49 Spiele in Folge ohne Niederlage – Arsène Wenger schrieb als Trainer mit Arsenal Geschichte. Der 71-Jährige blickt auf Pizzawürfe, Bob Marley und den Streit mit Jens Lehmann zurück. Und beantwortet die große Frage: Wie wird eine Mannschaft unbesiegbar?
In Ihrer ersten Saison bei Arsenal sangen die Spieler im Bus „Wir wollen unsere Mars-Riegel zurück“. Wie haben Sie darauf reagiert?
(Lacht.) In meinem ersten Spiel wandte ich mich an den Physio und fragte: „Was ist los? Warum sagt hier niemand ein Wort?“ Er sagte: „Trainer, sie sind alle hungrig. Sie brauchen ihre Schokoriegel.“ Doch mit der Zeit änderte ich ihre Gewohnheiten. Dein Körper hat nun einmal auch ein Gewissen. Und im heutigen Fußball entscheiden Kleinigkeiten über Sieg oder Niederlage.
Ein Arsenal-Anhänger vom deutschen Fanclub fragte sich zurecht: Wenn Wenger die Ernährung umstellte, warum gab es dann beim Spiel in Manchester Pizza in der Kabine?
Im Old Trafford stellt die Heimmannschaft den Gästen Essen in die Kabine, damals gab es auch Pizza. Also schmiss jemand ein Stück auf einen Offiziellen von Man United.
Ihr Spieler Cesc Fabregas war so sauer nach der ersten Arsenal-Niederlage nach den berühmten 49 Spielen, dass er den United-Trainer Sir Alex Ferguson mit Pizza bewarf. Welche Erinnerungen haben Sie an den so genannten „Battle of the buffet“?
Wenn ich mich heute daran erinnere, finde ich es lustig. Damals aber bekamen wir große Probleme im englischen Fußball und in der Öffentlichkeit. Das Spiel selbst hatten wir dominiert bis United einen unberechtigten Elfmeter zugesprochen bekam. Wir fühlten uns nach dieser Serie von 49 Spielen einfach betrogen. Wir wurden beraubt.
„Ja, es war Hass.“ Arsenals Spieler gehen Uniteds Ruud van Nistelrooy heftig an.
Sie sollen heute Nachrichten mit Ferguson austauschen. Wie sprechen Sie beide über diese Duelle mit United?
Heute begegnen wir uns freundschaftlich und sind nett zueinander. Wenn du nicht mehr gegeneinander antrittst, wird die Beziehung naturgemäß besser. Aber wenn du im Wettbewerb bist, kann es hart werden. Und das wurde es damals.
Der Gipfel der Spannungen war ein Elfmeter von Ruud van Nistelrooy 2003. Er holte den Strafstoß heraus und setzte ihn dann an die Latte. Ihre Spieler umringten und verhöhnten ihn. Sie nannten van Nistelrooy einen „Betrüger“. Die Öffentlichkeit zählte Sie und Ihr Team an. Welchen Einfluss hatte dieses Spiel auf die „Invincible“-Saison?
Es war unser Start. Das alles hat das Team zusammengeschweißt. Martin Keown stand schlecht vor diesem Elfmeter und van Nistelrooy hat dies ausgenutzt. Doch zu dieser Zeit bekam United schon einen Elfmeter, wenn sie nur kurz danach fragten. Schiedsrichter sprachen ihnen Elfer aus Lust und Laune zu. Das lief ganz automatisch. Dieser Elfmeter von van Nistelrooy war ein Witz wie viele andere für United.
In der Doku „Best of enemies“ sagen sowohl Uniteds Roy Keane als auch Ihr Kapitän Patrick Vieira: In den Duellen zwischen Arsenal und United herrschte Hass auf dem Rasen.
