Florian Neuhaus spielt Traumpässe und ist Mönchengladbachs neuer Shootingstar. Aber wie denkt Coach Marco Rose über den Youngster? Eine Begegnung.
Ein Junge vom Land also, der eher wohlbehütet aufgewachsen ist, Johan Micoud bewunderte, Diego und später auch Kevin De Bruyne und Toni Kroos. Dessen Karriere nicht von Anfang an interstellare Vorzeichen hatte. Er galt zwar stets als Talent, sei aber, so sein Jugendtrainer Sepp Steinberger, ein „retardierter Spieler“ gewesen. Das klingt abschätzig, ist aber Nachwuchsfußballjargon und meint, dass seine körperliche Entwicklung etwas hinterherhinkte. Es dauerte daher auch, bis er zum ersten Mal in eine Jugendnationalmannschaft berufen wurde, in die U20. Noch heute sieht Neuhaus jünger aus als 23 und wirkt eher jungenhaft als männlich, aber das ist eine optische Täuschung.
Letztlich ist seine Karriere in keinem Moment ins Schlingern gekommen. Dabei wurde er gerade in der Saison 2016/17 Profi, die bei 1860 mit dem chaotischen Abstieg aus der zweiten Liga endete, mit haufenweise Trainerwechseln und Ausschreitungen nach dem letzten Spiel. Das war nicht leicht, aber so richtig verunsichert hat es ihn nicht. Danach verpflichtete ihn Borussia Mönchengladbach und lieh ihn sofort zu Fortuna Düsseldorf aus. Zwanzig Jahre alt war Neuhaus und wohnte zum ersten Mal nicht mehr zu Hause. „Es war beeindruckend, wie er sich bei uns durchgesetzt hat“, erzählt Friedhelm Funkel, damals sein Trainer. Neuhaus war mitentscheidend dafür, dass die Fortuna den Aufstieg in die Bundesliga schaffte. Nach diesem Jahr holte ihn die Borussia dann zu sich. „Auch hier hatte ich relativ wenig Anpassungsschwierigkeiten“, findet er selbst.
Das Schöne am Flo ist, dass er so angenehm selbstbewusst ist. Er behauptet es nicht nur, sondern ist es wirklich“
Jugendtrainer Steinberger sagt über Neuhaus, der sei früher „neben dem Platz ganz ein Braver“ gewesen. Friedhelm Funkel meint: „Das ist ein total netter Junge.“ Und Marco Rose bezeichnet ihn als „sehr reflektierten, wohlerzogenen Jungen“. Fraglich, ob ein 23-Jähriger so was über sich hören will. Aber Rose will sowieso auf etwas anderes hinaus: „Das Schöne am Flo ist, dass er so angenehm selbstbewusst ist. Er behauptet es nicht nur, sondern ist es wirklich.“ Oder wie Gladbachs Co-Trainer René Maric es ausdrückt, als er noch kurz vorbeischaut: „Der Flo ist total bei sich.“
Selbstverständlich ist das keineswegs, bei nicht wenigen Fußballprofis gilt das Gegenteil. Sie sind außer sich, was kein Wunder ist bei dem Irrsinn, den ihr Beruf mitbringt. Das öffentliche Interesse, überschwängliches Lob, vernichtende Kritik, andauernder Leistungsdruck machen es alles andere als einfach, bei sich zu bleiben. Aber für Florian Neuhaus ist der Rasen seit er denken kann ein Schutzraum. „Fußball hat mir immer Halt gegeben, wenn es mal nicht so lief, etwa in der Schule. Der Ball war mir stets wie angewachsen.“
„Bei der Nationalelf hatte ich nicht den Eindruck: Boah, hier komme ich aber nicht mit“
Glücklich darf sich preisen, wer so was über sich sagen kann. Letztlich führt das auch dazu, dass der vermeintlich brave Spieler das gar nicht ist. „Er beteiligt sich extrem aktiv am Spiel mit dem Ball. Ein braver Spieler traut sich das nicht. Nur freche und mutige Spieler holen sich Bälle in jeder Situation ab“, sagt Rose.
So wie neulich bei der Nationalmannschaft, zu der er in diesem Jahr erstmals eingeladen wurde. „Ich hatte nicht den Eindruck: Boah, was ist denn hier los, ich komme gar nicht mit“, sagt Neuhaus selbstbewusst. Dabei verschuldete er bei seinem Debüt, dem 3:3 gegen die Türkei in Köln, gleich ein Gegentor. Im Spielaufbau wurde er von einem türkischen Angreifer attackiert. „Ich stelle meinen Körper dagegen, dass er mich so trifft, dass es Foul gibt. Aber es gab kein Foul.“ Der Schiedsrichter pfiff nicht, der türkische Spieler hatte freie Bahn zum Tor und traf. Es sei ein Fehler gewesen, sich fallenzulassen, sagt Neuhaus und zuckt mit den Achseln. Das ist halt das Berufsrisiko auf dieser Position, wo Mut verlangt wird.
Voraussetzung für diesen Mut ist, dass ein Spieler das Spiel versteht. Oder vielleicht ist das auch die Basis dafür, im richtigen Moment mutig zu sein und nicht im falschen übermütig. Spielintelligenz haben sie ihm schon in der Jugend attestiert, erzählt Neuhaus. „Ich würde sogar von Spielgefühl sprechen“, sagt René Maric, um das Intuitive in den Aktionen des Mittelfeldspielers noch zu unterstreichen.
In vielem ähnelt er darin Toni Kroos, dem Helden von Neuhaus’ Teenager-Jahren. Beide spielen nicht nur auf ähnlichen Positionen, beide sind auch keine verschwitzten Kämpfer, sondern elegante Strategen, die das Spiel analytisch gestalten. Sie sind den Ereignissen auf dem Rasen meist zwei Schritte voraus. „Das halte ich angesichts des immer höheren Tempos im Fußball für eine wichtige Gabe“, sagt Neuhaus. Und wie Kroos zieht er aus all dem jenes Selbstbewusstsein, von dem Rose gesprochen hat. Ein Selbstbewusstsein, das kein phantastisches Größenselbst meint, sondern was das Wort eigentlich bezeichnet: sich seiner selbst bewusst zu sein.