Er ist erst 17 Jahre alt, er schnippelt Freistöße, wie man es in Frankfurt seit Uwe Bein nicht mehr gesehen hat und er hat seine Mannschaft gegen Schalke 04 gleich mal zum Sieg geführt. Wer ist dieser Marc Stendera?
Mitunter genügen wenige Tage, um vom Himmelsstürmer zum tragischen Held zu werden. Eine Lektion, die Marc Stendera 2012 mit „Rotz und Wasser“ bezahlte. Im vergangenen Sommer war der gebürtige Kasselaner aus dem Eintracht-Internat ganz plötzlich zum Shootingstar der deutschen U‑17-Nationalmannschaft befördert worden. Der Zug zur U‑17-EM in Slowenien schien bereits abgefahren, die Mannschaft spielte seit fast zwei Jahren zusammen und war, auch ohne Marc Stendera, Favorit auf den Titel. Mit der Empfehlung von 17 Toren in 22 B‑Jugend-Bundesligaspielen kam Stendera im letzten Test vor der EM doch noch zu seinem Nationalmannschafts-Debüt – und löste mit einem astreinen Doppelpack sein persönliches EM-Ticket.
Die anschließende Europameisterschaft wurde zur großen und tragischen Bühne für den offensiven Mittelfeldspieler. Im ersten Gruppenspiel gegen Georgien kam er von der Bank und belebte das Spiel deutlich, in der zweiten Partie tütete er den Gruppensieg mit dem Siegtor gegen Island gleich selber ein. Im Halbfinale bereitete er das Siegtor gegen Polen vor. „Ich bin schon überrascht, wie gut das läuft“, gab der Youngster zu Protokoll. Lob für die gezeigten Leistungen gab es von höchster Stelle. Trainer Stefan Böger zeigte sich beeindruckt „von seinem Fleiß gegen den Ball“, Matthias Sammer, damals noch DFB-Sportdirektor, blies ins gleiche Horn und nannte Stenderas Leistung „ungewöhnlich für einen Individualisten“.
Im Finale gegen die Niederlande kam Stendera wieder von der Bank, bereitete den Führungstreffer der überlegenen deutschen Mannschaft durch Leon Goretzka vor und war doch hilflos, als die Holländer in der zweiten Minute der Nachspielzeit den Ausgleich schossen. Im anschließenden Elfmeterschießen vergab Stendera den entscheidenden Elfer und war auf einmal der tragische Held. Von Null auf Hundert und zurück – und das alles in zwei Wochen.
Seine sportliche Entwicklung hat unter seinem persönlichen EM-Drama allerdings nicht gelitten. Seit dem Realschulabschluss im vergangenen Sommer ist Stendera, der im Eintracht-Internat wohnt, fester Bestandteil der Profimannschaft. Unter der Woche trainiert er mit der ersten Mannschaft, am Wochenende bombt er sich durch die A‑Jugend. So war es zumindest in der Hinrunde. Seit einigen Wochen darf er auch am Wochenende bei den Profis mittun. Vor zwei Wochen folgte das Debüt gegen Bayern München, als fünftjüngster Spieler der Bundesligageschichte. Erste Amtshandlung: Er senste Philipp Lahm an der Außenlinie um. So etwas nennt man wohl unbekümmert aufspielen. „Das war kein Bonbon“, urteilte Trainer Armin Veh anschließend über den Kurzeinsatz seines Debütanten. „Ich halte viel von ihm. Er wird mal ein Bundesligaspieler, weil er eine Strategie hat.“
„Die Freistöße kamen Weltklasse“
Am vergangenen Samstag folgte dann das Debüt in der Startelf im Spitzenspiel gegen Schalke 04. Stendera ersetzte Frankfurts etatmäßigen Zehner Alex Meier – und war prompt der zentrale Spieler auf dem Platz. Wie selbstverständlich schnappte sich der 17-Jährige die Freistöße und brachte sie mit einer selten gesehen Gefährlichkeit vor das Schalker Tor. „Wie Granaten“, gab sich Manager Bruno Hübner anschließend beeindruckt. Es war eine solche „Granate“, die dem Siegtreffer von Marco Russ vorausging. „Ein Riesenlob an ihn. Die Freistöße kamen Weltklasse“, sagte Russ anschließend. Aber auch abseits der ruhenden Bälle war Stendera der bestimmende Spieler der Eintracht. Zweikampfstark, mit Übersicht und einer erstaunlichen Ruhe und Präsenz. „Ich konnte in der Nacht vor dem Spiel nicht richtig schlafen. Ich war schon aufgeregt“, sagte Frankfurts Nummer 37 nach der Partie. Gemerkt hat man davon nichts.
Wie schnell es auch wieder bergab gehen kann, wird Stendera nach dem Auf und Ab der vergangenen U‑17-EM wissen. Wenn er mit einem ähnlichen Leistungssprung auf seine erste Krise im Profi-Bereich reagieren kann, darf man viel von ihm erwarten. „Jubelt sie nur nicht zu hoch“, mahnte Trainer Armin Veh vor der Saison, als Stendera gemeinsam mit B‑Jugend-Kollege Marc-Oliver Kempf einen Profivertrag unterschrieb. Bei einem derartigen Einstand fällt das allerdings schwer.