Jack Grealish steht für einen Fußball, den es kaum noch gibt. Und auch weil Manchester City genau das Gegenteil davon ist, war der Klub bereit, für ihn zu zahlen.
Vor der Europameisterschaft hatte außerhalb von England kaum jemand Jack Grealish, den agilen Flitzer mit den ölig gegelten Haaren, so richtig auf dem Schirm. Diesen Spieler, der auf dem Platz eine Selbstverständlichkeit à la „Ich gehör’ hierhin und wenn der Ball zu mir kommt, passiert etwas großes“ transportiert, auch wenn er während des Turniers nur 172 Minuten spielte, noch nicht einmal zwei komplette Spiele. Der irgendwie allen sympathisch ist, obwohl sein selbstbewusstes Auftreten auch als Arroganz gewertet werden könnte. Vermutlich hätten nur wenige Beobachter gedacht, dass Grealish nun für 110 Millionen Pfund die Klubs wechseln und damit zum teuersten Engländer aller Zeiten avancieren würde.
Jetzt also spielt Grealish für Manchester City. Dabei war Aston Villa davon ausgegangen, dass kein Klub bereit wäre, die festgeschriebene Ablösesumme für ihren geliebten Mittelfeldspieler zu zahlen. Sie erschien schlichtweg zu hoch. Letztes Jahr hatte Grealish bei Aston Villa für weitere fünf Jahre unterschrieben – mit der Bedingung, dass er gehen könnte, sobald ein Verein Interesse zeigt, der in der Champions League spielt. Villa hatte versucht, den hohen persönlichen Wert, den Grealish für den Verein hatte, in Geld umzuwandeln. Und nicht mit Manchester City gerechnet.
Warum waren die Citizens also bereit, 110 Millionen für einen Spieler zu bezahlen – eine Summe, die fast doppelt so hoch wie der eigentliche Markwert des Spielers ist? Der Talent hat, aber (noch) nicht so verlässlich wie ein Kevin de Bruyne Spiel für Spiel die entscheidenden Aktionen beisteuert? Der aber auch nicht mehr der Jüngste, sondern schon 25 Jahre alt ist. Irgendwas muss dieser Typ haben.
Schon Kevin de Bruyne soll laut der englischen Zeitung „Guardian“ im November 2020 auf Nachfrage von Pep Guardiola geschrieben haben: Grealish sei ein Spieler, den Manchester City definitiv holen müsse. De Bruyne hatte mit Belgien in einem Nations-League-Spiel gegen die Engländer gewonne, Grealish wusste dabei zu überzeugen. „Wenn er den Ball hatte, hatte man stets das Gefühl, es könnte etwas passieren“, schrieb der Guardian.
Sportlich ist Grealish noch nicht auf de Bruynes Level, dort will er aber mittelfristig hin. Oder zumindest neben ihm auf dem Platz stehen, diese Aussicht sei neben der Champions-League-Teilnahme ein ausschlaggebender Faktor für Grealishs Entscheidung gewesen. Vor Beginn der letzten Saison habe er sich dutzende Videos von Kevin de Bruyne angeschaut, wie dieser den letzten genialen Pass spielt, erzählt der Engländer. Vielleicht hat er auch deswegen in der letzten Saison die Anzahl erfolgreicher Vorlagen von sechs auf zehn erhöht.
Kevin de Bruyne ist aber nicht der Einzige, der für Grealish schwärmt. Schon José Mourinho äußerte sich als damaliger Trainer der Tottenham Hotspur wohlwollend über den 25-Jährigen: „Der Kerl ist mutig. Er geht Risiken ein, er pokert, er verliert den Ball, er kreiert Chancen, er tritt seine Gegenspieler, sie treten ihn, er destabilisiert den Gegner. Er hat viel Power, ich mag ihn wirklich sehr.“ Mourinho beschreibt Grealish wie eine Naturgewalt, am genauesten trifft es wohl der Wirbelsturmvergleich: unberechenbar, gefährlich und stürmisch. Bekommt Grealish den Ball, ist die nächste Aktion nur schwer vorherzusehen. Er erweckt stets den Anschein, als könnte er im nächsten Moment die zündende Idee haben, er ist ein Spieler, der den Unterschied auf dem Platz ausmachen kann. In der vergangenen Saison traf er sechsmal und bereitete zehn Tore vor – nur Harry Kane and Bruno Fernandes gaben mehr Vorlagen. Er ist stürmisch, Pep Guardiola mag Berechenbarkeit und Systematik. Es wird sich zeigen, ob sich der Wirbelwind bändigen lässt – oder ob er überhaupt eingefangen werden soll.