Vor der EM machte die ukrainische Regierung allerhand Versprechungen. Doch was wurde eingehalten? Wir sprachen mit einem ukrainischen Journalisten, der vor und während der EM die Missstände in seinem Land aufdeckte.
Nikolay Vorobiov hat zur EM die TV-Sendung „Euro Patrol“ produziert. Darin setzte er sich kritisch mit den Zuständen in seinem Land auseinander. Er sprach über schwere Themen wie Korruption der Machthaber, aber auch über vermeintlich Banales wie die Englischkenntnisse der heimischen Polizisten. Nikolay Vorobiov trug bei seinen Reportagen meist einen Soldatenhelm.
Nikolay Vorobiov, in Ihrer TV-Sendung „Euro Patrol“ tragen Sie einen Soldatenhelm. Warum?
Das ist eine Metapher. Zum einen wollen wir damit ausdrücken, dass wir mit unserem Team raus ins Schlachtfeld gehen. Andererseits ist es kein Geheimnis, dass die Ukraine einer riesengroßen Baustelle gleicht. Da ist es besser, einen Helm zu tragen. (lacht)
Sie berichten kritisch über Ihr Land. Haben die westlichen Medien das vor der EM nicht schon zu genüge gemacht?
Es ist eine schwierige Situation. Ich sehe mich verpflichtet über die Missstände in der Ukraine zu schreiben und zu sprechen. Journalismus muss kritisch sein. Wichtig war uns Objektivität und Transparenz. Wir hätten zum Beispiel auch wirklich schlimme Gegenden zeigen können. Üble Vororte oder ausgestorbene Landstriche. Aber was bringt das? Fußballtouristen reisen eh nicht in diese Orte.
Sie hatten keine Sorge, dass Sie das negative Bild weiterzeichnen, was zuvor in vielen westlichen Medien entworfen wurde?
Ich fand die BBC-Dokumentation auch nicht gut. Sie war kontextlos. In unseren Berichten wollten wir stets zwei Seiten zeigen: Einmal die Autoritäten, die Machthaber. Dann aber auch die Bewohner.
In einer Folge versuchen Sie an einem öffentlichen Platz mit Polizisten Kontakt aufzunehmen. Sie sprechen dabei Englisch. Der Erfolg ist mäßig.
In der Sendung ging es darum, die Versprechungen der Regierung mit der Realität abzugleichen. Vor der EM hieß es von Regierungsseite, dass sich die Touristen hier problemlos und sicher bewegen könnten, schließlich hätten wir 40.000 Polizisten, die Englisch sprechen. Ich war sehr erstaunt über die Zahl, denn bis dahin hatte ich sehr selten einen Polizisten getroffen, der eine andere Sprache als ukrainisch oder russisch spricht. Wir machen uns also auf die Suche.
Wie gingen Sie vor?
Wir bereisten mit einem Kamerateam das Land. Vornehmlich fuhren wir zu den Orten, die für Touristen relevant sind. Also Taxistände, Hotels, Bahnhöfe, Flughäfen. Einmal war ich auch bei einem Arzt und sagte, dass ich mir den Magen verstimmt habe, weil ich zu viel Hot-Dogs gegessen hätte. Ich sprach auch dabei Englisch und gab mich als ausländischer Journalist aus.
Sie bekamen aufgrund der kritischen Berichterstattung keine Probleme?
Von anderen Zeitungen haben wir häufig gehört, dass wir mit der politischen Opposition kooperieren. Doch das stimmt nicht. Zwei Jahre zuvor haben wir die Opposition, die noch an der Macht war, genauso kritisiert. Damals war ja nicht alles besser.
Und von Regierungsseite hat sich nie jemand gemeldet?
Bis jetzt nicht. Manchmal bekamen wir an den Bahnhöfen Probleme mit Polizisten, weil diese meinten, dass wir sie nicht filmen können. Doch es ist gesetzmäßig, dort zu drehen und sie zu filmen.
Dabei wurde viel darüber berichtet, wie stark die Presse in der Ukraine zensiert wird.
Das ist wohl zum Teil auch so. Doch ich habe mit meiner Show bisher noch keine Probleme bekommen. Allerdings hat die Regierung nun angekündigt, dass sie nach der EM untersuchen wird, wer vor oder während der EM über Korruption oder ähnliches berichtet hat. Es kann also sein, dass wir nach der EM Probleme bekommen werden.
Weil Sie darüber berichtet haben?
Es ist keine große News, dass es in der Ukraine Korruption gibt. Laut Transparency International liegt das Land in der Rangliste der korrupten Länder auf Platz 150 von 175.
Trotzdem haben Sie es angesprochen.
Schauen Sie sich nur mal die astronomischen Summen an, die für Stadionneu- oder ‑umbauten bezahlt wurden. Wir haben bereits ein Jahr vor der EM versucht, die Leute darauf aufmerksam zu machen. Allein, es ist sehr schwierig für uns gewesen, die Hintergründe zu durchleuchten. Denn man weiß hier nie so genau, welches Unternehmen oder Sub-Unternehmen an solchen Bauten beteiligt ist. Zumal es in den seltensten Fällen Ausschreibungen gab.
Während der EM wurde häufig über die freundlichen ukrainischen Polizisten gesprochen. Alles Schein?
Die Ukrainer haben eigentlich kein Vertrauen zur Polizei. Für gewöhnlich machen sie einen großen Bogen um Beamte. Während der EM hat sich das Bild gewandelt, das stimmt. Mit einem Mal waren die Polizisten außerordentlich freundlich. Nicht nur zu Touristen, sondern auch zu Einheimischen. Wir können nur mutmaßen, aber ich denke, dass sie vor dem Turnier eine konkrete Ansage von Oben bekommen haben.
Können Sie ein Beispiel für die neue Freundlichkeit nennen?
Ich erinnere mich an einen schwedischen Fan, der sehr betrunken war und nicht mehr richtig gehen konnte. Ein Polizist las ihn auf und brachte ihn zum Hostel. Mit einer Hand stützte er dabei den Schweden, in der anderen Hand hielt er dessen Bier. Er war so nett. (lacht) Ich hoffe, dass es auch nach der EM so sein wird – doch ich glaube es nicht.
Was ist Ihr Resümee nach drei Wochen EM?
Eine Sache habe ich gemerkt: Wir müssen offener werden. Wissen Sie, 77 Prozent der Ukrainer haben noch nie das Land verlassen. Doch sie müssen lernen, wie die Welt aussieht, sie müssen ihren Horizont erweitern. Dasselbe gilt im Journalismus. Momentan ist man hier sehr auf sich fixiert. Man sollte sich mit Problemen aber austauschen – ganz egal, ob mit Deutschen, Schweden, Kroaten oder Franzosen. Journalismus ist für mich etwas Globales.
Nikolay Vorobiov, Sie sind ständig unterwegs. Sie produzieren Filme, Shows, machen Talkabende. Wer finanziert Sie eigentlich?
Das werde ich häufig gefragt. (lacht)
Und?
„Euro Patrol“ ist nicht mein Hauptjob. Ich schreibe ja auch, zum Beispiel für den Korrespondent (ein regierungskritisches Magazin, d. Red.). Und dann werden wir von einigen Mäzenen unterstützt. Doch ganz ehrlich: Man braucht für diese Shows nicht viel: Ein paar Kameras, Fragen – und einen Helm.