Manuel Gräfe gehört seit Jahren zu den besten Schiedsrichtern des Landes – und findet, dass hinter den Kulissen lange vieles schief lief. Im Interview spricht er über seine früheren Chefs, Seilschaften, den Hoyzer-Skandal und den Videobeweis.
Rafati hat die damalige Führung scharf kritisiert, er fühlte sich gemobbt und hat ein viel beachtetes Buch darüber geschrieben.
Babak hatte nicht in allem, aber in vielen Punkten recht. Er empfand die Atmosphäre als so bedrückend und belastend, dass er sich das Leben nehmen wollte. Muss ich mich nach so einem einschneidenden und schockierenden Vorfall auf der Leitungsebene nicht zumindest einmal hinterfragen? Kann es nicht vielleicht doch sein, dass ich etwas falsch gemacht habe? Ich bin der Meinung, dass schlechter Führungsstil automatisch zu schlechten Leistungen führt. Vergleichen Sie doch mal aus Schiedsrichtersicht die letzten beiden Spielzeiten. 2015/16 war der negative Höhepunkt einer Fehlentwicklung, 2016/17 unter neuer Führung dann bis auf sehr wenige Ausnahmen sehr gut. Lutz Fröhlich…
… der im Sommer 2016 das Amt als Schiedsrichter-Chef übernahm …
… lässt die Leute machen, und er hat ein Auge für Talente. Benjamin Cortus und Harm Osmers hatten als Aufsteiger eine sehr gute erste Bundesligasaison. Osmers durfte am drittletzten Spieltag das Spiel Ingolstadt – Leverkusen pfeifen. Ein Spiel, in dem es für beide Mannschaften um sehr viel ging. Er hat das sehr gut gemacht, weil er das Vertrauen von Lutz Fröhlich spürt. Genau dieses Vertrauen hat er mir für das Spiel HSV – Wolfsburg geschenkt. Trotz der medialen Vorgeschichte, die beim DFB eben keine war.
Dieses Vertrauen haben die Schiedsrichter unter Fandel und Krug nicht gespürt?
Die beiden haben sich ihre Schiedsrichterliste so zusammengebastelt, wie sie es wollten. Es ging nicht vorrangig nach Leistung und deshalb zulasten des Fußballs, wie man ja auch dem Leistungsabfall bis zum Sommer 2016 anmerkte. Belege für diverse Eingriffe in den letzten Jahren gibt es genügend.
Woran machen Sie das fest?
Es würde reichen, die Beobachtungsbögen bestimmter Beobachter zu bestimmten Schiedsrichtern zu überprüfen. Glauben Sie mir, das würde Sie sehr überraschen!
Wen meinen Sie konkret?
Interessanterweise haben sich Herbert Fandel und Hellmut Krug unter anderem sehr stark bemüht um die Förderung von Felix Zwayer…
… Ihrem Berliner Kollegen, der Sie einst bei der Aufklärung der Affäre um Robert Hoyzer unterstützte.
Das sehe ich mittlerweile aufgrund der Faktenlage anders. Ich habe ihn damals am Anfang noch gegen Hoyzers Anschuldigungen verteidigt, weil ich ihn für unschuldig hielt. In den Gerichtsakten aber wurde später festgehalten, dass Zwayer bei einer Spielmanipulation von Hoyzer als Linienrichter dabei war und vorher von ihm Geld angenommen hatte. Das von der Berliner Staatsanwaltschaft eingeleitete strafrechtliche Verfahren gegen ihn wurde wegen geringer Schuld eingestellt, aber auch eine juristisch geringe Schuld in Zusammenhang mit manipulierten Spielen ist für mich zu viel. Zwayer ist vom DFB wegen grob sportwidrigen Verhaltens zu sechs Monaten Sperre verurteilt worden, weil er dieses Geld angenommen und die ihm bekannten Manipulationen Hoyzers nicht sofort dem DFB gemeldet hat. Jetzt frage ich Sie: Wie kann so jemand bis in die Spitze der deutschen Top- Schiedsrichter kommen? Kann es vielleicht sein, dass Fandel und Krug dort einen Mann haben wollten, der ihnen zu bedingungsloser Loyalität verpflichtet war?
Hellmut Krug ist gerade erst von der DFL zum DFB zurückgekehrt. Er amtiert jetzt unter Fröhlichs Leitung als Chef-Instruktor.
Das kann ich persönlich nicht nachvollziehen, aber ich muss ja nicht jede Entscheidung richtig finden. Gerade erst hat Krug erzählt, die deutschen Schiedsrichter würden den Videobeweis besser handhaben, als das zuletzt beim Confed-Cup zu beobachten war. Das hat uns national unter Druck gesetzt und uns internationalen Schiedsrichtern sicherlich nicht gerade geholfen. Man hat das als typisch deutsche Überheblichkeit kritisiert. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass zum Beispiel die Holländer den Videobeweis schon etwas länger praktizieren. Warten wir doch erst mal ab, wie es bei uns läuft. Bei einer anonymen Umfrage unter allen Schiedsrichtern hatten vor eineinhalb Jahren zwei Drittel ein Problem mit Krug und seinem Stil. Im vergangenen Winter waren es immerhin noch 50 Prozent aller Bundesligaschiedsrichter.
Und der DFB trägt Schuld daran?
Nein, da dürfen Sie nicht verallgemeinern. Ich bin der DFB-Spitze sehr dankbar für das, was sie Anfang 2015 in Angriff genommen hat. Damals haben Wolfgang Niersbach und Helmut Sandrock dafür gesorgt, dass die Schiedsrichterführung nicht mehr autark im DFB agieren kann. Seitdem beobachtet der DFB die Lage sehr genau und schickt zu jedem Lehrgang hochrangige Vertreter. Genauso handhaben das auch Reinhard Grindel und Friedrich Curtius. Herr Grindel hat zuletzt beide Sommerlehrgänge besucht und eine beeindruckend offene Rede gehalten, in der er kritisch anmerkte, was nicht lief und noch besser werden muss, aber auch, was jetzt offensichtlich auf einem guten Weg ist. Seit der Amtsübernahme von Lutz Fröhlich wird die Professionalisierung, Modernisierung und Transparenz im Schiedsrichterwesen konsequent vorangetrieben. Einer allein wird es aber schwer haben. Persönlich habe ich nichts gegen Hellmut Krug und Herbert Fandel. Ich messe sie nur an dem, was sie geleistet und wie sie geführt haben. Ich hoffe, die beiden hinterfragen sich auch mal selbstkritisch und gehen den neuen Weg mit. Das wäre im Interesse der Schiedsrichterei und damit, noch entscheidender, im Interesse des Fußballs.