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Seite 3: Zwischen Bauerntheater und Dolce Vita

Die zeit­lose Popu­la­rität der römi­schen Ikone beruht nicht zuletzt auf ihren cha­rak­ter­li­chen Brü­chen. Seine Auf­tritte mäan­dern seit jeher zwi­schen Bau­ern­theater und Fellinis La Dolce Vita“. Wie ein Ober­schüler auf der Lam­bretta, der seine Liebste mit einem anderen erwischt, lässt er jeden bereit­willig an seinen Launen teil­haben. Auf dem Rasen ein hoch­be­gabter Indi­vi­dua­list, der in seinen besten Tagen brand­ge­fähr­lich, antritts­schnell und mit dem Auge für den toten Winkel aus­ge­stattet war. Abseits des Platzes ein wort­karger Nuschel­kopp mit ein­ge­schränktem Wort­schatz, der vor den TV-Mikros stam­melt und gern mal in Fett­näpf­chen tappt. Einer, der Täto­wie­rungen bescheuert findet, aber mit Team­kol­legen um Lap­pa­lien wettet und sich anschlie­ßend einen Gla­diator auf den Oberarm ste­chen lassen muss. Der Mario Balotelli mit der Urge­walt eines Mäh­dre­schers ums­enst, sich den­noch im Recht wähnt und schimpft, der Gefoulte sei ein sys­te­ma­ti­scher Pro­vo­ka­teur“, der nicht nur seine Stadt“, son­dern auch sein Volk“ belei­digt habe.

Totti war stets wie ein Klein­kind, das die Grenzen des Mach­baren aus­testet. Als er 2006 mit dem WM-Pokal nach Rom zurück­kehrte, schwenkte er ein Banner mit der Auf­schrift: Als Idioten gefahren, als Welt­meister zurück­ge­kehrt.“ Als ihn Coach Luis Enrique 2011 meh­rere Spiele lang auf der Bank schmoren ließ und er sich dann beim ersten Ein­satz per Elf­me­tertor zurück­mel­dete, hob er vor der Fan­kurve sein Trikot, dar­unter ein Shirt mit der Auf­schrift: Sorry, ich hab mich ver­spätet.“ Ein noto­ri­scher Poser. Mächtig dicke Hose. Sen­si­bler Macho. Che cazzo. Totti hat gequen­gelt, genervt, geprahlt und pola­ri­siert, gelang­weilt aber hat er sein Publikum nie. Und trotz seiner Grenz­gänge war er stets einer, der bau­ern­schlau genug war, um nicht bei den Seinen län­ger­fristig in Ungnade zu fallen.

1 200 000 Bücher

gingen von Alle Witze über Totti. Meine Samm­lung“ über die Laden­theke. Der Profi ver­öf­fent­lichte den Band im Jahr 2003 im Ber­lus­coni-Verlag, nachdem es in Ita­lien fast zum Volks­sport geworden war, ihn als Dum­mer­chen zu ver­höhnen. Die Gewinne aus dem Ver­kauf spen­dete er an Unicef. Auch der zweite Band mit Gags über ihn wurde ein Best­seller und durch­brach die Mil­lionen-Schall­mauer. Gefragt nach seinem Lieb­lings­witz, sagte der Kicker: Tottis Biblio­thek ist in Flammen auf­ge­gangen. Sie ent­hielt genau zwei Bücher. Als Totti davon Wind bekommt, ist er ver­zwei­felt: Ver­dammt, das zweite hatte ich doch noch gar nicht aus­ge­malt.‘“

Nur ein ein­ziges Mal schien es, als würde er seinen Status als römi­sche Legende nach­haltig beschä­digen. Im Vor­run­den­spiel gegen Däne­mark bei der EM 2004 in Por­tugal fingen TV-Kameras ein, wie er Chris­tian Poulsen ins Gesicht spuckte. Nach­träg­lich wurde er für dieses Ver­gehen für drei Spiele gesperrt. Ita­lien schied nach der Vor­runde aus. Wie auf einen Hund prü­gelte die distin­gu­ierte Fuß­ball­schi­ckeria aus Nord­ita­lien danach auf ihn ein. Eine Schande für seine Stadt sei er, fürs ganze Land. Ein Priester for­derte, er möge in einer römi­schen Wall­fahrts­kirche Abbitte leisten. In der Natio­nalelf taten sie sich schwer, ihm den Aus­fall zu ver­zeihen und seine Leis­tung wieder rein sport­lich zu bewerten. Es heißt, er habe zuvor ernst­haft mit dem Gedanken gespielt, zu Real Madrid zu wech­seln. Gut mög­lich, dass der Vor­fall und die anschlie­ßenden Tur­bu­lenzen ihn zurück­hielten, nicht zuletzt, weil er in dieser Phase die Gebor­gen­heit Roms drin­gender brauchte als je zuvor.

