Ein Ex-Klub steigt in die Zweite Liga ab, ein anderer Ex-Verein steht vor dem Gewinn der türkischen Meisterschaft. Leiden oder feiern Sie, Fabian Ernst?
Fabian Ernst, Ihre aktive Karriere haben Sie inzwischen beendet. Aber der Fußball lässt Sie anscheinend nicht los.
Der Fußball ist bei uns in der Familie ein großes Thema. Meine beiden Jungs sind verrückt danach.
Haben Ihre Zwillinge das Talent vom Vater geerbt?
Sagen wir mal so: In dem Alter war ich noch nicht so gut. Es ist noch zu früh, darüber ein Urteil abzugeben.
Als Vater an der Linie zu stehen, ist spannend. Aber Clemens Fritz hat in Bremen gerade seinen Vertrag verlängert, Claudio Pizarro schießt Werder vielleicht zum Klassenerhalt. Das ist Ihre Altersklasse.
Bei den beiden staune ich auch immer. Mit „Piza“ habe ich ja vor fünfzehn Jahren in Bremen gespielt. Das ist eine halbe Ewigkeit her. Aber es gibt echt noch ein paar Spieler aus meiner Generation, wie Miro Klose, die noch auf Topniveau aktiv sind. Davor muss man den Hut ziehen.
Sie selbst haben Ihre Karriere bereits vor drei Jahren beendet. Und das, obwohl Sie topfit waren. Hatten Sie keine Lust mehr auf Profifußball?
Wenn du, wie ich, in dem Alter viereinhalb Jahre im Ausland warst, dann bist du quasi weg vom Fenster. Zumal die türkische Liga auch nicht den besten Ruf hat. Ich habe ja noch mal versucht, in Deutschland Fuß zu fassen, aber das hat sich nicht realisiert. In der Türkei hätte ich sicherlich noch spielen können. Aber ich wollte dann auch nach Hause.
Ihr Zuhause ist Hannover. Dort haben Sie ihr Haus gebaut. Dort ist gerade eine Mannschaft ohne Leitwölfe fast wehrlos aus der Bundesliga abgestiegen. Wenn man sich die Entwicklung in den letzten Jahren anschaut, dann hätten Sie dem Team mit ihrer Erfahrung dort durchaus gut zu Gesicht gestanden.
Ja, ich denke schon. Eigentlich war genau das mein Plan, noch mal für Hannover 96 in der Bundesliga zu spielen. Das wusste ja auch jeder, aber es kam nichts. Und woanders wollte ich nicht mehr hin. Hannover ist meine Heimat, meine Kinder sollten hier zur Schule gehen. Aber inzwischen habe ich mein Ziel doch noch erreicht. (Lacht.) Seit Saisonbeginn laufe ich ja für die Ü32 und die Traditionsmannschaft des Vereins auf.
Immerhin.
Wir haben eine eigene Liga im Kreis Hannover. Jedes Wochenende gibt es dort ein Spiel. Es gibt keinen Konkurrenzdruck oder Gewinnen müssen mehr. Das ist auch sehr angenehm. Es ist klassisch, wie man das so kennt. Wir haben einmal in der Woche Training und nach dem Spiel kommt, ganz old school, eine Kiste Bier in die Mitte, und man setzt sich gemütlich zusammen. Das kann dann schon mal später werden.
Das stellt Sie zufrieden?
Ich habe das bei meinem letzten Verein Kasimpasa in der Türkei gemerkt. Wenn du nicht zu einhundert Prozent emotional dabei bist, dann leidet auch die Leistung. Für mich war deshalb klar, dass in Deutschland nur Hannover 96 in Frage gekommen wäre. Und dann muss man irgendwann auch eine Entscheidung treffen. Meine war, mit dem Profifußball aufzuhören.
Sie sind dann zum OSV Hannover in die Landesliga gegangen …
Das war mein Niveau. (Lacht.) Dort hätte ich gerne auch noch weiter gemacht, aber das hat aus diversen Gründen nicht geklappt. Dass ich irgendwann mal das Fußball spielen ganz einstelle, steht für mich nicht zur Debatte. Dafür machen mir das Training mit einer Mannschaft und das Spiel an sich einfach zu viel Spaß.
Sie haben dort nach vielen Jahren in den ganz großen Arenen der Welt erstmals wieder auf Asche gespielt. Eine große Umstellung?
Der Fußball an sich ist überall gleich. Aber Asche tut schon weh. Da geht es auch mal ordentlich zur Sache. Die Jungs waren alle deutlich jünger als ich. Ich habe da auch mal ordentlich auf die Socken bekommen, aber es war alles im Rahmen.
Und von der Ferne haben Sie zugesehen, wie ihre „Roten“ den Bach runter gingen.
