Die Türkei verkündet den Austritt aus der Istanbul Konvention. Dafür hagelt es international Kritik. Dieser hat sich nun auch Spitzenklub Fenerbahce angeschlossen. Ein wichtiges Zeichen im politisierten Fußballgeschäft der Türkei.
„Gewalt gegen Frauen ist ein Verbrechen!“ Mit dieser klaren Stellungnahme meldete sich Fenerbahce Istanbul jüngst zu Wort. Der türkische Spitzenverein teilte auf seiner Vereinsseite und via Twitter mit, dass die Verantwortlichen den Ausstieg der Türkei aus dem Frauenrechtsabkommen bedauern. Dem Klub sei die Gleichstellung von Geschlechtern ein wichtiges Anliegen. Dies habe der Verein auch selbst vorgemacht und verwies auf die Unterstützung der „HeForShe“-Kampagne der UN Women. Mit dieser Erklärung positionierte sich Fenerbahce Istanbul klar und deutlich gegen den geplanten Austritt der Türkei aus der Istanbul Konvention.
Diese hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan 2011 noch als Ministerpräsident am namensgebenden Ort eigenhändig unterzeichnet. Die Istanbul Konvention hat zum Ziel, Gewalt gegen Frauen zu verhindern und zu bekämpfen. Mit dem Ausstieg wird befürchtet, dass sich die Situation weiter verschlimmern könnte. Die türkischsprachige Plattform gegen Frauenmorde geht von über 300 Femiziden im vergangenen Jahr aus. Doch nicht nur Frauen fürchten um ihre gesellschaftliche Stellung.
Der Kommunikationsdirektor des Präsidentenpalasts, Fahrettin Altun, hat den Ausstieg damit begründet, dass die „Istanbul-Konvention ein Versuch der LGBT-Gemeinschaft ist, der gesamten Gesellschaft ihre Gender-Vorstellungen aufzuzwingen.“ Mit dieser unverhohlenen öffentlichen Stigmatisierung könnten auch Angriffe auf die LGBTI+-Gemeinschaft anwachsen, gibt Autor Kültigin Kaan Akbulut in der Tagessschau zu Bedenken.
Dass Fenerbahce Istanbul sich nun klar gegen den Ausstieg positioniert hat, ist zugleich eine klare Spitze gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan. Erdogan ist bekennender Fußballfan und verkappter Anhänger von Fenerbahce. Verkappt, weil seine Versuche, den erfolgreichsten türkischen Fußballverein für sich zu instrumentalisieren, schlicht nicht aufgegangen sind. Stattdessen hat der türkische Präsident mit einem anderen Istanbuler Verein vorliebnehmen müssen, und zwar nicht Galatasaray oder Besiktas. Sondern mit dem Vorstadt-Hauptstadtverein Istanbul Başakşehir FK. Und das auch nicht ohne Erfolg. Schließlich wurde Başakşehir im vergangenen Jahr Meister.
„Ich glaube, dass Fußball und Politik viel gemeinsam haben. Der Wettkampf ist der Kern von beiden, Fußball und Politik. Mein Trainer sagte mir früher immer: Junge, du musst den Ball fressen“, sagte Erdogan bei einer Rede vor vier Jahren. Dieses Bild hat sich Erdogan zu eigen gemacht und einen Narren am Fußball gefressen. Mit seinem sturen Kurs hat er gar ewig Verfeindete zusammengebracht.
Im Zuge der Taksim-Gezi-Park-Proteste im Jahr 2013 legten die drei großen Istanbuler Klubs ihre jahrzehntelange Rivalität ab und gingen gemeinsam gegen Erdogan auf die Straße. Fans von Galatasaray, Besiktas und Fenerbahce Istanbul protestierten Seite an Seite für den Erhalt der Grünfläche in der zubetonierten Hauptstadt. Bei der Feindschaft, die die Klubs gegeneinander hegen, ein fast unwirkliches Bild. „Es geht nicht mehr um die Vereinsfarben“, sagte damals ein Anhänger von Fenerbahce im Interview mit 11FREUNDE. Doch auch von solch offenkundigen Aversionen der Hauptstadtanhänger ließ sich Erdogan keinesfalls irritieren – im Gegenteil.
Der türkische Präsident hat in den vergangenen Jahren schon die ein oder andere Arena – pardon: das ein oder andere Stadion eröffnet. (2017 veranlasste Erdogan, dass die Namen von Fußballtempel künftig nicht mehr das Wort „Arena“, sondern „Stadion“ enthalten sollen. Exemplarisch könnte man das Recep Tayyip Erdoğan Stadı anführen, Heimstätte des regierungstreuen Vereins Kasımpaşa Istanbul. Aber zurück zu den Stadioneröffnungen.)
Vor fünf Jahren wurde das neue Stadion von Besiktas Istanbul eingeweiht. Natürlich von Erdogan persönlich. Auf der Tribüne fanden sich zahlreiche Politiker und Prominente wieder. Ein Fest im kleinen Rahmen, denn die Anhänger von Besiktas waren gar nicht dabei. Diese waren erst am Tag nach der offiziellen Einweihung im Stadion, als Besiktas sein erstes Heimspiel in der neuen Spielstätte austrug. Die Einweihung des Stadions war ursprünglich für das Spiel vorgesehen. Erdogan verschob den feierlichen Moment kurzerhand auf den Vortag. Das sorgte am Spieltag bei den als linksgerichtet eingestuften Anhängern von Besiktas für Unmut, wogegen die Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern vorging.
Eine andere Stadioneröffnung nutze der türkische Präsident, um sich knall orange in Szene zu setzen. Beim Einweihungsspiel der neuen Heimspielstätte von Başakşehir im Jahr 2014 spazierte Erdogan persönlich über einen kleinen Fußballplatz. Er avancierte beim Kick mit einem Dreierpack zum Matchwinner. Die Tore, bei denen sich Erdogans Gegenspieler in Slow-Motion bewegen, sind auf YouTube zu sehen. Den Auftritt bei der Stadioneröffnung kann man als Kuriosität eines selbstverliebten Autokraten verbuchen, den Stadionbau wiederum als Beispiel für Vetternwirtschaft.
Verantwortlich für den Bau des Basaksehir-Fatih-Terim-Stadion war die Kalyon Group, die zugleich für den neuen Istanbuler Flughafen zuständig war. Auch für den Umbau des Taksim-Gezi-Parks wurde der Konzern beauftragt. Was sich an diesem Platz bis heute nicht geändert hat, ist, dass dieser weiterhin Schauplatz der Auseinandersetzung ist. Am 21. März besuchte Präsident Erdogan die Baustelle einer Moschee auf dem Taksim-Gezi-Park. Wenige Stunden, nachdem die die Türkei den Austritt aus der Istanbul Konvention verkündet hatte. Keine zwei Wochen zuvor, am internationalen Weltfrauentag, gingen Frauen und Vertreter der LGBTI+-Gemeinschaft auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Seit dem Austritt der Türkei dauern diese Proteste nun an. Mit Fenerbahce Istanbul wissen die Demonstrierenden nun auch ein sportliches Schwergewicht offiziell auf ihrer Seite.