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Es ist schon ein paar Jahre her, da fuhr der Fahrer eines Fan­busses zum Aus­wärts­spiel aus Ver­sehen ins würt­tem­ber­gi­sche Aalen statt ins west­fä­li­sche Ahlen. Oder umge­kehrt, wer weiß das schon? Jeden­falls wurde die Anek­dote stets mit einem wis­senden Augen­zwin­kern erzählt, zu phan­tas­tisch kam die Irr­fahrt durch die halbe Repu­blik daher.

Umso erstaun­li­cher jedoch, dass sich im April 2019 eine euro­päi­sche Vari­ante der Geschichte zutrug. Zwei Fans von Ben­fica Lis­sabon hatten sich näm­lich im eigenen Auto zum Vier­tel­fi­nal­rück­spiel in der Europa League bei Ein­tracht Frank­furt auf­ge­macht und dabei über­sehen, dass es zwei Städte dieses Namens gibt. Also hatten Alvaro und Jorge die Metro­pole am Main so gekonnt umkurvt, als hätten sie Offen­ba­cher Vor­fahren, und waren statt­dessen von Lis­sabon über Paris und Berlin ziel­si­cher an die Oder gefahren.

Dort posierten sie fröh­lich vorm Orts­ein­gangs­schild und fanden schließ­lich auch das ört­liche Sta­dion: Von flir­render Euro­pacup-Stim­mung war aber weit und breit nichts zu spüren, was die beiden Rei­senden irgend­wann mächtig irri­tierte. Tja, doof gelaufen! Aber anders als früher, da der Bus­fahrer nur ver­zwei­felt im Aral-Stra­ßen­atlas per Fin­ger­fahn­dung nach dem rich­tigen Ahlen suchen konnte, hatten die beiden Por­tu­giesen ihren Rei­seweg immerhin aus­führ­lich auf Insta­gram doku­men­tiert. Und so nahte als­bald Rat und Hilfe – und zwar gleich tau­send­fach. 

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Nur eine halbe Stunde, nachdem die beiden Kol­legen in Frank­furt gestrandet waren, wurden sie mit Nach­richten, Hilfs­an­ge­boten und Rou­ten­plänen über­schüttet. Und mit Medi­en­be­richten. Hatten zunächst die noto­ri­schen Durch­lauf­er­hitzer »Spox« und »Fums« von der Irr­fahrt berichtet, kamen als­bald die natio­nalen Qua­li­täts­me­dien um die Ecke, also Sport­schau, Sky und MDR. Dann tickerte auch die Deut­sche Pres­se­agentur, die BBC, die Haupt­stadt­fran­zosen von »Le Pari­sien« sowie die Ame­ri­kaner von Sports Illus­trated und Fox die Geschichte von den beiden ver­strahlten Por­tu­giesen einmal um die ganze Welt.

Dann fin­ni­sche, chi­le­ni­sche, rumä­ni­sche, spa­ni­sche, por­tu­gie­si­sche, tür­ki­sche, rus­si­sche Seiten. Und schließ­lich wurde Alvaro sogar noch live bei DAZN in die Sen­dung geschaltet, durfte seine unglaub­liche Geschichte erzählen und bekam vom Reporter noch einmal das rich­tige Sta­dion gezeigt. Da war Alvaro richtig gerührt. Der ver­söhn­liche Abschluss einer unglaub­li­chen Reise.

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Die Sport­schau war natür­lich vorn dabei. Rezept: Mal fix das Bild von Insta­gram gerippt und einen flotten Spruch dazu.

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Die BBC unter­schlägt Kumpel Jorge.

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Voetbal flitsen“ lacht sich schlapp.

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Bel­gi­sche und fran­zö­si­sche Medien steigen ein. Mit gutem Recht, schließ­lich haben Jorge und Alvaro ihre Länder durch­quert.

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7sur7“ zeigt auch den Rou­ten­plan zu Rei­se­be­ginn mit der ver­rä­te­ri­schen Orts­marke nahe Frank­furt an der Oder.

