Vor drei Jahren fahndete die Polizei öffentlich nach neun Gladbach-Fans, weil sie ihnen Straftaten in einem Zug vorwarf. Nun wurden alle Angeklagten freigesprochen. Die Fanhilfe Mönchengladbach prangert den Fall an. Sogar der Richter spricht von „hanebüchener Polizeiarbeit“.
Im März 2016 sollen rund 40 Gladbach-Fans ein Zugabteil gestürmt und sechs BVB-Fans gezwungen haben, ihre Schals auszuhändigen, woraus eine Auseinandersetzung beider Fanlager resultierte. Ein Jahr später fahndete die Polizei mit Bildern öffentlich nach neun mutmaßlichen Tätern. Am Donnerstag wurde nun das abschließende Gerichtsurteil gefällt. Ergebnis: Freispruch für alle.
Wir sprachen mit Simon B. von der Fanhilfe Mönchengladbach über den Fall.
Simon B., gestern ist für sieben Angeklagte eine fast vierjährige Gerichts-Odysee zu Ende gegangen. Können Sie die Ereignisse kurz zusammenfassen?
Gladbacher Fans sollen vor vier Jahren in einem Zug auf der Rückreise vom Auswärtsspiel Wolfsburg gegen Gladbach Straftaten gegenüber BVB-Anhängern begangen haben. Da ging es um Körperverletzung und Nötigung. Die fälligen Anzeigen wurden erst Monate später rausgeschickt und ungefähr ein Jahr danach wurden die Beschuldigten öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben. Die Beteiligten und wir von der Fanhilfe wurden davon damals völlig überrascht. Die abgedruckten Gesichter am Morgen in den niederrheinischen Zeitungen zu sehen, war ein Schock. Die ersten Betroffenen haben sich dann auch direkt bei uns gemeldet. Das war der Startschuss für ein Verfahren mit einer öffentlichen Anprangerung von Fans, das wir so noch nicht erlebt haben.
Obwohl bereits öffentlich nach den mutmaßlichen Straftätern gefahndet wurde, wurden einige Verfahren relativ zügig wieder eingestellt. Woran lag das?
In den Tagen nach der Fahndung haben sich die allermeisten Fans auf unser und auf anwaltliches Anraten der Polizei gestellt, damit die Medien die Fahndungsfotos rausnehmen. Für die Betroffenen war es natürlich eine enorme Drucksituation. Familie, Freunde und Arbeitgeber haben die Fotos gesehen. Es gab Chefs die mit Kündigung drohten, zerrüttete Familien und ein Borusse musste sogar strenge Auflagen in seinem freiwilligen sozialen Jahr hinnehmen. Das kann Identitäten zerstören. Deswegen haben sie sich vorerst gestellt und gesagt: „Hier, ich bin der, den ihr sucht nehmt die Bilder bitte raus.“ Ein Jahr nach der Öffentlichkeitsfahndung sind dann auch schon die ersten Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt worden, weil klar war, dass zwar nach ihnen gefahndet worden ist, aber dass letztendlich gar nichts vorgeworfen werden konnte.
Beim Gerichtsprozess am Donnerstag wurden dann die restlichen sieben Angeklagten freigesprochen. Wie verlief der Prozess?
Ein Vertreter der Bundespolizei Dortmund, der wohlgemerkt auch an den Ermittlungen beteiligt war, trat als Zeuge auf. Bei seiner Befragung haben sich eklatante Ermittlungsfehler ergeben, die letztendlich zum Freispruch geführt haben.
Wie sahen diese Ermittlungsfehler aus?
Den Zeugen wurden Videos gezeigt, die gar nicht aus dem Zug waren, in dem die Straftaten passiert sind, sondern von dem Zug, in dem die Fans vorher gefahren sein sollen. Jene Videos waren dann auch noch sehr verkürzt und zusammengeschnitten. Unsere Anwälte haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als herauskam, was letztendlich in der Akte gezeigt worden ist. Hinzu kam, dass den Zeugen, die die Tatvorwürfe erhoben haben oder erhärten sollten, Lichtbildmappen vorgelegt wurden. In diesen wollte die Polizei die Tatverdächtigen schon vorher als solche identifiziert haben. Den Zeugen sind Bilder vorgelegt worden, die bereits mit „Beschuldigter“ oder „Tatverdächtiger“ überschrieben waren. Das war dann natürlich keine objektive Identifikation mehr. Wenn über einem Bild von zehn so etwas steht, dann kann das logischerweise keine vernünftige Feststellung sein. Den Zeugen wurde auf dem Teller serviert, wen sie beschuldigen sollen. Der vorsitzende Richter und die Staatsanwältin waren deswegen ebenfalls fassungslos. Unser Anwalt hat noch nie erlebt, dass die Staatsanwaltschaft so erschrocken von der Polizeiarbeit war. Normalerweise legt die Staatsanwaltschaft häufig die schützende Hand über die Exekutive. Auch der Richter sprach von „hanebüchener Polizeiarbeit“.