Mit West Ham United geht es seit dem Umzug ins London Stadium bergab. Am Wochenende tobte ein wütender Mob unter der Vorstandsloge. Warum ein Ausweg nicht in Sicht ist.
John Motson hat in seinem Leben eine ganze Menge Fußballspiele gesehen. Der 72 Jahre alte Sportkommentator der BBC gehört in England zu den berühmtesten Radio- und TV-Stimmen. Er war vor Ort, als die Lage im London Stadium eskalierte.
„Das war der furchterregendste Moment, den ich je in einem Stadion miterlebt habe“, sagte er später. Wenn es nicht eine Pufferzone zwischen der Vorstandsloge und den marodierenden Fans gegeben hätte, „dann glaube ich, dass jemand ernsthaft hätte verletzt werden können.“
Verständnis für die Fans
Der ehemalige West-Ham-Spieler Trevor Brooking, heute 69 Jahre alt, wurde in der Presse mit einer ähnlichen Einschätzung zitiert. „Ich glaube, eine Münze hat David Sullivan an der Brille getroffen. Ich habe es selbst nicht gesehen, aber es wurde mir bestätigt“, sagte Brooking. „Ich habe gesehen, wie Familien das Stadion vorzeitig verließen, weil ihre Kinder Angst hatten.“
Kapitän Mark Noble zeigte trotz seiner Verachtung für die Tumulte auch Verständnis für den Ärger der Fans. „Jedes Mal, wenn wir verlieren, kriegen wir und der Vorstand Prügel. Das ist so, seit wir in dieses Stadion gezogen sind. Die Fans haben genug.“
Ein schlechter Versuch, wie Arsenal zu sein
Aber was genau läuft schief bei den „Hammers“? Rob Armstrong ist Fan von West Ham United und als solcher immer wieder mit Einschätzungen über das Geschehen bei seinem Klub in verschiedenen Medien zu sehen. Im Gespräch mit 11FREUNDE sagt er: „Der Vorstand hat die Fans in den vergangenen Jahren rücksichtslos und wiederholt belogen. Die meisten Fans wollten nicht in das neue Stadion umziehen, aber sie haben es akzeptiert, weil ihnen gesagt worden war, damit erreiche man das nächste Level. Mehr Geld für Transfers, größerer Erfolg und so weiter. Aber der Umzug ist ein Desaster!“
Statt den Kader zu verbessern, gebe West Ham sogar Spieler ab, ohne sie adäquat zu ersetzen. „Die Pfennigfuchserei und die armselige Transferpolitik regen die Leute auf. Uns fehlen gute Spieler, und dann verkaufen wir auch noch José Fonte ohne Not nach China und holen keinen Ersatz“, sagt Armstrong allein mit Blick auf den Winter: „Wir haben André Ayew an Swansea verkauft, einen Konkurrenten im Abstiegskampf, und keinen Ersatz geholt. Wir machen Profit und werden auf dem Platz immer schlechter.“
Verschwindet die Identität?
Den Umzug in das neue Stadion bewertet er zudem als Teil des Versuchs, seinem Verein einen neuen Charakter überzustülpen. „West Ham ist nicht mehr West Ham. Wir sind ein schlechter Versuch, Arsenal zu imitieren. Wir waren immer mies, das ist okay, daran sind wir gewohnt. Aber wir hatten eine Seele, eine Identität. Das neue Stadion ist ein Symbol für das Arsenal-Franchise, das aus uns geworden ist.“
In West Hams berühmtestem Fan-Gesang heißt es im Refrain: „I’m forever blowing bubbles, pretty bubbles in the air. They fly so high, nearly reach the sky, then like my dreams, they fade and die.“ Die Seifenblasen verblassen, bis sie schließlich ganz verschwinden. Die Fans haben Sorge, dass es der Identität ihres Klubs eines Tages genauso ergehen könnte.