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Karl-Heinz Zawar, den alle nur Fänna“ nannten, war einer der ersten Fuß­ball­re­porter in Oer-Erken­sch­wick. Ein son­der­barer junger Mann, fanden einige Kinder in der Engel­bert­straße, denn Fänna wohnte mit seinen Brief­tauben in einem Ver­schlag unterm Dach. Es hieß, er esse jeden Abend ein Stück Fleisch­wurst. Andere sagten, er sei ein lie­bens­werter Witz­bold. Zudem einer, der über alles als Erster Bescheid wusste, denn wenn sein Verein, die SpVgg Erken­sch­wick, aus­wärts antrat, setzte er seine Tauben als Ergeb­nis­dienst ein. Stunden vor Anpfiff gab er den Erken­sch­wick-Schlach­ten­bumm­lern seine sechs besten Tiere mit, und sobald ein Tor fiel, befes­tigten diese einen Zettel am Kral­len­ge­lenk und schickten die Vögel auf die Reise, heim in die Engel­bert­straße nach Oer-Erken­sch­wick.

Die Nach­rich­ten­zen­trale bis zum Schluss­pfiff

Der Schrift­steller Hans-Dieter Baroth hat davon in seinem Buch Jun­gens, Euch gehört der Himmel“ erzählt, denn er war einer der Nach­bars­jungen, die auf der anderen Stra­ßen­seite von Fännas Woh­nung auf die Kunde der Tauben war­teten. Fänna saß unter dem Haus­dach in seinem Schlag, und wir lun­gerten vor dem Berg­manns­haus gegen­über. Bis dann aus Ober­hausen oder Katern­berg der erste Kröpper kam.“

Dann öff­nete Fänna die Luke, und die Kinder ahnten bereits, wie es um ihre Spiel­ver­ei­ni­gung stand, denn mal lächelte der Mann, mal sah er betrübt aus. Mit der einen Hand hielt er dann das Klapp­fenster hoch, die andere formte er zu einem Rohr und rief den Spiel­stand. Fänna blieb die Nach­rich­ten­zen­trale bis zum Schluss­pfiff.“

Die frohe Bot­schaft im Kral­len­ring

Seine Methode war nicht neu. Seit in Deutsch­land Fuß­ball gespielt wurde, setzten Fans Brief­tauben zur Ergeb­nis­über­mitt­lung ein. Der Radio­re­porter Rudi Michel erin­nerte sich einmal an seine Kind­heit in den frühen Drei­ßi­gern in Kai­sers­lau­tern: Unser Nachbar hat zu den Aus­wärts­spielen sechs Brief­tauben mit­ge­nommen. Und nach jedem Tor steckte er einer Taube die frohe Bot­schaft in den Ring.“

Doch die Renn­pferde der Lüfte kamen nir­gendwo so exzessiv zum Ein­satz wie im Ruhr­ge­biet, schließ­lich waren die Wege nicht weit, für 30 Kilo­meter brauchte eine Taube weniger als eine halbe Stunde. Auch unter den Fuß­bal­lern war Brief­tau­ben­zucht ein ver­brei­tetes Hobby, Klaus Fichtel und Helmut Rahn betrieben es mit Hin­gabe. Sogar die Ver­eine selbst ver­trauten auf die flie­genden Reporter. Gele­gent­lich aber wurden sie so zum Gespött der Presse.

Einmal berich­tete etwa der Sport Report“ vom West­deut­schen Meis­ter­schafts­fi­nale 1923, bei dem die Funk­tio­näre von TuRu Düs­sel­dorf nach 45 Minuten gegen Arminia Bie­le­feld so sie­ges­ge­wiss waren, dass sie aus dem Essener Uhlen­krug-Sta­dion Brief­tauben in die Heimat ent­sandten. Ihre Nach­richt: Sieg sicher!“

Aller­dings hatten die Düs­sel­dorfer nicht mit dem Kampf­geist der Ost­west­falen gerechnet. In der Nach­spiel­zeit gelang Bie­le­felds Willi Pohl das umju­belte Siegtor. Es fiel zeit­gleich mit der Ankunft der Tauben am Rhein.

Kommt her, oder ich brate euch heute zum Abend­essen!“

Natür­lich ver­lief auch bei Fänna nicht immer alles rei­bungslos. Manchmal wurden die Tauben Opfer von Raub­vö­geln, in den Win­ter­tagen starben sie in Wind und Hagel, oder sie ver­steckten sich uner­wartet in den Bäumen. Kommt her, oder ich brate euch heute zum Abend­essen!“, schrie Fänna dann, wäh­rend die Nach­bars­jungen um Hans-Dieter Baroth lachten und riefen: Mensch, Fänna, iss datt Viech jetzt Dort­mund-Fan?“

Doch an einem Sonntag, bei einem Spiel zwi­schen Erken­sch­wick und Dell­brück, kam der junge Baroth umsonst zum Haus an der Engel­bert­straße. Fänna stand nicht am Fenster, die Tauben flogen nicht. Baroth hörte am Abend, dass Fänna im Flöz gestorben sei, auf­ge­schlitzt von einem Fels­bro­cken, ver­blutet am Kar­ne­vals­dienstag. In jenen Jahren, kurz vor Bun­des­li­ga­start, hatte sich die Radio­re­por­tage eta­bliert, und auch Hans-Dieter Baroth wusste, dass es Zeit war zu gehen. Er packte seine Sachen und zog weg aus Oer-Erken­sch­wick.