Was den Amateurfußball ausmacht? Die Edelfans, die Allesmacher, die Vereinsseelen. Kurz: seine Menschen. Hier kommen ganz besondere, die wir am Tag der Amateure kennenlernen durften.
Von Juri Lietz
„So lang, wie ich zum Fußball geh‘, hatte ich nur Erkenschwick im Kopp.“ Für Ingo Nickl ändert sich das auch in der sechsten Liga nicht. Jedes Wochenende steht der 59-Jährige an westfälischen Sportplätzen, um seine Spielvereinigung zu sehen – und das schon seit mehr als einem halben Jahrhundert. Als Nickl mit acht Jahren von Vater, Bruder und zwei Onkels erstmals mitgenommen wurde, stand es um den Malocher-Klub aus dem Pott noch besser. Erkenschwick war in der zweiten Liga etabliert, und das mit Spielern, die meist selbst noch Bergmänner waren. „Früher kamen alle vom Pütt. Das große Geld gab’s hier nie, Erkenschwick hat immer von der Mentalität gelebt“, sagt Ingo.
Er selbst lebt diese Mentalität auf der Tribüne mit. Als Dreikäsehoch im vollen Stadion – „10.000 waren keine Seltenheit“ – musste er noch das Dosenbier für die Älteren holen, die kein Tor verpassen wollten. Jetzt gehört er zu den paar Hundert, die in der Verbandsliga die Stellung halten, und ist Teil der aktiven Fanszene. Die setzt sich aus motivierten Mittzwanzigern, Jugendspielern, dem zweiten Vorsitzenden und eben Schlachtrössern wie Ingo zusammen. Letzterer geht mit dem Megafon voran. Als Institution im Block nennen sie ihn hier deshalb alle nur „Manolo“. Und ja, natürlich hat Manolo auch schon Gladbach in Erkenschwick spielen gesehen, damals, 1993, im Pokal.
Heute geht’s gegen Teams wie Espelkamp oder Rödinghausen II. Selbstredend wird der geliebte ESV auch auf Auswärtsfahrten begleitet. „Da treffen wir uns immer zum Frühschoppen in meiner Wohnung, und dann steigen wir in den Bus“, erläutert der gelernte Maurer das Protokoll. Die Mannschaft dankt es ihm. Newcomer Isensee hat sogar schon Oberliga gespielt, aber angesprochen auf Fans wie Manolo meint er doch: „Das ist hier einzigartig.“ Manolo selbst wird wohl auch Isensees Generation vorüberziehen sehen, ganz wie die der letzten fünf Dekaden. Wie erklärt er das alles eigentlich seiner Lebensgefährtin? „Zweite Liebe“, sagt Ingo. „Kannste ruhig so schreiben.“ Na dann. Auf die nächsten fünfzig!
Von Felix Rathfelder
Im Mannschaftsbus der Profimannschaft vom 1. FC Nürnberg wurden sie damals abgeholt. Beim kicker hatten David Günther und der SV Traktor Schlalach ein Abschiedsspiel gewonnen. Im legendären Max-Morlock-Stadion sollte die Karriere von Günther standesgemäß gefeiert werden, wobei standesgemäß maßlos untertrieben ist. Nicht nur Günther selbst berichtet davon auf Nachfrage, welche Highlights der Verein erlebt habe, sondern auch sein Bruder Olaf, der gemeinsam mit David und ihrem Cousin Marcel 2002 den Verein gegründet haben. Zum Pokalsiel gegen Viktoria Potsdam haben sich mal wieder alle versammelt.
Seit der Gründung sind zwanzig Jahre vergangen, in denen David Günther hier so gut wie alle Funktionen durchlaufen hat, die es so gibt. Er ist Trainer der Herrenmannschaft, war bereits Kapitän, Co-Trainer, Platzwart und Vorstandsmitglied. Obendrein erzielte er 248 Treffer in 447 Punktspielen für Traktor. Nur Stadionsprecher war er nie, diese Funktion übt sein Bruder Olaf aus. Eine Two-Brother-Show ist der Verein aber keinesfalls, im Gegenteil: Immer wieder verweist David auf die vielen helfenden Hände, berichtet von Edelfan Christa und ihrem Panflöten-artigen Musikinstrument, mit dem sie zu jedem Spiel reist und das Team anfeuert. Es benötig viel Unterstützung, einen ganzen Verein zu betreiben, der nur eine Mannschaft hat, aber keine Jugendabteilung, weil es im Umland einfach zu viele Vereine gibt.
Während des Spiels fällt auf, dass im Team von Traktor nur eine Person nicht-schwarze Fußballschuhe trägt. „Eine inoffizielle Regel“, sagt Trainer und Rekordspieler David Günther. Inoffiziell, „aber trotzdem im Strafenkatalog festgehalten“. Günther lacht. Trotz lediglich 299 Einwohnern hat er maßgeblichen Anteil daran, dass hier im Süden Potsdams eine kleine Fußballliebhaber-Oase aufrechterhalten wird.
