Heute wird Felix Magath 70 Jahre alt. Mit seinem Tor im Finale verhalf er dem HSV zum Europapokal-Gewinn und wurde damit in ganz Italien zum Helden auf Lebenszeit. Nur eben nicht in Turin.
Felix Magath ist nervös. Noch weiß er nicht, dass nur noch ein paar Stunden Zeit bleiben, an diesem 25. Mai 1983, bis zum größten Moment seiner Spielerkarriere. Wie soll er es auch ahnen? Schließlich reist der Hamburger SV nur als krasser Außenseiter nach Athen, zum Endspiel im Europapokal der Landesmeister. Denn der Gegner heißt Juventus, und die Alte Dame aus Italien promeniert mit berühmten Namen durch Europa. Dino Zoff steht im Tor, ein Jahr zuvor Weltmeister, ebenso wie Gentile, Scirea, Cabrini, Tardelli und Rossi. Im Endspiel bezwangen sie Deutschland, und einige der Gegner von damals stehen auch heute im HSV-Team.
Dazu hat der italienische Meister noch zwei weitere Superstars in seinen Reihen, den Polen Zbigniew Boniek und im Mittelfeld den Franzosen Michel Platini. Das Ensemble von Trainer Giovanni Trapattoni gilt als unschlagbar und flößt jedem Gegner Respekt ein. Auch den Hamburgern, auch ihrem Spielmacher. Magath schwitzt schon beim Mittagsschlaf im Athener Hotel „Inter-Continental“ so stark, dass das Zimmermädchen hinterher das Bett neu beziehen muss. Morgens um elf Uhr hält der HSV-Trainer die Mannschaftsbesprechung auf einem Golfplatz außerhalb Athens ab. Er schart die erfahrenen Spieler wie Magath und Dietmar Jacobs, wie Uli Stein, Manfred Kaltz und Horst Hrubesch um sich, sie sprechen über das Spiel, Happel bleibt aber gewohnt wortkarg. Wenn er etwas sagt, dann ohne Hektik, ganz so, als stehe ein bedeutungsloser Freundschaftskick auf dem Programm und nicht das große Finale, der Höhepunkt vieler Karrieren. Er vermeidet jedes überflüssige Wort, redet erst gar nicht über die Stärken der Turiner. „Konzentriert euch“, gibt er seinen Spielern mit auf dem Weg. Auch später in der Kabine fügt er nur wenig hinzu. „Die Italiener haben das Spiel schon abgehakt. Die sind sich zu sicher.“
Vor vierzig Jahren wurde der Hamburger SV Deutscher Meister, gewann den Landesmeisterpokal und war eine der besten Mannschaften der Welt. Es war der Triumph einer Mannschaft, die bedingungslos an sich glaubte.
Die letzten Worte des großen Schweigers vor der Überraschung. Felix Magath wird schon vorher klar, dass an diesem Abend zwei Welten aufeinander treffen. Während er in Trainingsanzug und Turnschuhen den Platz besichtigt, wandelt sein Turiner Pendant Platini in Lederslippern und Designeranzug daher. Im Spiel kommt Platini dagegen überhaupt nicht zur Geltung. Happel stellt ihm Wolfgang Rolff als Bewacher zur Seite, und der Franzose bekommt keinen Stich gegen den Hamburger. „Ich wäre am liebsten nach 60 Minuten vom Platz gegangen“, erzählt er später, und Trainer Trapattoni stellt klar: „Unser Spiel steht und fällt mir der Leistung von Platini.“ Die Selbstsicherheit ist Juventus zu diesem Zeitpunkt schon lange abhanden gekommen. Schuld daran ist vor allem Felix Magath.
Acht Minuten sind im Athener Olympiastadion gespielt, als Jürgen Groh den Ball auf die linke Seite zu Magath kickt. Eigentlich keine gefährliche Situation für Juve, aber Magath nimmt mit dem Ball schnell Fahrt auf und zieht Richtung Tor. Bettega stellt sich ihm in den Weg, Magath wackelt einmal nach rechts, zieht links vorbei, dem Weltmeister bleibt nur das Nachsehen. Ein paar Schritte noch, dann erinnert sich Magath an eine alte Fußball-Weisheit: „Wenn du nicht mehr weiter weißt, dann schieß!“ Er hält sich dran, aus 18 Metern fliegt sein Schuss am verdutzten Dino „Nazionale“ Zoff vorbei in den rechten Torwinkel. „Tor, Tor, ein herrlicher Treffer, ein wunderbarer Treffer, der HSV führt 1:0“, jubelt der sonst so zurückhaltende Kurt Emmerich ins Radio-Mikrofon.