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Alvaro geht um die Welt.

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Und zum Schluss darf er sogar bei DAZN auf den Sender und grüßt Cousin Felipe Costa“. Grüße zurück!

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Zwei Tage zuvor war in der 11 Freunde-Redak­tion leichte Ner­vo­sität aus­ge­bro­chen. Seit Freitag näm­lich hatte Amazon sto­isch unsere Bestel­lung von zwei Ben­fica-Tri­kots als »ver­sandt« ver­meldet, von »zuge­stellt« konnte aber keine Rede sein. Sollte unser unbe­hol­fener Ver­such, einmal den hek­ti­schen digi­talen News­be­trieb mit einer kom­plett aus­ge­dachten Geschichte zu foppen, schon an einer sol­chen Peti­tesse schei­tern? Dabei hatten wir uns schon mächtig ins Zeug gelegt. Wir hatten einen Insta­gram-Account für Alvaro ange­legt und ihn not­dürftig mit gen­re­ty­pi­schem Foto­quatsch befüllt (Motor­räder, Espres­so­tasse, Bilder von Ben­fica-Spielen).

Außerdem hatten wir einen räu­digen Twitter-Account namens »Footy Freunde« in die Welt gerufen, der die Nach­richt in die Jour­na­lis­ten­blase tragen würde. Und wir waren end­lich fündig geworden auf der Suche nach den Dar­stel­lern unseres Road­mo­vies. Der Schau­spieler Mar­celo Rodri­gues aus Berlin würde für uns den Ala­varo mimen, ein Bekannter der Redak­tion seinen guten Kumpel Jorge. Beide der por­tu­gie­si­schen Sprache mächtig und mit genü­gend Tages­frei­zeit aus­ge­stattet, um unter der Woche mal kurz von Berlin nach Frankfurt/​Oder zu juckeln, ein paar Bilder zu machen und vor dem Orts­ein­gangs­schild her­um­zu­al­bern. Wäh­rend­dessen wurde in der Redak­tion fleißig Mate­rial fürs digi­tale Fahr­ten­buch gesam­melt. Eine Bekannte aus Paris schickte Touri-Bilder aus der fran­zö­si­schen Haupt­stadt, eine Google-Route von Lis­sabon nach Frankfurt/​Oder wurde als Screen­shot gesi­chert, die Musik für die große Über­fahrt bei Spo­tify run­ter­ge­laden. Und dann ging die Reise los.

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Am Mitt­woch­morgen, einen Tag vor dem Spiel, soll das Team nach Frank­furt fahren. Doch von den Ben­fica-Tri­kots weit und breit keine Spur. Also werden not­ge­drungen Tri­kots von Han­nover 96 und dem 1. FC Nürn­berg auf links gezogen, zusätz­lich binden sich die beiden noch wei­tere rote Tri­kots um die Arme. Das sieht nun alles mehr nach flo­ren­ti­ni­schem Kar­neval aus als nach einer ernst­haften Aus­wärts­fahrt. Doch erstaun­lich: Fast nie­mandem wird das erbar­mungs­wür­dige Outfit der beiden auf­fallen.

Ebenso wenig wie manch anderer Anschluss­fehler. Merk­würdig etwa, dass sich die beiden auf der nächt­li­chen Auto­fahrt durch Frank­reich aus­ge­rechnet von der Ver­eins­hymne des Kon­kur­renten aus Porto beschallen lassen. Und dass das Auto, mit dem die beiden angeb­lich aus Lis­sabon durch Europa gurken, die grüne Umwelt­pla­kette deut­scher Groß­städte ver­liehen bekommen hat. Und dass auf dem Rast­platz­foto im Schau­kasten des McDrive das Erfolgs­format »11 Freunde-The­men­früh­stück« beworben wird. Und dass sich in der Wind­schutz­scheibe deut­lich eine Aus­gabe unseres Fami­li­en­ma­ga­zins spie­gelt. Und dass Alvaro in den Pyre­näen den Screen­shot der Rei­se­route postet, laut Google-Orts­marke aber schon kurz hinter Berlin ist. Und dass Alvaros Insta­gram-Account ebenso frisch bezogen aus­sieht wie der Twitter-Account »Footy Freunde«, dessen ein­ziger Fol­lower ein Porno-Bot namens »Shields Myrthe« ist.

