Streik, Vorwürfe und eine Entlassung: Im beschaulichen Mainz brennt gerade richtig der Baum. Der Klub setzt seine Identität aufs Spiel.
Wie kam es zur Eskalation?
Szalai war innerhalb der Mannschaft angesehen. Er soll als Mitglied des Mannschaftsrats bei den Offiziellen nachgefragt haben, ob und wann mit einer Rückzahlung des Gehalts zu rechnen sei. Dass ausgerechnet er aussortiert wurde, habe aber damit nichts zu tun, beteuerten Schröder und Beierlorzer. „Die Entscheidung hat nur sportliche Gründe“, wiederholten sie. Doch das emotionale Gemisch aus ausbleibendem Geld und der Ausbootung des geschätzten Kollegen führte offensichtlich zur Kurzschlussreaktion der Mannschaft. Am vergangenen Mittwoch blieb sie dem Training geschlossen fern. Schröder und Beierlorzer konnten sie auch in einem langen Gespräch nicht überzeugen. Härte würde dabei auch nichts bringen, versicherte Schröder, hielt aber gleichzeitig fest: „Wir haben am Donnerstagmorgen klar gemacht, was die Konsequenzen sind.“ Auch das klang wiederum widersprüchlich. Immerhin erschien die Mannschaft am Donnerstag und Freitag wieder zum Training, auch am Samstag zum Spiel gegen den VfB Stuttgart, das krachend mit 1:4 verloren ging.
Trainer Beierlorzer bemühte sich sogar, den Streik der Spieler als Zeichen für mannschaftliche Geschlossenheit und Solidarität zu preisen. Doch das bockige Fernbleiben der Spieler war vor allem eines: ein offener Affront gegen den Trainer.
Beobachter in Mainz sagen, dass die Entlassung von Beierlorzer bereits am Freitag festgestanden habe. Schon in der vergangenen Saison soll es Spannungen in der Kabine gegeben haben, obwohl Mainz den Klassenerhalt schaffte. Eine Aussprache verpuffte, Vorstand Schröder setzte sich kurzerhad mit auf die Trainerbank, manche deuteten das als Hilfe, andere als Misstrauensbeweis gegenüber dem Coach.
Am Samstag trat die Elf trotz Führung von Beginn an konfus auf und verlor daheim gegen den Aufsteiger Stuttgart hochverdient mit 1:4. In den Interviews nach dem Spiel gab sich Kapitän Danny Latza wortkarg und mürrisch. Er sagte, dass das Team hinter dem Trainer stehe, doch sein Blick und die Wortwahl kündeten eigentlich vom Gegenteil. Am Montag wurde Beierlorzer entlassen – Mittelfeldspieler Jean-Paul Boetius drückte bei Meldungen dazu den „Gefällt mir“-Button.
Adam Szalai dreht gerade alleine seine Runden.
Was bedeutet das Chaos für Mainz 05?
Der Klub gilt gemeinhin als beschauliches Biotop, mit engen Banden zwischen Angestellten und Fans. Doch genau diese Identität scheint derzeit auf dem Spiel zu stehen. „Der Fall Szalai war nur das unrühmliche Ende einer langen Entwicklung. Der Verein trifft seine Entscheidungen nur noch aus wirtschaftlichen Beweggründen“, sagt Seppo Schneider, der Vorsitzende der Supporters Mainz e.V. auf Nachfrage. „Mainz 05 entwickelt sich seit Monaten weg von seinen familiären und bodenständigen Wurzeln. Wir Fans fühlen uns im Dialog nicht wahrgenommen.“
Im Sommer wandten sich Anhänger in einem offenen Brief an den Vereinsvorsitzenden, sie bemängelten darin die wachsende Distanz zwischen Klub und Fans. Zudem fehle auf dem Platz die Identifikation der Spieler mit dem Klub: „An dieser Stelle muss klar das aktuelle Geschäftsmodell des Vereins hinterfragt werden. Spieler werden verpflichtet mit dem Ziel, sie weiter zu entwickeln und im Anschluss, nach relativ kurzer Verweildauer im Verein, für mehr Geld weiter zu transferieren.“
Diese Kritik trifft tatsächlich einen wunden Punkt im Mainzer Umfeld. Vermehrt sehen junge Talente den Klub nur noch als „Durchgangsstation“, viele neue Spieler aus Frankreich bilden Blöcke und Cliquen im Team, während Identifikationsfiguren wie Stefan Bell in der Hierarchie und Aufstellung nach hinten rücken. In der Mannschaft fehlt die Balance, die Formkurve oszilliert. In der vergangenen Saison folgte auf eine Heimniederlage gegen Augsburg ein Auswärtssieg in Dortmund. In der derzeitigen Verfassung scheinen derlei Erfolge weit weg, die ersten beiden Spiele gingen verloren. Am Freitag reist Mainz zu Union Berlin, der bisherige Co-Trainer Jan-Moritz Lichte sitzt da auf der Bank.
Nach der Länderspielpause erwartet das Team daheim Bayer Leverkusen. Deutliche Proteste im Stadion dürften ausbleiben, weil die organisierte Fanszene in Mainz den Spielen noch fernbleibt. Interessant könnte aber der 27. Oktober werden. Dann steht die Mitgliederversammlung an – und der Vorstand rund um Hofmann und Schröder muss die Mainzer Chaostage erklären.