Dieser Treffer reicht für die Hamburger, denn die Turiner beißen sich an diesem kompakten und cleveren Gegner in den nächsten 81 Minuten die Zähne aus. „Männer, ihr könnt euch auf mich verlassen. Ich kriege keinen rein, ihr müsst nur ein Tor schießen“, hat Keeper Uli Stein gewohnt selbstbewusst vor der Partie versprochen, und er hält sein Versprechen. Magath schießt das Tor des Tages, Stein hält seinen Kasten sauber, aber dieser Abend war auch der Abend des Wolfgang Rolff, des Jürgen Groh oder des Bernd Wehmeyer. Nur der gesperrte Jimmy Hartwig sitzt daheim im Studio des ZDF mit Harry Valérien und zittert mit zusammen 18,7 Millionen Zuschauern vor dem Fernseher. Später stürmt Hartwig als Erster die Gangway hinauf, um Horst Hrubesch und den silbernen Cup zu umarmen. 5000 Fans warten am Flugfeld von Hamburg-Fuhlsbüttel, doch die Feiern nach dem Triumph von Athen fallen nur spärlich aus. Zwei Spiele stehen noch in der Bundesliga auf dem Programm, der HSV will schließlich Meister werden und Nordrivale Werder Bremen mit Otto Rehhagel sitzt den Hamburgern dicht im Nacken.
Doch der Abend von Athen setzt noch einmal letzte Kräfte frei. Das Heimspiel gegen Dortmund gewinnt der HSV 5:0, eine Woche später steht nach dem 2:1 in Schalke der dritte Meistertitel zu Buche. „Ich erinnere mich noch, wie wir auf dem Rückflug von Schalke mit dem Privatflugzeug eine Ehrenrunde über Bremen gedreht haben“, erzählt Magath, und Horst Hrubesch entgegnet auf die polizeiliche Warnung, vor der Meisterfahrt im Doppeldecker-Bus, gefälligst auf die hängenden Ampelanlagen zu achten: „Die köpfe ich alle weg!“ Es ist die größte Feier des Hamburger Sportvereins seit langem und der Beginn des Abschiedes aus der Bundesliga-Spitze. Das Stürmer-Duo Hrubesch/Bastrup wird durch Schatzschneider/Wuttke ersetzt, die Unstimmigkeiten in der Mannschaft nehmen zu, nach dem zweiten Platz in der folgenden Saison geht es weiter bergab, im Europacup scheitern die Hamburger frühzeitig an Bukarest. Der Meistertitel bleibt seit diesen Tagen im Jahr 1983 ebenso ein Traum wie ein europäischer Titel.
Das Tor von Felix Magath bleibt jedoch auch mehr als 20 Jahre danach unvergessen, vor allem jenseits der Alpen. „Magath war der härteste Schlag meiner Karriere“, beschrieb Dino Zoff irgendwann einmal sein Trauma, und Ex-Juve-Spieler und Präsident Boniperti soll Magath in stiller Stunde und unter vier Augen seine eigene, ganz spezielle Sympathiebekundung überbracht haben: „Verflucht sei der Tag, an dem du geboren bist!“ Während er bei den Juve-Anhängern bis heute ein Rotes Tuch bleibt, ist er für den Rest Italiens ein Held. „Magath eroe“ stand am Morgen nach dem Finale auf vielen Häuserwänden in Rom und Neapel, und als er noch Trainer des VfB Stuttgart war, wurde er mal von Anhängern von Lazio abgefangen. „Fantastico Gol, forza Magath!“, tönte es aus deren Kehlen, und zur Belohnung gab es für Magath gleich noch eine Flasche Champagner obendrauf. Auf www.antijuve.com fand sich unter der Sparte „Idole“ jahrelang das Konterfei des heutigen Trainers. Italiener vergessen eben nicht so schnell.
„Juventus hat ganz Italien verraten. Der HSV bestieg verdient Europas Fußball-Thron. Magath löschte die Weiß-Schwarzen wie billige Kerzen aus.“ (Gazetta dello Sport)
„Eine griechische Tragödie. Der HSV gewann verdient, die Zuschauer erlebten den Sonnenuntergang Platinis. Happel, der unsympathische Magier, ist der beste Trainer der Welt.“ (Tutto Sport)
„Der HSV revanchierte sich für die deutsche Endspielniederlage bei der WM in Spanien gegen Italien.“ (Sport, Jugoslawien)
„Zoff konnte nur neidisch auf Stein sein. Nur sehr wenige Torhüter hätten all das gehalten.“ (Daily Mirror)
„Die augenblickliche deutsche Nationalelf ist schwächer als der HSV!“ (Corriere dello Sport)
„Magath, der König von Athen. Er schoss den HSV zum Sieg. Sechs Weltmeister verstärkt mit Boniek und Platini schafften es nicht, die Hamburger zu schlagen.“ (Blick, Schweiz)