Es dauert noch etwa eine Dreiviertelstunde, bis Mainz 05 zum ersten Mal international mitspielen darf. Im Stadion der Republik in Armeniens Hauptstadt Jerewan werden rund
200 Mainzer Fans von der nahezu leeren Haupttribüne in die vollkommen leere Ostkurve verwiesen. Da marschiert auch schon die erste Hundertschaft des armenischen Militärs ins
Stadion ein. Hier werden noch UEFA-Sicherheitsbestimmungen ernst genommen, wundert man sich im kleinen Fanlager, das per Charterflieger zum ersten Europapokal-Auswärtsspiel der Mainzer Fußballgeschichte eingeflogen ist.
Doch dies war nur der erste Streich, die zweite Hundertschaft folgt sogleich. Eilt den Mainzer Fans an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien, trotz der Qualifikation für den internationalen Wettbewerb via Fairplay-Wertung der UEFA, solch ein Schrecken erregender Ruf voraus? Die dritte Hundertschaft marschiert ein. So langsam fürchtet Jürgen Klopp trotz des 4:0‑Sieges im Hinspiel um den Einzug in die zweite Runde der UEFA-Pokal-Qualifi kation. „Die wollen uns doch wohl nicht einschüchtern?“, fragt sich der 38 Jahre alte 05-Trainer. „Ich fühle mich ein wenig wie Rocky im Kampf gegen Ivan Drago.“
Sylvester Stallone musste einst im Film in einer Halle voll russischer Soldaten gegen das Böse kämpfen. Erst langsam stellt sich zur Beruhigung der Mainzer heraus, dass offenbar das gesamte armenische Militär frei bekommen hat, um das ansehnliche Stadion ansatzweise zu füllen. Sogar eine Blaskapelle haben die Soldaten mitgebracht, die sich beim Marsch durch den Mainzer Block mit den sangesfreudigen Gästen aus der Fastnachtshochburg im musikalischen Wettbewerb übt.
Fast die Hälfte der rund 5000 Zuschauer sitzt uniformiert auf den Tribünen. Daneben sticht eigentlich nur noch Arkadi Andreasyan aus dem Publikum heraus. Der sitzt ganz oben in der hintersten und schattigsten Ecke der Haupttribüne. Der 58-Jährige personifizert die Blütezeit des heutzutage drittklassigen Fußballs in der Kaukasus-Republik. Damals spielte Ararat Jerewan im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister gegen Bayern München. Die mit fünf Weltmeistern gespickte Startruppe war Titelverteidiger, hatte das Hinspiel in München dank zweier Tore in den Schlussminuten gewonnen. Im Rückspiel aber gerieten die Bayern ins Wanken wegen dieses Andreasyan, der den einzigen Treffer des Spiels zum größten Erfolg der Armenier aus dem Jahr 1975 erzielte und sich heute erinnert: „Wir hatten die Bayern beinahe schon gekippt.“
Danach waren sie aber zwei Jahre lang nicht mehr so knapp vor dem Ausscheiden aus dem Europapokal.“ Anders gesagt: Andreasyans Heldentat hat die Bayern erst beflügelt, zu weiteren europäischen Glanzleistungen. Mainz 05 hat Andreasyans Anwesenheit nicht zu ähnlichen Höhenflügen angestachelt. Nach dem 0:0 steht nun in der nächsten Runde wenigstens eine klimatische Entspannung an: Die nächste Expedition in Europa führt die 05er nach Keflavik in Island.