Deutschland qualifiziert sich für die WM in Katar, Newcastle wird von den Saudis übernommen, die Bayern scheinen wieder unschlagbar – und Tommi Schmitt wird nachdenklich. Wie soll es weitergehen? Hier erklärt er, was ihm im Fußball noch wirklich wichtig ist.
Nochmal zum Desinteresse wegen des Überangebotes an Spielen, das wir in dieser Kolumne bereits einmal besprochen haben. Was stört Sie denn daran, ein großes Angebot zu haben?
Ich halte es wirklich für viel zu viel Fußball. Das Besondere geht flöten. Das Knistern. Das Lagerfeuer. Heute heißt es „Hast du zufällig gestern das Spiel gesehen oder hast du keinen Account?“, früher hieß es einfach nur „Wahnsinn, wie Van Nistelrooy den gestern gemacht hat, oder?“, weil man davon ausgehen konnte, dass eh jeder und jede DAS SPIEL geguckt hat. Wenn ich heute google, welche Partie ich heute gucken kann, fühle ich mich manchmal wie Simba in der Gnu-Herde, so sehr werde ich von Angeboten auf diversen Plattformen überrannt. Von Portugiesischer Liga über MLS bis zur Europa League. Alles ist zu jeder Zeit verfügbar. Die Netflexisierung des Fußballs. Hummer und Trüffel sind vor allem so beliebt, weil beides nur sehr selten verköstigt wird. Aber jeden Tag Hummer schmeckt irgendwann fürchterlich. Und da müssen wir aufpassen. Denn dieses nicht definierbare Besondere ist der Grund, warum der Fußball so erfolgreich ist. Und da muss ich tatsächlich mal Oliver Bierhoff Recht geben…
… jetzt wird’s spannend!
… der im Zuge der Diskussion, ob die WM nun alle zwei Jahre ausgetragen werden sollte, sagte, es muss für den Fußball jetzt vor allem erst mal um Qualitätssicherung gehen. Da gebe ich ihm Recht. Es ist jetzt nicht die Zeit, über Neues und über Mehr zu diskutieren. Fußball würde meiner Meinung nach sonst so beliebig wie Boxen oder Tennis. Irgendein Kampf eines Verbandes oder irgendein ATP-Turnier ist doch immer.
Interessant ist auch, dass die Stadien aktuell oft nicht ausgelastet sind, obwohl mehr möglich wäre. Es scheint, die Menschen hätten nicht mehr so große Lust auf Fußball. Herr Schmitt, was ist da los?
(Überlegt.) Es ist ein bisschen wie beim Liebeskummer, oder? Erst denkt man, man kann nicht ohne die andere oder den anderen. Und irgendwann greift die Floskel „Die Zeit heilt alle Wunden“ dann tatsächlich und man wird sich einigermaßen egal.
Mit 203 Partien am Stück hat Iñaki Williams einen neuen spanischen Rekord aufgestellt. Als Feldspieler. Dabei war schon der erste Einsatz des Basken in seiner Heimat umstritten.
Wie meinen Sie das genau?
Vor einem Jahr haben wir gesagt: Irgendwann ist alles wieder wie früher, dann können wir wieder ins Stadion, ach, wie wird das toll! Der Fußball hat ja immerhin mein Wochenende und das vieler anderer Menschen über Jahre bestimmt. Und nach einer gewissen Zeit hat sich das Gefühl eingestellt, dass es eben auch ohne Fußball geht. Zu Beginn der Pandemie wurde mir mal gesagt, die Menschen würden sich jetzt andere Beschäftigungen suchen – und das konnte ich nicht glauben. Aber es war tatsächlich so. Dazu kommt natürlich die Tatsache, dass in den Stadien ja immer noch nicht alles beim Alten ist. Und dass bislang kein „Die Pandemie ist vorbei!“ von der Politik rausposaunt wurde. Ich denke, die Menschen haben das Gefühl, dass all das, was gerade als Freiheit daherkommt, lediglich auf Bewährung geschieht und auch schnell wieder vorbei sein kann. So lange es kein definiertes Ende gibt, wird auch nicht der absolute Enthusiasmus einsetzen, davon bin ich überzeugt.
Und nun?
Wird es vermutlich ein bisschen dauern, bis alles wieder so ist wie vorher. Wie gesagt: Ein Ende der Pandemie, aber auch neue Geschichten, die der Fußball schreibt, müssen her. Die Vereine müssen sich neu beweisen und um die Liebe der Fans buhlen. Das braucht Zeit. Es gibt einen Fußball vor den Geisterspielen und einen danach. Das dazwischen war eine Zäsur, die unseren Fan-Kompass durcheinander gewirbelt hat. Dass alles zurückkommt, ist ja kein Ding der Unmöglichkeit. Es liegt jetzt vor allem an den Mannschaften selbst. Beispiel: Der 1. FC Köln. Die liefern zurzeit enorm ab, sorgen in der Stadt für eine Euphorie, die sie lange nicht mehr erlebt hat. Kein FC-Fan wird dieser Tage sagen, dass er keine große Liebe mehr zum Spiel empfindet – die haben richtig Bock. Und seit dem Spiel gegen Dortmund und mit den neuen, jungen Fohlen wie Joe Scally, Luca Netz und Manu Koné geht es mir als Gladbachfan ganz ähnlich: Ich habe wieder mehr Lust als noch vor einem Monat, als ich noch das Gefühl hatte, die Hälfte der Mannschaft hätte gerne den Verein gewechselt. Mein Fan-Defibrillator hat eingesetzt. Wenn Geisterspiele ausbleiben, werden wir in der Bundesliga spätestens in der Rückrunde wieder den ganz normalen Fußball mit euphorischen Kurven erleben.
Eigentlich hätte es diese Euphorie ja schon früher geben können, denn in diesem Sommer ist so viel passiert: Lionel Messi zu Paris, Ronaldo zurück zu Manchester United. Wahnsinn, oder?
Als Zinedine Zidane einst zu Real Madrid wechselte, da saß ich wie gebannt vor dem Fernseher und hab mir alle Videoschnipsel reingezogen, die ich erhaschen konnte. Ich wollte einfach wissen, ob es mit ihm da in Spanien funktioniert. Dass er sich die Rückennummer Fünf ausgesucht hatte, hat uns auf dem Schulhof drei Wochen beschäftigt. Aber jetzt? Wie gesagt: Es ist mir alles zu viel, überdreht und egal. Ich kann Paris Saint-Germain nicht gucken. Ich weiß nicht, wieso. Damals gab es ja in Madrid ja immerhin auch „Die Galaktischen“ und ein Starensemble, das nur mit Geld gelockt wurde. Aber Paris? Ich ertrage das nicht. Mich langweilt PSG. Ich gucke lieber Hansa Rostock oder sowas.