Nach 8:32 Minuten war der neue Rekord gebrochen, denn just in diesem Moment begannen die deutschen Zuschauer im Stadion von Düsseldorf zaghaft mit etwas, das man mit etwas gutem Willen „rhythmisches Klatschen“ nennen könnte. Erleichterung machte sich breit, sie waren also nicht tot.
Achteinhalb Minuten Schweigen bei einem Fußballspiel kann nämlich eine verdammt lange Zeit sein, wenn der Gegner sich mit Enthusiasmus aufs eigene Team stürzt und dessen Fans in der Kurve dazu begeistert ausrasten. Blöd war beim Länderspiel zwischen Deutschland und Belgien in Düsseldorf nur, dass der Schweigerekord der heimischen Zuschauer gar nicht als solcher gemeint war. Es ging auch nicht darum, durchs Maulhalten seinem Protest gegen irgendwas Ausdruck zu geben. Die so genannten deutschen Fans saßen da einfach nur rum und machten nichts.
Die Esprit-Arena hat den Charme einer Messehalle
Nicht einmal der alte Spottgesang „Ihr seid leiser als Fortuna Köln“ war hier angebracht, denn ich bin oft genug bei Fortuna Köln gewesen, um bezeugen zu können, dass es dort niemals so leise war. In Düsseldorf wurde es während des Spiels sogar so still (die Belgier gaben aus Frust über den Rückstand, der da über sie gekommen war, irgendwann auch weitgehend Ruhe), dass man nicht mal mit seinem Nebenmann zu reden wagte. Die Spieler hätten es hören können und Sami Khedira einen womöglich gerüffelt, dass dieses Gerede „respektlos“ sei. Und wer will das schon.
Nun ist die so genannte Esprit-Arena mit ihrer kunterbunten Kita-Bestuhlung und dem Charme einer Messehalle auch ein besonders geistesverlassener Ort. Man irrt hier verzweifelt durch Treppenhäuser, die einem zum Parkplatz von DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger („Guten Abend, dann wollen wir mal“) führen oder zu Logen, in denen Hostessen im Minirock offenbar zur Endausscheidung für „Das schöne Bein 2011“ Aufstellung nehmen, aber nicht zwangsläufig zum eigenen Platz. Der Rasen in dem blöden Kasten ist auch schrecklich, aber das sind natürlich alles keine Ausreden. Wir müssen einfach festhalten: Die deutsche Nationalmannschaft spielt inzwischen einen Fußball, so schön wie zuvor allenfalls die Europameister von 1972. Und auf den Rängen sitzen Zehntausende von Problemfans, die nicht mehr wissen, wie man sich bei einem Fußballspiel benimmt. Vielleicht hat diesen Leuten einfach niemand erklärt, dass man die Spieler durch Zurufe, Gesänge und sonstige durchaus lautstarke Bekundungen nicht stört, ja vielleicht sogar ermuntert. Vielleicht sind diese Schweiger aber auch durch das Pre-Match-Gedröhne und das Halbzeit-Gedröhne im Stadion so erschöpft, dass sie sich danach nur noch Stille wünschen.
Die Nationalmannschaft als Anziehungspunkt für Deutschlanddeppen
Es soll hier nicht unterschlagen werden, dass einmal sogar das ganze Stadion einen Sprechchor anstimmte, der aber gleich auch wieder der dämlichste und einfallsloseste war, nämlich: „Olé, olé , olé, super Deutschland, olé, olé , olé“. Himmel hilf! Und wir wollen auch nicht vergessen, dass die deutsche Nationalmannschaft immer schon ein Anziehungspunkt für so genannte Deutschlanddeppen war. Dabei handelt es sich um Menschen, die normalerweise nicht ins Stadion gehen und daher bei Spielen der Nationalmannschaft entweder völlig ahnungslos sind oder meinen, man müsse sich dort wie in einem Drei-Sterne-Restaurant benehmen. Wahrscheinlich machen sie sich vorher die Fingernägel sauber und putzen sich die Schuhe. Selbst wenn Löws Kicker inzwischen sogar wirklich Drei-Sterne-Fußball spielen, kommen inzwischen aber nur noch solche Trantüten. Und so kann es natürlich nicht weitergehen! Diese so genannten Fans müssen, so macht man das halt in Deutschland, einer pädagogischen Maßnahme unterzogen werden: Sie brauchen ein Fanprojekt!
Wie das aussehen soll, darum sollen sich Sozialwissenschaftler und Fanforscher kümmern. Aber als kleine Anregung sei gesagt, dass man bei dieser Gelegenheit auch noch der unseligen Diskussion um Stadionverbote eine neue Wendung geben könnte. Man stelle dazu einem deutschen Problemfan einen so genannten Stadionverbotler zur Seite, der diesem dann in einer Sozialstunde beibringt, wie man eine Fußballmannschaft unterstützt. Dafür würde dann seine Verbotszeit vom Fußball reduziert und aus zwei Problemkindern würden zwei Musterfans. Ok, war nur ‚ne Idee, aber unter dem Reizentzug im Fußballstadion kommt man halt auf so was.