Wie geben Sie diese besondere Form von Mentalität den jungen Spielern weiter?
Die Jungen bringen eine Wahnsinnsqualität mit, aber es gibt auch Situationen im Spiel oder im Training, in denen wir ihnen zeigen, dass es nicht reicht, sich nur auf das Talent zu verlassen. Dass sie auch Dinge machen müssen, die ihnen nicht so gefallen.
Und das klappt?
Man muss eben den richtigen Moment abpassen, um sie zu loben oder Kritik zu äußern.
Die Aufgabe des Kapitäns.
Damit hat es nichts zu tun. Solche Sachen haben wir auch als Mitglieder des Mannschaftsrates erledigt, weil wir alle total verinnerlicht hatten, dass Qualität allein nicht reicht, wenn man etwas gewinnen will.
Wer hat eigentlich verfügt, dass Sie im Sommer BVB-Kapitän wurden?
Der Trainer.
Ein Vertrauensbeweis.
Wie gesagt, vieles, was in den Bereich des Kapitäns fällt, habe auch ich vorher schon gemacht. Mats (Hummels) und ich haben Dinge übernommen, die zuvor bereits Roman und Kehli (Sebastian Kehl) für den Zusammenhalt unternahmen. Der Trainer hätte jetzt genauso gut Marco (Reus), Lukasz oder Sven zum Kapitän machen können. Es ist fast egal, wer von uns die Binde trägt.
Dennoch geht ein Trainer ja davon aus, dass derjenige, der die Binde trägt, auch in der Stammelf gesetzt ist.
Ja, in der Regel stimmt das. Aber schauen Sie nach Wolfsburg, dort sitzt der Kapitän teilweise auf der Bank und es ändert nichts an seinem Stellenwert im Team.
Sie sind sehr geprägt von der Ära Klopp. Wie schmerzlich war es zu erleben, dass seine Magie in der Saison 2014/15 plötzlich verlorenging?
Das würde ich so nicht sagen. Wir hatten eine schlechte Phase, gefolgt von einer unglücklichen Phase mit sehr wenig Selbstvertrauen und entsprechend wenigen Punkten. Im Winter haben wir uns zusammengesetzt und gesagt: Es bringt nichts, den Gegner mit fünf Doppelpässen an die Wand zu spielen, wir müssen punkten. Wir waren Letzter. Und so haben wir uns da gemeinsam rausgezogen.
Wie groß waren Ihre Zweifel? Nach einem Handbruch haben Sie damals in der Hinrunde kaum gespielt.
Ich habe meinen Optimismus aber nie verloren. Selbst als wir gegen den FC Augsburg verloren hatten und viele Mitspieler sagten „Oha, wir haben wirklich mit dem Abstieg zu tun“, hatte ich nicht das Gefühl, dass nun gar nichts mehr geht.
Andersrum gefragt: Waren Sie in den guten Jahren auch mal kurz davor abzuheben?
Das liegt nicht in meinem Naturell. Sie sehen allein an meinem Werdegang, dass ich mich nie für etwas Besseres gehalten habe.
Ihre Karriere verlief dennoch rasant: 2008 lautete Ihre Perspektive noch Regionalliga, drei Jahre später waren Sie Deutscher Meister und Nationalspieler.
Das stimmt, aber meine Familie und mein Umfeld sorgen schon dafür, dass ich das richtig einordne. Sie haben aber Recht, im Fußball geht es rasend schnell.
Wie meinen Sie das?
Nach unserer ersten Meisterschaft 2011 haben wir in Dortmund alles abgerissen. Die Mannschaft war im Schnitt 22, 23 Jahre alt. Alle waren auf einer Wellenlänge. Das war unglaublich. Und 2012 ging es gleich weiter, als wir das Double gewannen. Heute denke ich, wir hätten die Zeit anhalten müssen, um alles stärker zu verinnerlichen. Aber das gibt’s im Fußball nicht. Die neue Saison beginnt nahezu dann, wenn die alte gerade fertig gespielt ist.
Nichts ist so alt wie der Erfolg von gestern.
Wie gesagt, Fußball ist ein schnelllebiges Geschäft. Es bleibt wenig Zeit zum Innehalten.
Selbst ein Erfolgsklub wie der BVB muss nach jeder Saison Leistungsträger ziehen lassen. Wie empfinden Sie – gewissermaßen als Urgestein – die permanente Fluktuation?
Ich finde es schade – gerade dass im vergangenen Sommer so viele Spieler den eingeschlagenen Weg verlassen haben. Ich verstehe ja, wenn Spieler sich verbessern wollen, aber in der vergangenen Saison haben wir gezeigt, wozu wir imstande sind. Wir sind durch drei, vier Systeme gewandert, haben teilweise in einem Spiel mehrfach umgestellt, weil irgendwann alle wussten, was zu tun ist. Und dann gehen am Ende einige Leistungsträger, und wir müssen wieder viel Arbeit aufbringen, um den Neuen die Philosophie einzuimpfen.
Kriegen Sie als Profi mit, wenn sich ein Kollege mit Wechselgedanken trägt?
Das hängt vom Typ ab. Wenn sie uns ins Vertrauen ziehen, führen wir mit dem Mannschaftsrat seit Jahren Gespräche mit Spielern, die überlegen, den Klub zu verlassen. Angefangen hat das damals bei Shinji (Kagawa) und in der letzten Saison haben wir auch viel mit Micky (Henrikh Mkhitaryan) geredet.
Hat aber nichts gebracht.
Die vergangene Saison war sein Durchbruch. Wir haben ihm gesagt, wie wichtig er in seiner Rolle für uns ist und was wir gemeinsam alles erreichen könnten. Als ich in den Sommerurlaub fuhr, war es für mich wahrscheinlicher, dass er bleibt, als dass er uns verlässt.
Sie klingen enttäuscht.
Als ich dann mitbekam, wie er entschieden hat, war ich traurig. Denn er ist nicht nur ein guter Fußballer, sondern auch ein durch und durch guter Typ.