Als Jakub Blaszczykowski zehn Jahre alt ist, muss er mit ansehen, wie sein Vater die Mutter ersticht. Lange lähmt ihn die Erinnerung. Heute gibt sie ihm Gelassenheit im hektischen Profibetrieb.
Als Sie zehn Jahre alt waren, bekamen Sie mit, wie Ihr Vater Ihre Mutter erstach. Meinen Sie diese Zeit?
Damals habe ich daran gezweifelt, ob ich es als Fußballprofi schaffen kann. Täglich fuhr ich von unserem Dorf Truskolasy zum Fußballtraining in die Stadt Czestochowa. Sechsmal die Woche zwei Stunden hin und zwei zurück. Abends kam ich erst um zehn oder elf ins Bett. Nach dem Tod meiner Mutter fuhr ich zwei, drei Monate überhaupt nicht mehr zum Training.
Wie motivierte Sie Ihr Onkel zu einer Rückkehr?
Er überredete mich, bei einem Sichtungsturnier mitzumachen. Einige der besten Jugendspieler des Landes nahmen teil, also sagte ich zu – und wurde zum besten Spieler gewählt. Als ich heimkehrte, sagte mein Onkel nur: ›Hast du gesehen, was du kannst? Und wie gut du sein könntest, wenn du regelmäßig trainierst?‹ Dieser Tag und dieser Satz gaben mir sehr viel Kraft.
2015 erschien Ihre Biografie, in der Sie offen über den Tod Ihrer Mutter reden. Waren die Gespräche mit der Autorin Malgorzata Domagalik auch eine Therapie für Sie?
Das Buch wollte ich schreiben, weil die Zeit reif war. Und weil ich dachte, dass ich danach in Interviews nie wieder zu dem Thema befragt werde.
Und nun sitzen wir hier und sprechen wieder darüber.
Es ist okay.
In Ihrer Biografie sagen Sie: ›Ich habe mir die Schuld dafür gegeben, dass ich nicht in der Lage gewesen bin, etwas zu tun.‹ Wie ist es heute?
Ich habe mich oft gefragt, ob ich das zugelassen hätte, wenn ich älter und stärker gewesen wäre. Aber diese Konjunktivfragen bringen nichts. Es ist wie im Fußball. Wenn du dir nach dem Spiel den Kopf darüber zerbrichst, wie du in einer bestimmten Situation reagiert hast, machst du dich wahnsinnig. Du musst es akzeptieren.
Suchen Sie heute noch nach Gründen für die Tat Ihres Vaters?
Nein.
Ihr Vater kam 2012 aus der Haft, kurz danach starb er. Haben Sie mit dem Kapitel abgeschlossen?
Das geht nicht, das möchte ich auch nicht. Aber ich will auch nicht ständig nach dem Warum fragen. Nach dieser Sache lag ich drei Tage und drei Nächte im Bett und war wie paralysiert. Irgendwann merkte ich: Es muss weitergehen.
Ihr Bruder sagt, dass er Ihrem Vater vergeben habe. Haben Sie?
(Überlegt.) Ich glaube, darüber möchte ich nicht reden.
Sie haben sich viele Male mit der Autorin getroffen. Woher kannten Sie sich?
Malgorzata ist eine sehr bekannte Journalistin in Polen, die nicht aus der Fußballbranche kommt. Aber genau das fand ich interessant, denn sie hat einen anderen Blick auf die Dinge. Für sie steht der Mensch im Vordergrund. Nach und nach entstand ein Vertrauensverhältnis. Sie tauchte ein in eine Fußballwelt, sie las alle wichtigen Fußballbiografien von Eric Cantona über Pep Guardiola bis Alex Ferguson. Und ich lernte, mit jemandem über dieses Thema zu sprechen. Auch wenn es mir oft schwer fiel.