Ihre Beziehung zu Jogi Löw ist getrübt, seit er Sie 2012 öffentlich an den Pranger stellte. Vor einem Spiel gegen Irland sagte er: „Alternativen kann ich mir nicht schnitzen. Also müssen wir die nächsten zwei, drei, vier, fünf Monate weiter mit Marcel Schmelzer arbeiten.“
Ich weiß, dass er mich für keinen besonders guten Fußballer hält. Aber wenn es wieder auf ein Turnier zugeht, kann es vielleicht trotzdem nicht schaden, auf der Linksverteidigerposition neben Jonas Hector – der das zweifellos sehr gut macht – noch eine bewährte Alternative zu haben. Und ich bin nachweislich auch keiner, der Ärger macht, wenn er nicht spielt. Ich bin ja nicht grundlos BVB-Kapitän geworden.
Nach der Löw-Äußerung 2012 standen Sie im Länderspiel gegen Irland in der Startaufstellung. Später sagten Sie, beim Auflaufen hätten Sie 15 Kilo mehr auf Ihren Schultern gehabt. Grübeln Sie viel während eines Spiels?
Überhaupt nicht. Das war ein absoluter Sonderfall. Weder im Champions-League-Finale noch in den Spielen gegen Augsburg oder Freiburg, als wir auf Platz 18 standen, war ich derart gehemmt.
Aber gegen Irland …
… und auch noch in einigen Länderspielen danach. Versetzen Sie sich in meine Lage: 80 Millionen Menschen hatten mitbekommen, wie der Bundestrainer zu mir stand, und trotzdem setzte er mich im nächsten Spiel wieder ein.
Und wie lief das Spiel?
Am Ende besser als erwartet, nicht zuletzt, weil mir auch Mitspieler von anderen Vereinen, etwa Thomas Müller und Manuel Neuer, viel Mut zusprachen: „Mach dir keinen Kopf, wir kriegen das gemeinsam hin.“
Sie machen sich Gedanken, dass 80 Millionen Deutsche eine beiläufige Äußerung über Sie hören, aber ein Champions-League-Finale vor über einer Milliarde Zuschauer macht Ihnen nichts aus?
Auch wenn’s blöd klingt: So ein Spiel ist verglichen damit fast Alltag. Auch wenn die Anspannung natürlich größer war als in normalen Erstligaspielen. Oder anders gesagt: Der Fokus lag auf dem Spiel, nicht auf meiner Person.
Sie sagten, Sie hätten sich durch das veränderte System beim BVB verbessert. Können Sie konkret festmachen in welchen Punkten?
Jürgen Klopp und Thomas Tuchel könnten das sicher besser.
Machen Sie es trotzdem?
Nein. Ich überlasse so etwas lieber anderen.
Vor der neuen Saison nahmen die meisten Experten an, dass Sie in Dortmund auf links vom portugiesischen EM-Verteidiger Raphael Guerreiro beerbt würden. Hand aufs Herz: Ging Ihnen das auch durch den Kopf?
Nein, schließlich brauchen wir hohe Qualität in der Mannschaft. Und mich pusht so ein Transfer auch. Natürlich musste ich in vielen Interviews erklären, ob ich damit rechne, die Saison auf der Bank zu verbringen. Aber inzwischen sieht man, dass Rapha im Mittelfeld besser aufgehoben ist. Sein Talent wäre auf meiner Position doch auch verschenkt. (Lacht.)
Die alte Fußballerfloskel: „Ich schaue nicht auf andere, ich schaue nur auf mich.“
Es stärkt mich letztlich, wenn gute, junge Spieler wie er zu uns kommen. Denn am Ende der Saison gehen auch wieder einige weg. Und mal ehrlich: Es macht mich auf Dauer auch nicht besser, wenn nur ich allein Linksverteidiger spielen kann.
Konkurrenz belebt das Geschäft. Marcel Schmelzer, Sie erleben eine bemerkenswerte Karriere.
Ich weiß es wirklich zu schätzen, wie alles gekommen ist: Dass ich die Chance in Dortmund bekommen habe. Dass ich so viele Leute an meiner Seite hatte, die mir auf jeder Entwicklungsstufe positiv zugeredet haben. Ich weiß aber auch, dass ich viel investiert habe, damit ich bleiben durfte und dahin kommen konnte, wo ich jetzt bin.
Als 18-Jähriger haben Sie mal in einem Interview gesagt, Sie könnten sich vorstellen, Grundschullehrer zu werden.
Damals war nicht klar, dass ich je die Chance haben würde, Profi zu werden.
Knut Reinhardt, ein Vorgänger als Linksverteidiger beim BVB, hat diese Laufbahn nach der aktiven Karriere eingeschlagen.
Ich habe es damals wohl etwas verklärt. Ich glaube, der Lehrerjob ist gerade in heutigen Zeiten eine sehr große Herausforderung.
Träumen Sie davon, als ewiger Borusse in die Geschichte einzugehen?
Wenn alles läuft wie geplant, würde ich gern als Spieler in Erinnerung bleiben, der seine komplette Profizeit bei Borussia verbracht hat. Das haben nicht viele geschafft. Spontan fallen mir nur Michael Zorc, Aki Schmidt und Lars Ricken ein.
Das würde Sie also stolz machen?
Es würde mich sehr stolz machen, das zu Ende zu bringen, was ich hier begonnen habe. Aus meiner Sicht wäre es dann eine erfüllte Karriere. Denn ich hätte nicht nur meine gesamte Profizeit hier verbracht, sondern auch Titel mit dem Klub gewonnen. Und hoffentlich sind es dann noch mehr als die drei, die ich jetzt habe.
—
HINWEIS: Das Interview erschien erstmals in 11FREUNDE #182 im Januar 2017