Zwischen 2005 und 2007 machte Marcus Feinbier für Fortuna Düsseldorf 24 Tore in 53 Spielen. MIttlerweile hat er seine Karriere beendet – und sorgt sich. Ein Gespräch über Abstiegsängste, Andrej Voronin und sein ungenutztes Potential.
Marcus Feinbier, können Sie mit der Spielweise von Dani Schahin etwas anfangen?
Da die Fortuna sehr defensiv spielt, ist es für die Stürmer unheimlich schwer, gut auszusehen. Schahin ist zwar bemüht, ihm fehlt allerdings – wie allen Offensivspielern – die Durchschlagskraft. Keiner der Jungs ruft konstant seine Leistung ab – mal überragend, dann wieder grottenschlecht.
Mit anderen Worten: Der Fortuna fehlt ein Knipser?
Das muss ich leider mit einem klaren „Ja“ beantworten. Du brauchst im Abstiegskampf einen Stürmer, der aus dem Nichts Tore macht, ein Junge, der jedes Jahr für 15 Tore gut ist.
Ein Typ wie der junge Marcus Feinbier?
(lacht) Mir ist wahrlich nicht alles gelungen, aber diese spezielle Qualität würde mir sicherlich keiner absprechen. Tore aus dem Nichts, das war meine Welt! Zurzeit fehlen Fortuna Männer, die in schwierigen Phasen Akzente setzen, Männer, die den Ball auch mal reinstochern, wenn andere die Situation schon abgehakt haben. Mein Appell: Mehr Mut, mehr Entschlossenheit und, ganz wichtig, eine gewisse Geilheit auf Tore. Denn all das fehlt derzeit.
Die Klubführung hat zu Saisonbeginn offenbar geglaubt, Andrey Voronin könne eine solche Führungsrolle einnehmen – ein Trugschluss?
Dieses Thema zieht sich irgendwie durch die ganze Saison. Jene Spieler, von denen man viel erwartet, haben meist enttäuscht. Diejenigen allerdings, denen man in der Bundesliga eine gewisse Eingewöhnungszeit zugestanden hätte, überraschen positiv, zum Beispiel Robbie Kruse. Der Junge marschiert und traut sich was! Die Voronin-Geschichte ist einfach nur dumm gelaufen.
Viele sagen, er sei an seiner Überheblichkeit gescheitert – Ihre Meinung?
Ich hielt die Verpflichtung für einen klugen Schachzug; Voronin steht schließlich für Erfahrung, er ist – auf Deutsch gesagt – abgewichst. Ich bin fest davon ausgegangen, dass er einschlägt. Dann plötzlich: Streit und ständig üble Schlagzeilen. Dass die Geschichte derart eskaliert, hätte ich nicht gedacht. So was ist Gift im Abstiegskampf.
Hat die Klubführung in diesem Fall naiv gehandelt
Sie hat zumindest nicht clever reagiert.
Wie meinen Sie das?
Die Verantwortlichen haben das Thema zunächst vernachlässigt, es lief ja alles gut, man hatte zwischenzeitlich zehn Punkte Vorsprung. Es entstand der Eindruck, die Führung reagierte nach dem Motto „Dann bleibt Voronin halt zu Hause, wir brauchen ihn eh nicht“. Das Problem daran: Seit ein paar Monaten läuft es nicht mehr rund, die Lage ist dramatisch, die Konkurrenten punkten – und was passiert? Voronin taucht plötzlich wieder im Kader auf, man erhofft sich offenbar neue Impulse.
Wo ist das Problem?
Dass im Umfeld wild spekuliert wird, so was bringt Unruhe, es kommen Fragen auf wie „Rettet Voronin die Fortuna?“. Ich bin der Meinung, die Verantwortlichen haben nicht konsequent gehandelt, sonst würden solche Themen gar nicht wieder hochkommen.
Was wäre die Alternative gewesen?
Die Fortuna hätte sich schon damals – als es gut lief – entweder mit ihm versöhnen oder ihn sofort wieder wegschicken sollen. So ist es nichts Halbes und nichts Ganzes. Die Folge: Unruhe – auch teamintern. Die Herrschaften haben sich somit selbst ein Ei ins Nest gelegt.
Wie wären Sie mit Voronin umgegangen?
