an Dra­matik schwer zu über­bie­tenden Spiel mit einen chi­le­ni­schen Lat­ten­schuss in der Schluss­mi­nute der Ver­län­ge­rung und einem 4:3‑Sieg für die Seleçao nach Elf­me­ter­schießen, ist Julio Cesar als Held des Abends gefeiert worden. Der bra­si­lia­ni­sche Tor­hüter, der im finalen Ent­schei­dungs­schießen zwei chi­le­ni­sche Ver­suche pariert hatte. Vor der WM noch hatte das ganze Land den Natio­nal­trainer Luiz Felipe Sco­lari ver­flucht, weil er nicht von Julio Cesar lassen mochte, obwohl der doch nicht mal mehr beim eng­li­schen Pre­mier-League-Absteiger Queens Park Ran­gers erwünscht war. Am Sonntag fei­erte ihn die auf­la­gen­stärkste Zei­tung O Globo“ auf ihrer Titel­seite als Retter des Vater­landes“.

Das ist eine rühr­se­lige Geschichte, aber sie wird dem Drama von Belo Hori­zonte nur bedingt gerecht. Ja, Julio Cesar hatte seinen Job sehr gut erle­digt, aber ein Tor­hüter hat im Elf­me­ter­schießen nicht viel zu ver­lieren. Der Druck liegt immer bei den Schützen, und wie groß muss er gewesen sein bei diesem fünften bra­si­lia­ni­schen Elf­meter?

Als vor zwei Jahren der FC Bayern bei seinem Cham­pions-League-Finale dahoam gegen den FC Chelsea ins Elf­me­ter­schießen musste, lief Trainer Jupp Heyn­ckes von einem Star zum nächsten, von Toni Kroos zu Ana­toli Timoscht­schuk zu Arjen Robben, alle trauten sie sich nicht. Das Ende ist bekannt. Luiz Felipe Sco­lari musste am Samstag in Belo Hori­zonte keine große Über­zeu­gungs­ar­beit leisten. War doch klar, dass Neymar schießt. Wie schon im Eröff­nungs­spiel gegen Kroa­tien. Mit seiner Dau­er­prä­senz im Fern­sehen, den ständig wech­selnden Fri­suren und seinen gespreizten Posen auf dem Platz geht er den Kol­legen schon mal auf den Geist. Aber wenn es ernst wird, dann drückt er sich nicht. Und das rechnen sie ihm alle hoch an.

Also ist Neymar am Samstag um kurz vor vier ange­treten, als es um nichts Gerin­geres ging als um Bra­si­lien. Der Junge ist 22, aber spielt mit einer Erfah­rung und Selbst­si­cher­heit, als wäre er 33“, hat Sco­lari später erzählt. Und den Elf­meter hat er geschossen, als würde er mit seinen Freunden am Strand von Santos spielen.

Neymar lief also an, er hüpfte, riss die Knie abwech­selnd nach oben, dann blieb er kurz stehen und wackelte mit dem Hin­tern, wäh­rend die Nation auf der Tri­büne und in den Bars, Cafés und Kneipen den Atem anhielt. Es ist Teil seiner Bega­bung, im ent­schei­denden Moment all das aus­zu­blenden, was im Falle des Miss­erfolges pas­sieren könnte. Wenn er diesen Elf­meter ver­schossen hätte und der nächste chi­le­ni­sche drin gewesen wäre, wäre die WM für Bra­si­lien beendet gewesen. So denkt Neymar nicht, son­dern nur von einem Augen­blick zum nächsten. Der Tor­wart flog nach rechts, der Ball nach links, der Chi­lene traf nur den Pfosten, Bra­si­lien stand im Vier­tel­fi­nale.

Die Chi­lenen waren später nicht so gut zu spre­chen auf Neymar und den in ihren Augen respekt­losen Zirkus, den er da am Elf­me­ter­punkt ver­an­staltet hatte. Geschenkt, sagte Sco­lari und holte aus zu einer etwas län­geren Ver­tei­di­gungs­rede, sie setzte sich vor allem aus­ein­ander mit dem Zirkus, den die Chi­lenen um Neymar ver­an­staltet hatten. Schon nach ein paar Minuten flog Bra­si­liens Nummer zehn zum ersten Mal durch die Luft, mit freund­li­cher Unter­stüt­zung von Charles Aran­guiz. Auch Arturo Vidal langte an der Außen­linie noch einmal kräftig zu. Trotzdem war Neymar eine bril­lante Halb­zeit lang der beste Mann auf dem Platz, worauf sich die Chi­lenen in der zweiten Halb­zeit stets zu zweit oder dritt um ihn küm­merten. Als die regu­läre Spiel­zeit vorbei war, konnte Neymar nicht mehr. Aber er musste.

Nach der clow­nesken Hel­dentat vom Elf­me­ter­punkt und dem finalen Fehl­schuss der Chi­lenen weinte Neymar in die Kameras und war für nie­manden mehr zu spre­chen, denn er hatte da noch einen wich­tigen Termin. Mit dem Mann­schafts­arzt. Er hat einen geschwol­lenen Ober­schenkel, und ich mache mir ernst­haft Sorgen um ihn“, sagte Sco­lari. Vor dem Vier­tel­fi­nale am Don­nerstag in For­ta­leza gegen Kolum­bien beten 200 Mil­lionen Bra­si­lianer um Ney­mars Gene­sung. Nicht wenige von ihnen dürften unter­schreiben, was der Mann­schafts­ka­pitän Thiago Silva in einem Anfall von Pathos for­mu­lierte: Wir alle ver­trauen Neymar so sehr, dass wir unser Leben in seine Hände legen würden.“