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Seite 2: „Lehmann war das fehlende Puzzleteil"

Vor jener Saison holten Sie nur einen Neuen dazu: Jens Leh­mann.
Er war das letzte feh­lende Puz­zle­teil. Ein Gewin­nertyp durch und durch. Bevor er unter­schrieb, führten wir beide lange und hef­tige Dis­kus­sionen. Jens hatte keinen Berater dabei, er war hart. Ich bekam einen Ein­druck davon, welch schwie­riger Typ er sein konnte. Aber ich dachte: Ok, wenn er so gera­deaus und ent­schlossen auf dem Rasen ist, dann soll es mir recht sein.

In seiner Bio­grafie schrieb Leh­mann, es habe manchmal zwanzig Minuten lang zwi­schen Ihnen beiden geknallt. Danach bespra­chen Sie pri­vate Themen, als sei nichts gewesen.
Kor­rekt. Ich mag ihn sehr. Er ist ehr­lich und steht für seine Mei­nung ein. Am wich­tigsten: Er ist ver­läss­lich. Und er hasst es, durch­schnitt­lich zu sein.

Stimmt es, dass Sie nach der gewon­nenen Meis­ter­schaft mit Leh­mann und Camp­bell in der Kabine anein­ander gerieten?
Wir bekamen uns in die Köpfe wegen des Elf­me­ters für die Spurs in der letzten Minute, den Jens ver­schuldet hatte. Die Spurs gli­chen damit aus, wir spielten unent­schieden, aber waren damit Meister. Es muss ver­rückt klingen, aber wir waren nun mal alle etwas anders gestrickt. Des­wegen schäumten wir selbst vor Wut, weil wir das Spiel nicht gewonnen hatten. Wenn Sie in diesem Moment die Kabine betreten hätten, hätten Sie nie, nie, nie für mög­lich gehalten, dass dieses Team gerade Meister geworden war. Es ging sehr aggressiv zu, es gab Schreie wie Warum hast du den Elfer ver­schuldet?“ oder Was ist dein Pro­blem, Mann?“ Es dau­erte eine ganze Weile, bis wir uns alle beru­higten.

Sie haben den Titel also nicht gefeiert?
Erst später. Die Arbeit war noch nicht erle­digt. Vier Spiele blieben schließ­lich noch, um die gesamte Saison über unbe­siegt zu bleiben. Es ging nicht mehr um die Meis­ter­schaft, son­dern um die Unsterb­lich­keit. Das habe ich der Mann­schaft auch direkt gesagt. 99 Pro­zent der Meis­ter­teams schenken das fol­gende Spiel ab. Also war ich gefor­dert. Und es wurde knapp: Gegen Ports­mouth hatten wir viele Ver­letzte, Johan Djourou musste rechts spielen und der Gegner war stark. Nur mit Glück spielten wir unent­schieden. Im aller­letzten Sai­son­spiel lagen wir gegen Lei­cester zurück und ich dachte: Ver­dammt noch mal, wie dumm kann man sein, aus­ge­rechnet das letzte Spiel zu ver­lieren!“ Aber am Ende setzte sich der Stolz der Mann­schaft durch, wir siegten 2:1.

Gab es andere Momente in der Saison, in denen Sie Ihren Lebens­traum in Gefahr sahen?
Viele. Wir gewannen 26 Spiele, spielten 12 Mal unent­schieden. Jedes dieser Remis hätte auch gegen uns laufen können. Es ist hilf­reich, gute Spieler zu haben, aber sie müssen von einer tie­feren Moti­va­tion ange­trieben sein. Meine Spieler stemmten sich gegen die Nie­der­lage, weil es um mehr als ein Spiel ging.