Ich hätte mich mit ihm zusammengesetzt und gesagt „Pass auf, Junge, egal, was passiert ist, hänge dich bis zum Saisonende rein und hilf uns mit deiner Erfahrung. Danach sehen wir weiter.“ Nun steht die Fortuna ziemlich blöd da. Und das in einer Phase, in der sie einen Spielertyp wie Voronin dringend gebrauchen könnte.
Sind einige Spieler nach dem fulminanten Saisonstart nachlässig geworden?
Da spielen verschiedene Dinge eine Rolle. Wenn man sieht, dass Fortuna in den letzten zehn Partien vier Eigentore fabriziert hat und zudem sieben individuelle Fehler, die zu Toren geführt haben, muss man klar sagen: Das ist nicht erstligareif! Wenn dann auch noch der Torhüter patzt, macht es die Sache nicht gerade leichter.
Fabian Giefer ist in der Hinrunde überschwänglich gelobt worden, nun steht er heftig in der Kritik – kann ein 22-Jähriger diesem Druck im Abstiegskampf standhalten?
Derzeit strahlt er keine Sicherheit aus, das ist Fakt, aber welcher Spieler bitte schön tut das in diesen Tagen? Die komplette Abwehr agiert unsicher, es wäre daher unfair, alles auf Giefer zu schieben.
Ein Torwartwechsel käme für Sie nicht infrage?
Auf keinen Fall! Derartige Spekulationen sind Blödsinn. Wenn es danach ginge, müsste der Trainer die halbe Mannschaft austauschen. In der Hinrunde war Giefer der Gott, nun soll er der Sündenbock sein? Nee, das mache ich nicht mit. Wir sollten uns daran erinnern, wie viele Punkte er uns in der Hinrunde gerettet hat. Sobald ein Torhüter patzt, heißt es, dieser Fehler habe das Spiel entschieden. Verliert allerdings ein Stürmer vorne fahrlässig den Ball und leitet somit einen Konter ein, der zu einem Tor führt, interessiert das – flapsig gesagt – keine Sau. Kurzum: Da müssen sich jetzt alle mal am Riemen reißen, die Arschbacken zusammenkneifen und die Brechstange rausholen. Druck hin oder her.
Der FC Augsburg steht derzeit für Powerfußball und Leidenschaft pur – ein Vorbild?
Na klar! Die Augsburg-Profis wissen, worum es geht und spielen immer volle Kanone nach vorne. Das ist beeindruckend. Genau so stelle ich mir den Auftritt einer Mannschaft vor, die im Tabellenkeller steht. Fortuna dagegen zeigt nicht das Gesicht, das man im Abstiegskampf braucht. Leider. Man sieht, ihnen geht so langsam der Arsch auf Grundeis. Ich hoffe, die Jungs hauen in den letzten Partien alles raus, was sie haben.
In der vergangenen Zweiliga-Saison verlor Fortuna in der Hinrunde kein Spiel, in der Rückrunde dagegen kam die Mannschaft ins Straucheln und rette sich gerade so in die Relegation gegen Hertha BSC. Sehen Sie Parallelen?
Eindeutig! Im letztes Jahr haben sie sich mit Hängen und Würgen ins Ziel gerettet, in diesem Jahr sieht es ähnlich aus. Der Kontrast zwischen Hin- und Rückrunde ist einfach viel zu groß. Unabhängig davon, ob Fortuna die Klasse hält: Der Klub muss dringend aus seinen Fehlern lernen. Wäre Hoffenheim nicht derart abgestürzt, hätte Düsseldorf schon viel früher große Probleme bekommen. Sie haben in der Hinrunde davon profitiert, dass Fürth und Augsburg überhaupt nicht in die Spur gekommen sind.
Hält Fortuna dennoch die Klasse?
Wer seit zehn Spiele sieglos ist, kann nicht leugnen, große Fehler gemacht zu haben. Schönrednerei ist fehl am Platz. Ich drücke der Fortuna natürlich die Daumen, ist doch klar. Ich weiß genau, wie es ist, wenn man unten drin steht, das geht ordentlich an die Psyche.
Wären Relegationsspiele gegen Köln Ihr Albtraum?
(Pause) Daran will ich nicht denken. Und ich glaube auch nicht, dass irgendein Verantwortlicher der Klubs auf ein solches Duell hofft. Das wäre ein Spießrutenlauf.
Marcus Feinbier, Sie erwähnten eben das Wort „Psyche“: Wie haben Sie eigentlich die Monate nach Ihrem Karriereende erlebt? Sind Sie – wie viele Ihrer Kollegen – in das sogenannte Loch gefallen?
