Florian Neuhaus spielt Traumpässe und ist Mönchengladbachs neuer Shootingstar. Aber wie denkt Coach Marco Rose über den Youngster? Eine Begegnung.
Beim Blick auf die Spielszenen, die einer der Spielanalytiker auf dem Laptop abgelegt hat, sagt der Trainer unvermittelt: „Da sprintet er sogar.“ Er findet nämlich, dass Neuhaus das zu wenig tut. „Er wird nie der wahnsinnige Sprinter werden, aber da sind wir wieder bei Toni Kroos.“ Auch Rose scheint einen der größten deutschen Spieler des letzten Jahrzehnts für die angemessene Vergleichsgröße zu halten. Er schwärmt auch von den für die Körpergröße von 1,83 Metern „feinen Bewegungen“ von Neuhaus, trotzdem hat er ihm gerade zusätzliches Koordinationstraining verordnet. „Flo performt auf einem guten Niveau, aber da schlummert noch echt viel“, sagt der Trainer.
Doch wenn er nun ganz selbstverständlich eine zentrale Rolle bei einem Spitzenklub der Bundesliga bekleidet, in der Champions League glänzt und von seinem Trainer mit dem großen Toni Kroos verglichen wird, wird er dann eines Tages ein Weltklassespieler? „Es wäre schön, wenn er sich da hinentwickelt. Ich halte gar nichts für ausgeschlossen. Ihm steht alles offen als Typ, Charakter und Talent“, sagt Rose und schaut dann etwas beunruhigt. In seinem Kopf formiert sich vermutlich gerade eine Überschrift, die er nicht haben will: „Rose sagt Neuhaus Weltklassekarriere voraus“. So was hilft ja selten weiter.
Auf der anderen Seite passt das zum Denken, das der Trainer in Gladbach etabliert hat: „Wir reden seit anderthalb Jahren darüber, dass wir als Mannschaft Grenzen verschieben wollen.“ Dazu gehört auch, gegen Inter Mailand oder Real Madrid nicht nur staunend mitzuspielen, sondern die großen Gegner besiegen zu wollen.
Rose ist ein charismatischer Mann, der groß denkt. Seine Spieler verehren ihn nicht nur, weil er nahbar ist oder sie mit guten Matchplänen ins Spiel schickt. Er gibt ihnen auch ein Gefühl für das, was noch möglich ist. Neuhaus ist vielleicht das Musterbeispiel dafür, aber beileibe nicht der einzige Profi mit Potential. Die Mannschaft ist jung, die Spieler sind noch nicht am Ende ihrer Entwicklung: Marcus Thuram, Breel Embolo, Denis Zakaria oder Rocco Reitz sind so alt wie Neuhaus oder jünger. Seit Rose in Gladbach ist, wirkt selbst der deutlich ältere Jonas Hofmann wie neu erfunden, und Christoph Kramer ist als Sechser neben Neuhaus zum Elder Statesman des Gladbacher Spiels geworden. Die beiden sind befreundet und haben eine Fahrgemeinschaft von Düsseldorf zum Training.
„What you think is what you get“, sagt Rose noch. Du bekommst das, was du denkst. Das ist bei Florian Neuhaus zunächst mal Fußball, Fußball und noch mal Fußball. Einerseits als Denksport: „Das Spannende am Fußball ist, dass eine Aktion immer eine Gegenaktion hat.“ Wie das geht, studiert er zu Hause am Fernseher bis zur Bewusstlosigkeit, als Nährlösung für die Spielintelligenz. „Ich hab auch ein Magenta-Abo, um die Dritte Liga sehen zu können.“ Über sein Verhältnis zum Fußball hat er in einem Interview mal schwärmerisch gesagt: „Liebe trifft es schon ganz gut.“ In seiner Berufsgruppe ist diese Form von Begeisterung nicht unbedingt selbstverständlich.
Aber da ist nicht nur das Denken an den Fußball und sein dort schlummerndes Potential, sondern auch eines an Kaufering. Die Heimat ist sein Sehnsuchtsort, so oft es geht, kehrt er zurück. Die Familie wohnt nach wie vor dort, ebenso wie seine Sandkastenfreunde, mit denen er früher gekickt hat und die immer noch seine besten Freunde sind. Nur einer ist nach Köln, um dort Medizin zu studieren. Im Frühjahr, als der Einzelhandel in seinem Heimatort unter dem Lockdown ächzte, hat er den Kauferingern eine Viertelmillion Euro gespendet, ohne eine große Nummer daraus zu machen. Neuhaus hat dazu was vom besten Eis der Welt erzählt, das es angeblich in Kaufering gibt, und von dem Laden, wo er immer seine Panini-Bilder gekauft hat. Der Bürgermeister hat sich um die Verteilung der Spende gekümmert, die Sportvereine haben natürlich auch was abbekommen.
Daheim hat sich sein Vater übrigens einen „Bayern-Keller“ eingerichtet, wie Florian Neuhaus ihn nennt. Der Papa ist glühender Bayern-Fan mit Jahreskarte, und dieser Raum ist ausstaffiert mit allerlei Devotionalien und Trikots, das Vereinswappen gibt es als Mosaik auf dem Boden. „Ich glaube, mein Vater war sogar sauer, als wir gegen Bayern gewonnen haben“, sagt er und muss lachen. Gesagt hat sein Vater zwar nichts, aber er hat ja auch ein Jahrzehnt nicht darüber geklagt, dass Florian bei den Blauen spielte und nicht bei den Roten. Wobei in dieser Frage das letzte Wort vermutlich noch nicht gesprochen ist.
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