Union Berlin macht der Politik vor, wie es laufen kann, Christian Günter sorgt für Verwirrung und Jamal Musiala wird zum Scheidungskind. Das ist die 11 des 29. Spieltags.
Tobias Sippel
Ersatztorhüter sind so eine Personalie. Eher dreht sich die Kaderplanung vor der Saison ja um den hochveranlagten zwölfjährigen Franzosen, der künftig die linke Außenbahn rocken soll, den Stürmer, der künstlich im Reagenzglas einer Spermienmixtur des UEFA Team of the Year entsprungen ist oder um den von Mino Raiola betreuten Sechser, der den Verein nur per Ausstiegsklausel von 20 Gramm Plutonium, drei Ölbohrinseln und zwei Sonnensystemen verlassen darf. Aber Ersatztorhüter? Um die schert sich in der Regel keiner. Das sind entweder Schnapper in ihren Dreißigern, die bei 300 Zweitligaspielen für Erzgebirge Aue, SV Sandhausen und Greuther Fürth stehen oder Teenager aus der Talentschmiede, die zwei Saisons bei den Profis mittrainieren, ehe sie den Sprung zum SV Rödinghausen wagen. Und wirklich happy ist letztendlich keiner mit der Situation. Anders aber in Gladbach: Dort ordnet sich Tobias Sippel beinahe stoisch hinter Yann Sommer ein, stand in sechs Jahren zehnmal in der Bundesliga im Tor und verkündete nun, noch drei, vier Jahre so weitermachen zu wollen. Auf die Frage, ob mit Neu-Trainer Adi Hütter auch eine neue Chance für ihn als Stammtorwart der Borussia kommen würde, antwortete Sippel in einer Glückseligkeit mit „Ne“, als hätte Markus Lindemann ihn gerade gefragt, ob sich der Bierstand nicht mal langsam dem Ende neige, ob er dieses Jahr nochmal arbeiten müsse oder ob die Palmenblätter auf seiner Veranda die Sonne am Nachmittag nicht etwas zu sehr verdecken würden. Keep calm and sippl tea.
Union Berlin
Die Köpenicker machen vor, was die Europäische Union nicht hinbekommt: Sie zeigen Geschlossenheit, versinken nicht im Bürokratiewahn, haben eine zukunftsweisende Vision und nehmen sogar Menschen mit Migrationshintergrund auf. Nach dem Sieg gegen den VfB Stuttgart sind sie auch noch auf dem besten Wege nächstes Jahr international schlagfertig zu bleiben. So geht Europäische Union.
Grischa Prömel
Zugegeben, in erster Linie ist es der Name: Grischa Prömel. Das klingt irgendwie ausgedacht, wie ein Charakter aus Max Kruses (hehe) Kinderbuch „Urmel aus dem Eis“. Da gibt es den Professor Habakuk Tibatong, Tim Tintenklecks, das Hausschwein Wutz, den Waran Wawa. Und da würde Grischa Prömel doch gar nicht weiter auffallen. Auch zugegeben, ihn auf seinen Namen zu reduzieren hat mit ansatzweise seriösem Sportjournalismus wenig zu tun. Daher lasst uns sagen: Grischa Prömel kann auch ziemlich ordentlich kicken. Am Samstag hat er es mal wieder bewiesen und gegen die Stuttgarter getroffen. Womöglich schlüpft er mit Union demnächst aus irgendeiner Loskugel. In Rasgrad oder so.
Christian Günter
Mit zwei feinen Toren am Wochenende. Auch wenn’s gegen Schalke war, darf darüber diskutiert werden, ob Freiburgs Linksverteidiger Christian Günter nicht mal langsam einer für Jogi Löw ist. Dürften spannende Telefonate zwischen Christian Streich und dem Bundestrainer werden.
Löw: „Grüß dich Christian, euren Linksverteidiger finde ich ganz gut.“
Streich: „Günter?“
Löw: „Ne, Joachim.“
Streich: „Kenn ich nicht.“
Löw: „Der Bundestrainer.“
Streich: „Ja schon klar. Du willst den Christian sprechen!?“
Löw: „Mit wem spreche ich denn gerade?“
Streich: „Ja, Christian!“
Löw: „Hä?“
Streich: „Hä?“
Löw: „Ach egal, den Heintz find ich auch ganz gut.“
Streich: „Dominique?“
Löw: „HEINTZ!“
Das Lippenbekenntnis
„Ich bleibe“, sagte Eintrachts Adi Hütter vor wenigen Wochen, um kurz darauf bei Borussia Mönchengladbach zu unterschreiben. Friedhelm Funkel sagte Anfang 2020: „Meine Karriere ist beendet“ und sitzt knapp ein Jahr später wieder in der Bundesliga auf der Bank. Wo kommen wir denn dahin, wenn wir uns nicht mal mehr auf das gute alte Lippenbekenntnis verlassen können? Hat das seinerzeit also auch nicht gestimmt, als Walter Ulbricht meinte, niemand habe vor, eine Mauer zu bauen? Wir bleiben da dran.
