Der erst 29-jährige Steven Zhang aus China ist auf dem besten Weg, Inter Mailand als Klubpräsident zu alter Größe zu führen. Um Fußballromantik geht es dabei allerdings nicht.
Dieser Artikel erschien erstmals in 11FREUNDE #227. Das Heft ist hier im Shop erhältlich.
Es gibt verschiedene Gradmesser für den Stand der Globalisierung, in Mailand hat einer davon ganze zwei Buchstaben: ein H und ein U. In der lombardischen Metropole ist nämlich mittlerweile, so war es neulich zu lesen, Hu der häufigste Nachname und nicht mehr Rossi, was so etwas wie das italienische Äquivalent zum deutschen Müller ist. Zwar ist keiner der 4664 Mailänder Hus der Präsident des Nobelklubs Internazionale, dafür aber ein Zhang, wenngleich mit dem vergleichsweise westlich klingenden Vornamen Steven – doch das ändert nichts daran, dass auch Italiens Fußball längst mehr als nur ein bisschen globalisiert ist.
Seit zwei Jahren verantwortet Steven Zhang die Geschicke von Pazza Inter, wie sie in Italien sagen. Verrücktes Inter. Zhang ist Chinese, gerade 29 Jahre alt und galt beim Amtsantritt vielen als besonders skurrile Schrulle des modernen Fußballkapitalismus. Ein Mann aus China, noch dazu einer, der keine dreißig ist! Im Calcio regierten lange die mächtigsten Männer des Landes, die Traditionalisten und Rückwärtsgewandten. Der Kontrast zu Zhang, dem Frischling aus Fernost, könnte kaum größer sein.
Doch wer diesen Mann als Leichtgewicht abtut, macht einen Fehler. Das renommierte Wirtschaftsmagazin „Fortune“ zählt ihn zu den „40 einflussreichsten Chinesen unter 40 Jahren“, mittlerweile ist Zhang Vorstandsmitglied in der Europäischen Klubvereinigung ECA und selbst die altehrwürdige „Gazzetta dello Sport“ gestand ihm zu, den spirito nerazzurro in sich zu tragen, den schwarz-blauen Geist.
Auch die Tifosi schätzen den jungen Mann an der Spitze des Klubs, allein schon aus purem Opportunismus. Inter stand zuletzt im Europa-League-Finale, in der Liga fehlte am Ende nur ein Punkt auf den Serienmeister Juventus, und in Romelu Lukaku kam vor der vergangenen Saison der teuerste Spieler der Vereinsgeschichte – in Italien war Liebe schon immer käuflich, gezahlt wird mit Erfolgen und Stars.
Das war schon in der Ära Massimo Morattis so, des einstigen Patriarchen. Moratti war halb Besitzer und halb Verehrer, Inter pendelte daher stets zwischen Grandezza und Telenovela. Alles war öffentlich, wenn auch ganz alte Schule. Facebook-Likes für das Triple 2010, den größten Erfolg des Vereins überhaupt? Gab es nicht, denn bei Inter hatte man Facebook schlicht verschlafen, wie so vieles in dieser Zeit. Der Klub war plötzlich aus der Zeit gefallen, Moratti sah sich 2013 zum Verkauf genötigt.
Heute ist Inter der europäische Klub mit dem größten Wachstum in den Sozialen Netzwerken. Was nicht zuletzt an Steven Zhang liegt, der selbst 500 000 Follower bei Instagram hat. Dort postet er Bilder seines schwarz-blauen Supersportwagens der Marke Pagani oder Videobotschaften an die Fans. Zhang spricht fließend Englisch, mit den italienischen Gazetten redet er allerdings kaum.
Er leitet den Klub wie ein Spitzenmanager ein Unternehmen: professionell, aber immer nur so transparent wie unbedingt nötig. Um (Fußball-)Romantik geht es dabei sowieso nicht. Zhangs Vater ist einer der reichsten Männer Chinas und Besitzer der Einzelhandelskette Suning, die 2016 bei Inter eingestiegen ist. Ein Konzern mit 32 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, jedoch in Europa kaum bekannt. Durch Inter soll sich das ändern.
Um (Fußball-)Romantik geht es dabei sowieso nicht. Zhangs Vater ist einer der reichsten Männer Chinas und Besitzer der Einzelhandelskette Suning, die 2016 bei Inter eingestiegen ist. Ein Konzern mit 32 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, jedoch in Europa kaum bekannt. Durch Inter soll sich das ändern.
Das Ganze hat auch eine politische Komponente. Vater Jindong ist Delegierter im Nationalen Volkskongress und ein Getreuer Xi Jinpings. Im März 2019 begleitete er den chinesischen Staatschef zu Verhandlungen mit der italienischen Politik über die Neue Seidenstraße. Zu dieser Zeit war Sohn Steven, der an der Wharton School of Pennsylvania, einer Art Milliardärsschmiede, studiert und danach bei der Investmentbank Morgan Stanley gearbeitet hat, längst in Mailand installiert worden: erst als Vorstandsmitglied, später als Präsident.
Einmal im Amt, begann Zhang umgehend mit den Aufräumarbeiten. Der Auftrag: Inter in die Moderne zu führen. Anfangs unterlief ihm dabei der eine oder andere Fehler, mit dem Höhepunkt eines obskuren Trainercastings in der alten Geschäftsstelle nahe des Mailänder Doms. Am Ende gewann Stefano Pioli, der inzwischen beim Stadtrivalen Milan angestellt ist. Für diesen Zirkus gab es Kritik vom Ex-Patron Moratti, ansonsten verstehen sich die beiden blendend. Zhang sei „ein Visionär“, findet Moratti, der seinem Nachfolger gerne beratend zur Seite steht, in langen Telefonaten über die Eigenarten des Calcio. Der neueste Tipp angeblich: „Es ist das richtige Jahr, um Messi zu holen. Das wäre ein Traum für uns alle.“
Zhang hat schnell dazugelernt, zum Beispiel, wie wichtig Gesichter sind. Als Klub-Repräsentant nach außen fungiert Vizepräsident Javier Zanetti, der unverwüstliche Rekordspieler und Ex-Kapitän. Das verzückt die Tifosi jedes Mal aufs Neue. Steven Zhang hingegen wirkt lieber nach innen.
„Wir wollen die Inter-Familie auf dem Globus verbinden“
Mit dem aufmüpfigen Trainer Antonio Conte traf er sich neulich zum Showdown, der kühle Analyst gegen den wilden Exzentriker. Conte hatte den Klub öffentlich kritisiert, mehr Macht gefordert und mit seinem Weggang gedroht. Letztlich gab der Coach nach, er bleibt. „Conte, der klare Verlierer“, schrieb die Zeitung „La Repubblica“.
Quo vadis, Steven? „Wir wollen die Inter-Familie auf dem Globus verbinden“, hat Zhang beim Amtsantritt gesagt. Marketing-Worthülse, klar. Die aber andererseits zu Inter, das einst von überzeugten Weltbürgern und Kosmopoliten gegründet wurde, besonders gut passt. Sieht ganz so aus, als wolle der Klub nicht nur die italienische Konkurrenz das Fürchten lehren.