Ich gehe ja ab und an auch noch ins Stadion. Aber Spaß macht das derzeit nicht. Der Abstieg ist aber absolut das konsequente Ergebnis der Entwicklung der letzten Jahre. Seit zwei, drei Jahren ging es immer mehr bergab. Für mich kam das daher nicht überraschend. Es fehlte am Ende die Qualität.
Sehen Sie positive Ansätze, wie der Verein schnell wieder nach oben kommt?
Momentan sehe ich da, ehrlich gesagt, noch nicht viel. Aber die Planung steht ja auch noch nicht. Es wird jedoch sicherlich schwerer für Hannover 96, wieder aufzusteigen, als es gewesen wäre, den Abstieg zu vermeiden. Es warten viele unangenehme Gegner und Spiele auf die 96er. Den direkten Wiederaufstieg sehe ich noch nicht eingetütet.
Als vor Wochenfrist Hannover 96 und Ihr anderer Ex-Klub Schalke 04 vor Ihrer Haustür um Bundesligapunkte spielten, sind Sie den umgekehrten Weg angetreten und waren drei Klassen tiefer bei einem Regionalligaspiel zwischen der Schalker Zweitvertretung und RW Ahlen zu Gast. Was war der Grund für Ihren Eifer?
Ich baue gerade eine Spielerberatungsagentur auf. Bei dem Spiel habe ich mir einen Mandanten angeschaut, der in der U23 des FC Schalke 04 kickt.
Um wen handelt es sich?
Bernard Tekpetey, einen 18-jährigen Stürmer aus Ghana, der bislang einen sehr guten Eindruck hinterlassen hat.
Ein neuer Gerald Asamoah?
Das müssen wir abwarten. Aber der Tipp kam tatsächlich von meinem langjährigen Freund Gerald Asamoah. Durch Gerald, den ich seit Schulzeiten kenne, habe ich einen guten Einblick in den ghanaischen Fußball. Ich sehe dort großes Potenzial und bin davon überzeugt, dass der eine oder andere irgendwann den Sprung in die Bundesliga schaffen kann.
Ein weiterer Markt, den Sie gut kennen, ist der türkische. Dort steht ihr Ex-Verein Besiktas zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder vor dem Gewinn der Meisterschaft. Wie intensiv verfolgen Sie das Geschehen noch?
Natürlich verfolge ich die Entwicklung von Besiktas. Ich habe immerhin dreieinhalb Jahre dort gespielt, bin Meister und zweimal Pokalsieger geworden. Es wäre die erste Meisterschaft für Besiktas, seitdem ich weg bin. Ich würde das dem Klub sehr gönnen, den Spielern und vor allen Dingen den Fans. Weil ich weiß, was für einen Stellenwert so eine Meisterschaft in der Türkei und insbesondere in Istanbul hat. Ich drücke Besiktas deshalb die Daumen. Ich würde mich inzwischen selbst als Fan bezeichnen. Auch wenn es bei mir in dem Klub nicht auf die feine Art zu Ende ging, war die Zeit bei Besiktas mit der bei Werder Bremen die schönste Zeit meiner Karriere.
Warum musste Sie damals gehen?
Eine Woche vor Trainingsbeginn wurde mir mitgeteilt, dass ich eine Woche später als geplant zum Training kommen soll. Da waren die anderen Jungs aber schon ins Trainingslager aufgebrochen. Ich konnte eins und eins zusammen zählen. Und das haben sie mit mehreren Spielern gemacht. Ich war vom neuen Trainer und Präsidium nicht mehr erwünscht. Es ist die türkische Art, mit solchen Dingen umzugehen. Sie wollen so Druck aufbauen, um Gehälter zu kürzen.
War die Türkei insgesamt eine Grenzerfahrung für Sie?
Die Leute sind schon verrückt da. Der Fußball hat dort einen ganz anderen Stellenwert. Es ist alles extremer, als hier. Du wirst als Fan in die Vereinsangehörigkeit herein geboren. Die Hemmschwelle ist sehr niedrig. Bei einem Einkauf musste ich oft 15 Minuten für Fotos und Autogramme extra einplanen. Das passiert hier höchstens den Superstars. Mit meiner Glatze war ich ja auch gut zu erkennen.
Sie erhielten damals wegen ihrer kompromisslosen Spielweise von der türkischen Presse den zweifelhaften Beinamen „Deutscher Panzer“!
Es gibt sicherlich schönere Spitznamen, aber ich konnte damit leben. Es war ja positiv gemeint. Die türkischen Medien sind ohnehin verrückt. In den vielen Sportzeitungen standen bisweilen vollständige Interviews mit mir, die ich nie gegeben habe. Da gerätst du manchmal schon ins Staunen.