Ich habe 23 Jahre Profifußball auf dem Buckel, in der Endphase dachte ich nur noch „Schön, dass es bald vorbei ist“. Ich bin Vater zweier Kinder und wollte nicht mehr quer durch Deutschland tingeln. Ich habe mich auf meinen neuen Lebensabschnitt gefreut.
Sie haben bis vor wenigen Tagen den Bezirksligisten BV Burscheid trainiert und leiten zudem eine Fußballschule in Langenfeld bei Düsseldorf. Einmal Fußball, immer Fußball?
Klar. Ich genieße es, jungen Menschen etwas beizubringen. Die Jungs in meiner Fußballschule sind heiß aufs Training, sie lernen unheimlich schnell. Als Jugendtrainer hat man ständig kleine Erfolgserlebnisse – das schätze ich sehr.
Haben Sie neue Pläne?
Immer (lächelt). Im August eröffnen wir bei Recklinghausen ein neues Fußball-Internat, wir wollen dort Talente aus ganz Deutschland fördern. Ziel ist es, eng mit den Klubs der Region zusammenarbeiten. Es geht darum, Schule und Sport unter einen Hut zu kriegen, denn genau das wird für viele Kinder und Jugendliche zunehmend schwieriger.
Sie selbst haben früher nicht immer alles unter einen Hut bekommen. Sie galten als Riesentalent, sagen aber über sich „Ich hätte mehr erreichen können, wenn ich von Anfang an die nötige Professionalität an den Tag gelegt hätte“.
Vor 25 Jahren wurden Jugendliche ganz anders gefördert und begleitet als heute. Ich spielte damals mit Hertha 03 Berlin gegen Bayer Leverkusen um die B‑Jugendmeisterschaft, als plötzlich Reiner Calmund vorbeikam und mir sagte, er wolle mich nach Leverkusen holen. Ich war stolz und sagte natürlich zu. Wenig später bin ich in den Kader der Bundesligamannschaft gerutscht – ein super Gefühl! Als 17-Jähriger durfte ich im Uefa-Cup spielen, den wir im selben Jahr auch gewannen. Ich war ganz oben.
Wo ist der Haken?
Ich ließ vieles schleifen, es ging für mich damals ja immer nur bergauf. Ich war jung und dachte, es würde immer so weitergehen. Doch solche Gedanken sind fahrlässig. Vielleicht reagiere ich deshalb so empfindlich darauf, wenn heutzutage ein Jugendlicher zufrieden damit ist, was er erreicht hat und im Training zwei Gänge zurückschaltet.
Sie haben doch 69 Bundesliga – und über 270 Zweitligapartien bestritten. Weshalb so bescheiden?
Darauf bin ich auch stolz. Trotzdem wäre für mich mehr drin gewesen. Heutzutage würden mir in einer ähnlichen Situation vermutlich fast täglich Leute in den Hintern treten und dem Schlendrian entgegenwirken. Die Spieler heute werden ja beinahe rund um die Uhr betreut.
Wann haben Sie zum ersten Mal derart reflektiert über Ihre Karriere nachgedacht?
Nachdem ich Anfang der Neunziger von Hertha BSC Berlin zum Wuppertaler SV wechselte. Wir stiegen ab, in die Dritte Liga – ein Horrorszenario! Ich brach mir das Schlüsselbein. Mein erster Gedanke: „Oh, jetzt wird es schwer, Marcus, du musst dich nun hinten anstellen“. Gerd vom Bruch, mein damaliger Trainer, sagte mir, „Junge, du spielst zwar jetzt nur in der Dritten Liga, aber du musst das als Neuanfang betrachten.“ Er hatte recht. Ich musste wieder bei Null anfangen. Erst zu jener Zeit begriff ich, wie schön Fußball sein kann. Aber eben auch: Wie schnell alles vorbei sein kann, Stichwort Verletzung. Plötzlich ist man weg vom Fenster! In Aachen habe ich mich dann zurückgekämpft.
Sie wechselten anschließend zur SG Wattenscheid 09 in die Zweite Liga – und drehten auf.
Ja, ich hatte konsequent auf mein Ziel hingearbeitet, es ging wieder bergauf. Ob in Wattenscheid, Ahlen oder Fürth - ich habe in der Zweiten Liga stets meine Tore gemacht. Obwohl ich mein Potenzial nicht ausgeschöpft habe, sage ich: es war es eine großartige Zeit, die ich niemals vergessen werde.