Flitzer sind wie Instagram: ein bisschen nervig, ein bisschen zum Fremdschämen, aber doch harmlos! Wirklich? Nach den jüngsten Vorfällen fürchten Englands Profis um ihre Sicherheit. Und fordern Konsequenzen.
John Mousinho ist der geborene Verteidiger – auf und neben dem Platz. Doch diesmal ging der Abwehrrecke des englischen Drittligisten Oxford United und Vorsitzende der nationalen Spielergewerkschaft (PFA) in die Offensive. „Ich sehe keinen Grund, warum ein Fan, der auf das Spielfeld kommt und einen Spieler bestürmt, wieder in ein Fußballstadion dürfen sollte“, erklärte der 35-Jährige gegenüber der BBC und wetterte nicht etwa aus einer trüben Laune heraus. Mousinho hatte sich seine Worte wohlfeil zurecht gelegt, in Absprache mit seiner Gewerkschaft. Die Strafe für Flitzer, befand er, müsse „hart genug sein, dass die Leute entscheiden, es bleiben zu lassen“.
Die Aussagen des Gewerkschaftsbosses waren eine Reaktion auf einige beängstigende Vorfälle im englischen Fußball: Am 6. Februar, beim FA-Cup-Spiel zwischen Nottingham Forest und Leicester City (4:1), war Gäste-Fan Cameron Toner auf den Rasen gerannt und hatte Nottinghams Torschützen Joe Worrall sowie andere jubelnde Spieler mit wilden Faustschlägen angegriffen. Dann wurde der 19-Jährige von Stewards überwältigt und der Polizei übergeben.
Einen Tag zuvor hatte ein Anhänger des Drittligisten Rotherham United in der Schlussphase der Ligapartie gegen Accrington Stanley (1:0) das Spielfeld gestürmt, um Accringtons Mittelfeldspieler Harry Pell gewaltsam an der Ausführung eines Elfmeters zu hindern. Der „Flitzer“ nahm den Profi in den Würgegriff und drosch den Ball weg. Als der sichtlich geschockte Pell am Ende doch noch zum Strafstoß antrat, geriet sein Schuss so schwach, dass er zur sicheren Beute für Rotherham-Torwart Josh Vickers wurde.
Zwar erhielten beide, der Schläger aus Leicester und der Rowdy aus Rotherham, anschließend lebenslange Stadionverbote bei ihren Vereinen (und obendrein Strafanzeigen wegen verschiedener Delikte), doch John Mousinho ist das zu wenig. Er will, dass künftig alle Flitzer dauerhaft vom Fußball ausgeschlossen bleiben: „Wenn Fans auf den Platz kommen, insbesondere wenn es zu Interaktionen mit Spielern kommt, sind aus fußballerischer und rechtlicher Sicht die schärfsten Sperren und Konsequenzen gefragt“, betonte der altgediente Profi, „das würden wir unterstützen.“
Mousinho und viele der rund 5.000 Spieler, die er als Gewerkschafter vertritt, haben schlichtweg Angst. Sie fürchten, dass es in Zukunft noch brutalere Angriffe geben könnte – zumal die Fußball-Regularien den Profis im Prinzip jegliche Art der Selbstverteidigung verbieten. „Aus Sicht der Gewerkschaft ist der erste Instinkt der Spieler, sich zu schützen, wenn Fans auf das Spielfeld kommen“, sagt Mousinho. „Die Richtlinie aber lautet, dass die Spieler sich zurückhalten sollen. Doch wenn jemand auf sie zurennt, wissen sie nicht, ob er ein Selfie will oder ein Messer hat.“
Schnell mal auf den Rasen gelaufen, in Richtung Kamera gegrüßt, drei oder vier Ordner umkurvt, ein Selfie mit Ronaldo gemacht, unter lautem Gejohle abgeführt worden – bravo! Diese fröhlichen Zeiten des unschuldigen Flitzertums sind schon länger vorüber, zumindest in England. Bereits 2019 hatte es dort eine Reihe von beunruhigenden Vorfällen gegeben. Unvergessen ist die Attacke eines Birmingham-City-Fans, der den damaligen Aston-Villa-Kapitän Jack Grealish im Derby hinterrücks zu Boden prügelte. Als Grealish später das Siegtor für Villa erzielte, wurde er auch noch von einem Birmingham-City-Ordner rüde angegangen.
„Beim nächsten Mal könnte ein Messer im Spiel sein“
„So was kann man nicht einfach beiseite wischen“, forderte Alt-Star Alan Shearer schon damals in seiner Kolumne für The Sun und warnte: „Beim nächsten Mal könnte ein Messer im Spiel sein. Wo sind wir nur angelangt im Fußball, wenn irgendein Verbrecher sich bemüßigt fühlt, so etwas zu tun? Es ist ekelerregend.“ Shearers früherer Nationalmannschafts-Kollege Gary Neville forderte sogar bauliche Konsequenzen: „Wenn solche Platzstürme wieder Einzug halten, müssen wir eben wieder Zäune um das Feld ziehen.“
Die Wiedereinführung der hässlichen Gitter in den wunderschönen Stadien der Premier League wäre nicht nur für Fußball-Ästhetiker ein Sakrileg – und würde wohl über viele Jahre bestehen bleiben. Schon die Abschaffung der Stehplätze auf der Insel (nach Hillsborough-Katastrophe 1989) hat eines gezeigt: Werden die Sicherheitsmaßnahmen in den Stadien erst einmal einmal verschärft, gibt es so schnell kein Zurück mehr.
John Mousinho nennt die Entwicklung der letzten Jahre „wirklich besorgniserregend“ und fordert im Umgang mit den „Pitch Invaders“, wie Flitzer in England genannt werden, einen radikalen Kurswechsel: „Bislang herrschte im Stadion meistens eine fröhliche Atmosphäre, wenn jemand auf das Spielfeld stürmte. Es ging meist nur darum, wie viele Stewards sie austricksen können. Jetzt aber gibt es einen Aspekt der Gewalt. Es ist wirklich schockierend. Wir müssen sehr schnell damit fertig werden.“
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