Alles egal, geile Story, wird schon stimmen.

Kann denen mal einer sagen, dass sie ver­kehrt sind?“

Am Mitt­woch­abend, als wir Jorge und Alvaro auf ihre vir­tu­elle Reise schi­cken, inter­es­siert sich noch nie­mand für die beiden. Die Pyre­näen, ein abend­li­cher Bummel durch Paris, die Pas­sage durch Bel­gien, die end­losen Weiten der A2 zwi­schen Her­ford und Garbsen, nie­mand weist die beiden Alles­fahrer auf die ver­häng­nis­volle Route hin. Das ändert sich erst, als sich die Qua­li­täts­twit­terer von »Footy Freunde« end­lich melden und posten: »Kann denen mal einer sagen, dass sie ver­kehrt sind?« Einer? Die halbe Welt nimmt nun Anteil an Alvaros und Jorges Irr­fahrt, neben klas­si­scher Scha­den­freude (»Lasst sie fahren!«) bekommen die beiden nun unzäh­lige Rou­ten­pläne geschickt, alle mit dem wich­tigen Hin­weis »Bitte wenden!«

Und Trot­telfan Alvaro wird per Screen­shot-Jour­na­lismus einmal quer durchs Netz gereicht. Der direkte Kon­takt mit den Por­tu­giesen wird dabei jedoch strikt ver­mieden. Nur der rbb und Ex-Kol­lege Ste­phan Reich schreibt Direkt­nach­richten und fragt nach, ansonsten sind die Redak­tionen sorg­fältig bedacht, sich bloß nicht durch allzu pene­trante Recherche die hüb­sche Story kaputt­ma­chen lassen zu lassen. Wie blöd kann man sein, fragen viele Medien, aller­dings nicht im Selbst­ge­spräch, son­dern adres­siert an den armen Alvaro, der sich pflicht­gemäß zer­knirscht gibt.

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Er kapi­tu­liert vor der schieren Menge an Hin­weisen und Tipps und kann nur noch aus­ge­wählte Nach­richten beant­worten wie etwa die Anfrage von DAZN, die den Kol­legen unbe­dingt in der abend­li­chen Live­sen­dung rund ums Spiel haben wollen. Dafür fahren die beiden nun offi­ziell nach Berlin zurück, wo Alvaro per Face­time in die Sen­dung geschaltet wird. »You’re a star in Ger­many now« schmei­chelt der Mode­rator, was den 11FREUNDE-Redak­teur, der dis­kret das Handy hält, spontan in Gelächter aus­bre­chen lässt. Ein Kon­troll­ver­lust, der auch den Mode­rator hätte miss­trau­isch machen können. Statt­dessen darf Alvaro noch auf dem Sender seinen Cousin »Felipe Costa« grüßen und danach in die Ber­liner Nacht ver­schwinden.

Dass am Tag danach das Kon­terfei des Alvaro-Dar­steller Mar­celo in einer Schau­spie­ler­kartei ent­deckt wird, dass den meisten Por­talen die ganze Geschichte natür­lich von Anfang an komisch vorkam, tja, all das hätten wir natür­lich genauso ver­kündet, wenn wir die halb­sei­dene Story von der Irr­fahrt ver­meldet hätten. Trotzdem bleibt das Erstaunen dar­über, wie schnell eine solche Story um die Welt geht. Und die Frage, was wir jetzt mit den Ben­fica-Tri­kots machen, die erst am Mitt­woch der Fol­ge­woche ein­trafen. Viel­leicht hat Shields Myrthe ja Inter­esse.