Die frü­heren Teams von Bayern, Real oder Bar­ce­lona auf ihrem Höhe­punkt waren alle tech­nisch besser als die heu­tigen Mann­schaften“

Arse­nals Fuß­ball war her­aus­ra­gend. Beim Spiel gegen die Spurs dau­erte es nur elf Sekunden vom Ball­ge­winn im eigenen Straf­raum bis zum Tor auf der anderen Seite. Die Konter sahen aus wie Cho­reo­gra­phien. Wie kann man so etwas ein­stu­dieren?
Die Vor­aus­set­zung dafür sind die her­aus­ra­genden Fähig­keiten der Spieler. Wenn du dar­über ver­fügst, kannst du an zwei Merk­malen arbeiten: dem genauen Timing des Passes und der Qua­lität der Ent­schei­dung unter Druck. Der heu­tige Fuß­ball ist mehr von Indi­vi­dua­lität geprägt, es geht darum, Stars zu fabri­zieren. Ich habe meinen Spie­lern damals gesagt, dass sie tief ins Spiel ein­tau­chen müssen, um zu ver­stehen: Der Erfolg aus einem gemein­samen Fuß­ball wird immer größer sein als der per­sön­liche Erfolg bei einem indi­vi­duell geprägten Spiel­stil. Erst im Zusam­men­spiel kann der Fuß­ball dir mehr geben. Heute aber ist das noch schwie­riger, weil das Spiel phy­sisch geprägt ist und die tech­ni­sche Seite ver­nach­läs­sigt wird. Das müssen wir in der Aus­bil­dung ändern.

Sprich: Mehr Fokus aufs Spielen denn aufs Rennen?
Heute spielen Monster in jedem Klub, die die 100 Meter in unter elf Sekunden laufen. Alles dreht sich um die Physis. Doch die frü­heren Teams von Bayern, Real oder Bar­ce­lona auf ihrem Höhe­punkt waren alle tech­nisch besser als die heu­tigen Mann­schaften.

Ist dieser Schwer­punkt auf der Ath­letik der Grund, warum so viele 16-Jäh­rige spielen und 31-Jäh­rige ihre Kar­riere beenden?
Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Aber ich weiß: Wenn du eine Gruppe von begabten Unter-20-Jäh­rigen hast, kannst du deren Ent­wick­lung nie vor­aus­sagen. Mit 20 trennen sich die guten von den durch­schnitt­li­chen Spie­lern. Mit 23 trennen sich die exzel­lenten von den guten Spie­lern. Dann erkennst du die Messis oder Ronaldos anhand ihrer Wider­stands­fä­hig­keit und ihres mühe­losen Umgangs mit Schwie­rig­keiten auf dem Platz.

Wel­cher Ihrer Spieler ent­wi­ckelte sich nach 23 besser, als Sie es erwartet hatten?
Thierry Henry. Er ent­wi­ckelte sich unglaub­lich schnell. Ich habe ihn als Mit­tel­stürmer auf­ge­stellt, weil ich ihn so in Monaco gesehen hatte. Doch danach hatte er seinen Instinkt ver­loren und war auf die Außen­bahn geschoben worden. Ich wollte seine Sinne schärfen und habe in den ersten Trai­nings­ein­heiten nur an dem Timing seiner Sprints gear­beitet. Er musste erkennen, wann und wo er auf dem Feld seine Läufe anzieht. Das war es.

Henry steht als Sinn­bild für die tak­ti­sche Fle­xi­bi­lität Ihrer Spieler. Er wich auf den Flügel aus, um dann den Raum in die Tiefe zu nutzen. Bei den Angriffen von Arsenal tauschten die Spieler Posi­tionen und immer füllte ein anderer auto­ma­tisch die ent­stan­denen Lücken.
Lassen Sie mich das an (Thierry) Henry erklären: Er war schnell darin, den Gegner zu ana­ly­sieren. Nach zehn Minuten wusste er, wel­cher Ver­tei­diger sich auf welche Seite bewegte, wel­cher Gegen­spieler einen schwa­chen Fuß hatte. Er erkannte von selbst die Schwä­chen der anderen und wusste sie zu nutzen. Robert Pires dahinter ver­stand es, seine Läufe mit Thierrys Läufen zu syn­chro­ni­sieren. Robert war unglaub­lich und bereit, sich für Henry auf­zu­op­fern, ihm die Bälle zu ser­vieren. Als Robert 45 Jahre alt war, habe ich ihn immer noch zum Trai­ning der aktu­ellen Arsenal-Mann­schaft ein­ge­laden. Selbst da gehörte er tech­nisch immer noch zu den Besten auf dem Feld.