Von Vinzent Tschirpke
Heimspiel-Sonntag für den TSV Hüttlingen bei Aalen: Gegen 14 Uhr kommt Wolfgang Däuble auf einer Krücke abgestützt auf den Sportplatz gelaufen. „Jupp“, wie man ihn hier nennt, ist weder zu übersehen noch zu überhören. Er redet laut, gestikuliert viel. Seine tiefe Stimme lässt jeden Subwoofer vor Neid erblassen. Jupp geht durch das Eingangstor und setzt sich wie immer auf eine Holzbank unweit des Spielfelds.
Von dort aus wird über den Schiedsrichter, die Platzverhältnisse und das Leben sinniert – wenn er dazu kommt. Keine Minute vergeht, in der kein Zuschauer oder Spieler vorbeikommt, um ihn zu begrüßen oder mit ihm zu reden. Er sitzt auf seiner Bank wie Don Vito Corleone – nicht in New York, sondern in Hüttlingen. Die Leute kommen zu ihm, anders als in „der Pate“ aber nicht aus Ehrfurcht oder Angst, sondern aus Respekt und weil er immer etwas zu erzählen weiß. Er ist mit seinen 90 Jahren 15 Jahre älter als der Verein und gehört damit zum Inventar des TSV Hüttlingen.
Geboren ist Wolfgang Däuble in Stuttgart. Dort lebte er, bis das Haus seiner Familie im zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Sein Vater fand nach dem Krieg auf der Ostalb Arbeit und baute in Hüttlingen das neue Zuhause für sich und seine Familie. Zum Fußball kam Wolfgang durch Geflüchtete aus Ungarn, mit denen er auf der Straße anfing zu kicken und die ihm seinen bis heute geltenden Spitznamen verpassten. Seit 1948 ist Jupp Mitglied im Verein und Teil der allerersten Fußballmannschaft des TSV Hüttlingen. Er spielte bis die Knie nicht mehr wollten, danach war er „Mädchen für alles“: Betreuer, zweiter Abteilungsleiter, Jugendtrainer und im Ausschuss tätig. Aber vor allem war er immer eins: Fan.
Am heutigen Tag der Amateure schlugen sich die Mannschaften seines TSV Hüttlingen insgesamt wacker. Die Damenmannschaft verlor knapp, die zweite Herrenmannschaft feierte einen Kantersieg und die erste Mannschaft musste sich gegen Bezirksliga-Absteiger SSV Aalen in einem hitzigen Spiel mit 1:2 geschlagen geben. Der redselige Jupp ist allerdings nicht enttäuscht: „Ob Niederlage oder Sieg, der Fußball geht immer weiter.“
Es ist mittlerweile 17:30 Uhr – Jupp muss jetzt gehen, er fährt mit seiner Frau zum Stammtisch ins „Kreuz“ in die Nachbargemeinde Buch. Dort werden die Kreisliga-Ergebnisse der Region diskutiert. Zum Abschied singt er noch mit sonorer Stimme: “Haben wir ein Spiel verloren ist es nicht so schlimm. Müssen wir noch mehr trainieren, dass wir‘s nächstes Mal gewinn‘!“ Amen.
Von Jannes Standke
Trainer und Trainerinnen aus der Kreisliga kennen das Problem: Am Vorabend vor einem Punktspiel flattern kurzfristig über die mannschaftsinterne WhatsApp-Gruppe oder auf anderem Wege reihenweise Absagen ein. Um die Personalprobleme aufzufangen, ist Kreativität gefragt. Der Ü40-Torwart wird reaktiviert, der Stürmer aus der A‑Jugend hochgezogen oder der Flügelflitzer muss halt an einem Tag für beide Herrenteams auflaufen. All das sind moderne Helden.
Auch die Mannschaften der SG Elbdeich bleiben vor solchen Personalengpässen nicht verschont. Ein Glück, dass sich die Spielgemeinschaft von der Elbe auf besonders engagierte Spieler, sprich Helden, verlassen kann. So läuft beispielsweise Innenverteidiger Jannes Standke in der Not auch für die zweite Mannschaft der SG Elbdeich auf, wenn mal wieder Spieler fehlen.
Ein besonderes Engagement für die Spielgemeinschaft von der Elbe zeigt Jannes aber auch neben dem Platz. Er kümmert sich mit Witz und Kreativität um die Außendarstellung des Vereins in den sozialen Netzwerken. Nutzerinnen und Nutzer können so bei Instagram und Facebook in aller Regelmäßigkeit Neuigkeiten rund um die SG Elbdeich verfolgen. Wenn Jannes mal verletzt ausfällt, versucht er etwa alle Interessierten mit einem humorvollen Live-Ticker über den aktuellen Spielstand der Mannschaften auf dem Laufenden zu halten.
Auch um die Unterstützung abseits des Platzes kümmert sich Jannes. So konnte er den Verein Anfang 2019 kurzfristig mit einem Maskottchen bereichern, indem er ein junges Wildschwein, die Frischlingsdame Edda, mit zur SG Elbdeich brachte. Das Wildschwein wurde von Jannes‘ Schwester mit der Hand aufgezogen und wurde für die Spielgemeinschaft für eine kurze Zeit das, was Geisbock Hennes für den 1. FC Köln ist. Mittlerweile darf das Wildschwein den Wildpark Schwarze Berge sein zuhause nennen.