Daheim war er ein König, doch in der Fremde lachten sie über ihn: Wegen seines breiten Slangs gilt er bis heute als Dumm­batz, dabei ent­stammt er eigent­lich der römi­schen Mit­tel­schicht, sein Vater Lorenzo war Bank­an­ge­stellter. Um die Jahr­tau­send­wende lösten die Totti-Witze in Ita­lien vor­über­ge­hend die Gags über hirn­lose Cara­bi­nieri ab. Totti, der mit Corn­flakes puz­zelte. Totti, der auf die Frage, was für ihn Carpe Diem“ bedeute, ant­wortet: Was soll das? Ich kann kein Eng­lisch.“ Diese Kate­gorie von Witzen. Als er es mit­bekam, war er zunächst ver­är­gert. Dann drehte er den Spieß um, ver­öf­fent­lichte den Sam­mel­band: Alle Witze über Totti. Meine Samm­lung“. Das Buch ver­kaufte sich fast 1,2 Mil­lionen Mal, er spen­dete den Gewinn an Unicef. Als seine Hoch­zeit mit Starlet Ilary Blasi, die einst auf Ber­lus­coni-Sen­dern die Glücks­rad­buch­staben umdrehte, im öffent­li­chen Inter­esse royale Dimen­sionen anzu­nehmen drohte, ver­kaufte er die Bild­rechte exklusiv an einen TV-Sender und spen­dete auch dieses Geld – ans städ­ti­sche Tier­heim.

38 Jahre

und drei Tage war Totti alt, als er mit seinem Treffer in der 23. Minute des Grup­pen­spiels gegen Man City im Herbst 2014 zum ältesten Cham­pions-League-Tor­schützen aller Zeiten wurde. Der Rekord hat bis heute Bestand. Dar­über hinaus gewann er in der Saison 2006/07 den Gol­denen Schuh“ als Europas erfolg­reichster Tor­schütze (26 Treffer). Wei­tere Erfolge auf inter­na­tio­naler Bühne mit seinem Verein: Fehl­an­zeige. Totti wird es ver­schmerzen können, denn nachdem er mit Ita­lien im EM-Finale 2000 Frank­reich noch unter­legen gewesen war, revan­chierte sich die Squadra Azzurra bei der WM 2006 und wurde zum vierten Mal in ihrer Geschichte Welt­meister.

Ein Gerücht über Fran­cesco Totti besagt, er habe in seinem Leben nur ein ein­ziges Buch gelesen: Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz“. Ver­mut­lich hane­bü­chener Quatsch, wie so viele Dinge, die über ihn erzählt werden. Ein Kern­satz des Romans jedoch passt zu ihm wie die Faust aufs Auge: Das Wesent­liche ist für die Augen unsichtbar.“

Der AS Rom hat nun ent­schieden, dass er auf­hören soll. Seit Monaten findet in ita­lie­ni­schen Sta­dien ein Schau­laufen statt. Selbst in Fein­des­land, etwa im Juventus-Sta­dion oder im Stadio Luigi Fer­raris in Genua, erhält er ste­hende Ova­tionen. Anfang Mai sollte auch San Siro für ihn zum Cat­walk werden. Allein Luciano Spal­letti sträubte sich dagegen. Die schnöde Erklä­rung: Es ginge für seine Elf schließ­lich noch um das Errei­chen der Cham­pions League.

Alle sind sich einig: Am Sai­son­ende ver­lässt Totti für immer die Bühne. Viele von seinem Schlag gibt es nicht mehr. Von Spie­lern, die in einer Zeit, in der Fuß­ball stetig an Iden­tität ver­liert, ihrem Klub ein unver­wech­sel­bares Gesicht ver­leihen. Doch er selbst gibt sich wort­karg wie so oft. Aus seinem Mund kamen die Worte Ich höre auf“ – oder Ver­gleich­bares – bis­lang nicht. Ist es die Angst, die ihn umtreibt, ohne seine große Lei­den­schaft nicht mehr zu wissen, was er mit dem Leben anfangen soll? Am Tag des Redak­ti­ons­schlusses geht eine Mel­dung über den Ticker. Fran­cesco Totti soll auf die Frage, ob er am 28. Mai 2017 im Stadio Olim­pico gegen den CFC Genua 1893 sein letztes Pro­fi­spiel absol­vieren wird, geant­wortet haben: Ich weiß es nicht.“ Nun rät­seln alle: Ist es nur römi­sche Polemik, ein Sei­ten­hieb gegen Spal­letti, weil Totti ja nicht wissen kann, ob der ihn ein­setzt? Oder wech­selt er – der Ewige – noch in eine Ope­ret­ten­liga? Oder macht er ein­fach weiter wie bisher? Einen Für­spre­cher hätte er: Totti ist ein Vor­bild für uns alle“, sagt Cris­tiano Ronaldo, denn er beweist, dass Fuß­ball in Wahr­heit keine Limits hat und Alter keine Rolle spielt.“ So oder so, am Ende wird es heißen: Ciao Ragazzo!