Sie ach­teten immer auf die Spiel­in­tel­li­genz Ihrer Akteure. Später führten Sie Tests zur Infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tung auf dem Platz durch. Wie sahen diese aus?
Ich wollte her­aus­finden, wie viele Infor­ma­tionen die Spieler unmit­telbar vor der Ball­an­nahme auf­nehmen: Wo sind meine Mit­spieler? Wie viel Raum und Zeit habe ich? Wo steht der Gegner? Wenn du den Fuß­ball ein­fach spielst, nimmst du den Ball an, triffst eine Ent­schei­dung und führst sie aus – das ist alles. Mich inter­es­sierten die zehn Sekunden vor dieser Ent­schei­dung. Ich arbei­tete mit einer Uni­ver­sität zusammen und wir stellten Kameras auf, die die Bewe­gungen und Sicht­weisen des Spie­lers in dieser Zeit­spanne fest­hielten. Die ganz großen Spieler nehmen sechs bis acht Infor­ma­tionen auf, die guten vier bis sechs. Also je besser du deine Umge­bung scannst, umso besser spielst du. Groß­ar­tige Spieler drehen immerzu den Kopf herum, bevor sie den Ball bekommen. Spielen Sie Fuß­ball?

Auf Ama­teur-Niveau.
Ok, dort nimmt man wohl null bis eine Infor­ma­tion auf. (lächelt.)

Es gibt einige Mythen um Ihre Trai­nings­ein­heiten. Zunächst: Sie ließen die Spieler im 11 gegen 0 spielen oder im 11 gegen 11, wobei ein Team sich nicht bewegen durfte.
Stimmt. Ich wollte die Bewe­gungen und Ver­bin­dungen der Spieler zuein­ander ein­stu­dieren; Passen und Laufen ohne Gegen­wehr.

Zwei­tens: Das erste, was sie sich vor dem Trai­ning anzogen, war Ihre Stoppuhr.
Das ist wahr. Das Spiel hat sich dahin ent­wi­ckelt, dass der Trai­ner­stab per­so­nell ange­wachsen ist. Ein Trainer über­gibt seine Mann­schaft heute an Spe­zia­listen. Doch ich war damals der Tak­tik­trainer, Ath­le­tik­trainer und so weiter in einem. Es gab nur mich und das Team. Ich musste die Ein­heiten unter­bre­chen anstatt sie nur zu beob­achten. Also brauchte ich eine Stoppuhr. Noch heute time ich mein Leben so genau, wie ich es damals bei jeder Ein­heit und jedem Spiel getan habe.

Sie haben die phy­si­sche Seite des Spiels ange­spro­chen. Viele ehe­ma­lige Arsenal-Spieler sagen, Sie seien nur so fit geworden, weil Sie die Ernäh­rung im Klub umge­stellt haben. Alkohol war ver­boten, statt Pommes gab es Hähn­chen. Das war sei­ner­zeit fast revo­lu­tionär.
Nein, ich glaube nicht, dass dies der Schlüssel für unsere phy­si­sche Stärke war. Die Ernäh­rung ist nur ein Teil davon, wenn auch ein nicht unwich­tiger. Es ist wie das Benzin im Tank. Es gibt das sicht­bare und das unsicht­bare Trai­ning, sprich Ernäh­rung, Schlaf, Vor­be­rei­tung auf ein Spiel. Ein Verein muss die Grund­lagen für die opti­male Leis­tungs­fä­hig­keit schaffen. Ich enga­gierte damals einen Ernäh­rungs­be­rater, der den Spie­lern ver­mit­telte, warum ihnen bestimmte Nah­rungs­mittel bei ihrem Spiel helfen können. Ich selbst bin kein Spe­zia­list, aber ich schaffte es auf diese Art, die Spieler zu über­zeugen. Es geht um die Über­re­dung der Spieler, nicht darum, bloße Vor­gaben zu erlassen.