Auf was müssen sich Mario Gomez und Andreas Beck im Falle des Titelgewinns einstellen?
Sie können sich auf einiges gefasst machen. Das ist schon eine andere Nummer als in Deutschland. Wir hatten zum Beispiel eine Stadionfeier, bei der das ganze Stadion mit Pyrotechnik eingenebelt war. So etwas würde es hier nie geben. Sah aber geil aus. Ich hoffe, dass sie den Titel im letzten Heimspiel perfekt machen, dann haben sie mehr Zeit zu feiern. Wir haben damals auswärts in Denizli gespielt. Als wir zurück in Istanbul waren, herrschte bereits auf dem Flughafen Ausnahmezustand. Wir haben fünf Stunden gebraucht, bis wir im Schritttempo in der Stadt angekommen waren. Wir sind mit unserem Bus mitten in den Autokorso hineingeraten. Und dann war es halb fünf morgens und wir hatten gar keine Zeit mehr für eine ausgedehnte Feier. Die haben wir später nachgeholt. Ich glaube, wir hatten vier oder fünf Feiern. Ich habe noch nie so viele glückliche Menschen gesehen.
Besiktas ist auch ein politischer Stadtteil. Als der türkische Parlamentspräsident Ismail Kahraman neulich forderte, das Land brauche eine islamische Grundordnung, stand das ganze Stadion im nächsten Heimspiel auf und skandierte: „Die Türkei ist laizistisch und wird es auch bleiben!“
Das war schon immer so, dass sich die Fans von Besiktas auch politisch geäußert haben. Ich habe in meiner Zeit die Gezi-Proteste hautnah mitbekommen, die ja auch von Besiktas-Anhängern mit unterstützt wurden. Das zeichnet diesen Klub aus. Die Besiktas-Fans sind gesellschaftlich sehr engagiert. Besiktas ist deshalb vielleicht ein bisschen vergleichbar mit dem FC St. Pauli, nur hat der Verein hier eine viel größere Bedeutung und Strahlkraft.
Sie sprachen die Gezi-Proteste an. Wie haben Sie das damals empfunden?
Du lebst in der Stadt, da berührt dich das schon. Ich habe zwar auf der asiatischen Seite gewohnt, und die Proteste fanden rund um den Taksim-Platz auf der europäischen Seite statt. Aber durch die Polizeipräsenz und die ständigen Hubschrauber, die vermutlich mit Reizgas beladen über dein Haus fliegen, warst du doch irgendwie mittendrin. Es ist sehr kritisch zu beurteilen, was da ablief.
Die Anhänger der Fangruppierung Carsi Besiktas wurden danach wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung und eines Putschversuches gegen die Regierung angeklagt und später frei gesprochen. Verurteilt wurden sie wegen Besitz von Pyrotechnik.
Die Bengalos kannst du auf dem Weg zum Stadion bei fliegenden Händlern wie Nüsse aus dem Bauchladen kaufen.
Die negativen Nachrichten aus der Türkei reißen in den letzten Monaten nicht ab. Würden Sie momentan überhaupt noch dort spielen wollen?
Ich bin auch jetzt noch sehr gerne in der Türkei. Sei es, um mir Spiele anzuschauen, oder auch um Urlaub zu machen. Aber man macht sich schon so seine Gedanken. Natürlich hat man ein komisches Gefühl, weil ich persönlich bereits genau dort herumgelaufen bin, wo die Attentate in Istanbul oder Ankara passiert sind und Menschen gestorben sind. Das berührt mich sehr. Aber wenn man mich zur Meisterschaft von Besiktas einladen würde, würde ich trotzdem sofort hinfliegen. Dafür faszinieren mich Land und Leute einfach zu sehr.
Sie haben damals großen Respekt in der Türkei genossen, weil Sie die schwierige Sprache relativ schnell gelernt haben. Wie gut ist ihr Türkisch heute noch?
Es ist über die Jahre ein wenig eingerostet. Aber wenn ich dann mal in den Ferien in Antalya bin, fühle ich mich durch die Sprache tatsächlich wie in einer zweiten Heimat. Der Schlüssel zum Zusammenleben ist immer die Sprache. Das verlangen wir von den Menschen, die zu uns kommen, auch. Deswegen war das für mich gar keine Frage, türkisch zu lernen. Und es ist immer wieder ein schönes Gefühl, wenn du dem Kioskverkäufer, der dich über den Tisch ziehen will, auf Türkisch kontern kannst.
Wenn das nichts hilft, können Sie immer noch sagen, Sie seien mit Besiktas Meister geworden. Das zieht immer, oder?
Vorausgesetzt natürlich, du gerätst nicht an einen Anhänger von Fenerbahce oder Galatasaray. Dann kann der Schuss auch hinten losgehen.