Leon Bailey und Moussa Diaby
Friedhelm Funkel ist also zurück. Und pfefferte seinem PR-Berater nach Abpfiff gleich mal einen ganzen Aktenordner voll Empörungsschreiben und Entlassungsforderungen auf den Schreibtisch. Weil er im Sky-Interview die Gründe für die 0:3‑Niederlage in der Schnelligkeit der Leverkusener Flügelzange sah und sich, sagen wir, ungeschickter anstellte, als seine Verteidigungskette gegen eben jene. Zitat: „Ja, den einen oder anderen Ausdruck darf man ja jetzt nicht mehr sagen – durch ihre Spieler, die halt so schnell sind.“ Damit meinte er mutmaßlich Leon Bailey und Moussa Diaby. Und puh, wir können hier wirklich nur von Glück sprechen, dass er sich da rhetorisch so galant herauswinden konnte. „Fummelkutten“, „Dribbelflöhe“, „Geil-aufdaddelnde-Flügelzange“, wäre alles echt nicht okay gewesen.
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VfL Wolfsburg
Trotz der 2:3‑Niederlage gegen Bayern, die wegen des Flick-Rücktritts etwas in Vergessenheit geraten ist und so gut wie gleichbedeutend mit einer weiteren Bayern-Meisterschaft ist, die wegen vollkommen-egal in Vergessenheit geraten wird, spielen die Wolfsburger eine ziemlich gute Saison. Offenbar so gut, dass sie jetzt Trikotsponsor des amerikanischen Drittligisten FC Chattanooga sind. Kein Witz. Wäre auch ein schlechter. Wie Clemens Tönnies.
Jamal Musiala
Wenn die Eltern sich scheiden lassen, sind häufig die Kinder leidtragend. Sie müssen sich künftig entscheiden, auf welche Seite sie sich schlagen, wo sie leben wollen und verstehen meist nicht mal so recht, warum. Bayerns Jamal Musiala ist zum Glück noch nicht alt genug, um in Gänze zu verstehen, was da eigentlich zwischen Hansi und Brazzo vorgefallen ist. Daher spielte er am Samstag auch unbekümmert auf, schoss zwei herrliche Tore, konnte sich sicher sein, Mama, Papa, Hansi und Brazzo sind stolz. Egal was ist. Hauptsache Jamal geht’s gut. Der Moment war perfekt. Wenn er wüsste, was in naher Zukunft auf ihn zukommen wird, er hätte sich ihn einfrieren lassen. Schneller als seine flinken Beine ihn die Linie entlangschicken, wird er nämlich in einer Patchwork-Familie stecken. Er wird sich für Bayern und Brazzo entscheiden und dort heranwachsen, Hansi wird er nur noch alle zwei Monate sehen – mit seinem Neuen, dem DFB. Die Vorzüge sind klar. Bei Hansi gibt es Cola, Chips, Playstation, irgendwann das erste Bier, Gespräche über Mädchen. Bei Brazzo ist es spießig. Vor allem Brazzos Neuer, Nagelsmann, ist unausstehlich. Der nennt ihn ständig „Champ“. Immer wieder wird Hansi ihn subtil ausfragen, wie es bei Bayern mit dem Neuen läuft. Musiala liebt es bei Hansi, hier kann er sein wie er ist. Schließlich nimmt er seinen Mut zusammen, wird beim Frühstück an der Säbener Straße vorstellig: „Brazzo, Kalle, Oli. Ich werde zukünftig bei Hansi leben.“
Matthias Ginter
Hat in dieser Saison insgesamt schon 50 Spiele gemacht. Und jedes davon 90 Minuten lang durchgespielt. Meine Güte! Das ist alle vier Tage ein Fußballspiel. Es soll 11FREUNDE-Redakteure geben, die nicht mal alle vier Tage duschen. Also hört man so. Jetzt hat Ginter am Wochenende auch noch getroffen. Und hatte bei seinem Kopfballtor so viel Platz, wie, nun ja, 11FREUNDE-Redakteure, die sich nach vier Tagen Nichtduschen vor die Tür wagen.
Dortmunds Trikots
Der BVB lässt scheinbar nichts unversucht, sich doch noch irgendwie für die Champions League zu qualifizieren. Am Sonntag sogar mit schwarz-neongelbem 97er-Nostalgie-Fetzen gegen Werder. Und zack, nach dem 4:1‑Sieg sind es tatsächlich nur noch vier Punkte auf die viertplatzierte Eintracht. Ein doppelter Karl-Heinz „Airling“ Haaland, Terzic im beigen Trenchcoat und Kokser Hummels wären auch für Juve zu viel gewesen, für Bremen allemal.
Das „Zwosch“ des Tornetzes
Es gibt ein Geräusch, das noch schöner ist, als das Stollenklackern auf hartem Untergrund. Und das ist dieses „Zwosch“, wie Ruud van Nistelrooy es mal genannt hat, wenn der Ball ins Netz fliegt. Perfekt wird der Sound, wenn obendrein der kurzzeitig hochklappende Alubodenrahmen des Tores hinzukommt. Dieses Geräusch klingt im Hochglanzprodukt Bundesliga für eine Millisekunde eben doch noch nach Ascheplatz in Dortmund-Sölde, Frankfurt-Bornheim und Gelsenkirchen-Buer. Wo trockener Husten noch nicht mit einem tödlichen Virus assoziiert wurde, sondern mit ganz alltäglichem Auswurf von Platzwart „Delle“ Detlef, der inmitten einer Aschewolke filterlosen Rothändle paffend den Kreidewagen über den Platz schiebt. Fußball ist immer noch wichtig!
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