1979 floh Lutz Eigendorf nach einem Spiel von BFC Dynamo beim 1. FC Kaiserslautern in den Westen. Vier Jahre später, am 7. März 1983, starb er an den Folgen eines Autounfalls – unter fragwürdigen Umständen. Der Historiker Andreas Holy hat sich mit dem Fall befasst.
Warum sollte die Stasi so umfangreiche Operationen im Westen durchgeführt haben?
Das MfS hat den „Fall Eigendorf“ sehr ernst genommen. Seine Flucht in den Westen war ein Schlag ins Gesicht der DDR. Er wurde „Beckenbauer der DDR“ genannt und war Aushängeschild und große Hoffnung des Ost-Fußballs.
Zudem soll Eigendorf der Lieblingsspieler von Stasi-Chef Erich Mielke gewesen sein, der zugleich erster Vorsitzender des BFC Dynamo Berlin war.
Nach Augenzeugenberichten soll Mielke bei Spielen immer total ausgerastet sein. Obwohl es nur sehr wenige Schiedsrichterentscheidungen gegen den BFC gab, soll er einmal sogar die Erschießung des Unparteiischen gefordert haben. Dabei waren die Schiedsrichter meist schon bestochen. Die Flucht von BFC-Talent Eigendorf war also Chefsache. Der Sport in der DDR war Prestigeobjekt und Instrument, um nach außen und innen Stabilität und Macht zu demonstrieren.
Später im Westen gab Eigendorf einige DDR-kritische Interviews. Ist er der Stasi nach seiner Flucht bewusst an den Karren gefahren?
Die Interviews hätte er lieber nicht geben sollen. Einige Tage vor seinem Tod gab er ein Fernseh-Interview vor der Berliner Mauer. Im Hintergrund war sogar das Stadion des BFC zu sehen. Das MfS hat das sicher als Provokation eingeordnet. Nach dem Motto: „Ich habe es geschafft: Ich bin im Westen und es geht mir gut.“ Vielleicht war das der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Wie umfangreich waren die Überwachungsmaßnahmen nach der Republikflucht Eigendorfs?
Mehrere Abteilungen widmeten sich dem Fall „Eigendorf“: Bis zu 50 Personen waren an der Observation beteiligt. Nicht nur informelle Mitarbeiter im Westen, sondern auch Geheimdienstler aus Ostberlin – Eigendorf wurde auf Schritt und Tritt überwacht.
Was wurde alles dokumentiert?
Alles. Freizeitaktivitäten, Fahrverhalten, private Beziehungen. Es gab kein Detail, das für das MfS nicht relevant war: Was hat er gemacht, wenn er nicht trainierte? Wo fährt er hin? Welche Wege benutzt er? Wo stellt Eigendorf sein Auto ab? Wie geht er mit Alkohol um? Sie wussten alles über ihn. Es gibt Karten, auf denen die exakten Wegstrecken eingezeichnet sind, die Eigendorf üblicherweise mit seinem Wagen zurücklegte.
Gab es neben der Totalüberwachung und den ungeklärten Unfallumständen noch andere konkrete Hinweise auf einen geplanten Mord an Lutz Eigendorf?
Der „IM Klaus Schlosser“ hat später bei der Polizei einmal ausgesagt, dass er von seinem Führungsoffizier Heinz Hess einen konkreten Mordauftrag und 5000 Mark bekommen habe, um sich eine Schusswaffe zu kaufen, mit der er Lutz Eigendorf erschießen sollte. Das kann so stimmen, aber Aussagen des „IM Klaus Schlosser“ sollte man mit Vorsicht genießen.
Warum?
„Klaus Schlosser“ alias Karl-Heinz F. saß wiederholt im Gefängnis. Dort wollte ich ihn auch zum Fall befragen, aber er wollte nur für Geld aussagen. Gegen Bezahlung kann man ja viel erzählen. Allerdings befindet sich in seiner IM-Akte tatsächlich eine Quittung aus dem April 1982 über 5000 Mark. Verwendungszweck: „Zur Durchführung eines Auftrags“. Schlosser sagte, die Stasi beauftragte ihn damals, sich von dem Geld eine Waffe zu kaufen, er habe sich aber letztlich ein Auto gekauft.
Es heißt, dass der „IM Klaus Schlosser“ Eigendorfs bester Freund gewesen sei. War es tatsächlich so?
Eigendorf kannte Schlosser noch aus Ostberlin. Dort war der IM Türsteher in einer Stammkneipe der Dynamo-Spieler. Er wurde gezielt in den Westen geschickt und auf Eigendorf angesetzt. Allerdings war das Verhältnis nicht so eng, wie oft kolportiert wird.