Ja, es war Hass. Keane war ja geübt darin, Gegenspieler zu hassen. Patrick war eine starke Persönlichkeit, doch nicht per se aggressiv. Er war unnachgiebig in den Zweikämpfen, doch hielt sich an die Regeln. Doch wenn du einen Kampf mit ihm suchtest, dann hast du einen bekommen. Patrick fürchtete nichts und niemanden. Deshalb ragten die Duelle mit Keane auch so heraus.
„Fußball muss wie Kunst sein“
Im Interview mit der „Times“ erzählten Sie, dass Sie Pep Guardiola als Spieler ablehnten, weil Sie auf dieser Position Vieira vertrauten.
Guardiola kam sogar in mein Haus und bat mich darum, ihn zu verpflichten. Er befand sich aber am Ende seiner Karriere, kurz darauf wechselte er zu Brescia. Er hätte sehr gut zu Arsenal gepasst, aber ich schuldete Patrick eine Menge. Als ich Mitte der Neunziger zu Arsenal gekommen war, galt ich als Niemand. Zwar war ich in Frankreich zum „Trainer des Jahres“ erkoren worden, doch das interessierte niemanden. Sie fragten: „Arsene who?“ Patrick war mein erster Transfer und bis heute einer meiner besten. Er verschaffte mir Glaubwürdigkeit. Zehn Jahre später suchte die ganze Welt den neuen Vieira, selbst er selbst als Funktionär bei Man City. Doch niemand hat ihn gefunden.
Lassen Sie uns über den Druck in dieser speziellen Saison sprechen. Sie sagten einmal: „Als Trainer habe ich nie Schönheit, Vergnügen oder Entspannung gespürt.“ Dieser Job muss Sie doch gesundheitlich stark belastet haben?
Schauen Sie mal: Ich habe Arsenal in 1235 Spielen betreut und nicht ein einziges Mal gefehlt. Körperlich war ich nie angeschlagen. Noch heute – mit 70 Jahren – spiele ich Fußball und kann ordentlich laufen. Sie müssen glücklich sein, wenn Sie das in diesem Alter noch tun können. Was ich meinte, war: Ich habe mein Leben als Trainer in vollem Maße geliebt, doch ich musste immerfort Probleme lösen. Die pure Freude bleibt für wenige Sekunden, der Rest ist harte Arbeit. Das dürften Sie als Reporter auch kennen. Der Alltag ist hart. Die langweilige, sich wiederholende Seite des Lebens macht es schwer. Und genau das ist der Grund, warum ich diesen unterhaltsamen Spielstil etablierte. Es geht darum, die Leute vom langweiligen Leben abzulenken. Das Ziel ist immer, das Spiel in Kunst zu verwandeln. Lasst die Menschen die Langeweile vergessen!
Fußball hat demnach eine kulturelle Aufgabe?
Ja, Fußball muss wie die Kunst sein.
38 Spiele, 26 Siege, 12 Unentschieden: Arsenal feierte den Meistertitel ausgerechnet bei den Rivalen Spurs.
Sie sprachen von „wenigen Sekunden der puren Freude“. Wann erlebten Sie sie?
Nach Siegen. Aber sobald ich die Kabine betrat, lauerten dort wieder die üblichen Probleme: Wer ist verletzt? Wen kann ich ersetzen? Wann spielen wir wieder? Der Ärger über eine Niederlage hielt länger als die Freude über einen Sieg. Selbst wenn ich heute an die „Invincibles“ denke, ärgere ich mich über unser Ausscheiden in der Champions League gegen Chelsea. Eigentlich hätten wir den Wettbewerb in jenem Jahr gewonnen. Doch wir spielten an der Stamford Bridge nur unentschieden. Vor dem Rückspiel hatte ich die komplette erste Elf gegen United spielen lassen, weswegen uns die entscheidenden Prozente an Energie gegen Chelsea fehlten. Es schmerzt mich noch heute, daran zu denken.
Bei Gegentoren pochten Ihre Arterien, sagten Sie einmal. Wie hält man das in einer so langen Karriere aus?
Manchmal war es weniger schlimm, aber ja, ich war außer mir, wenn wir ein Gegentor bekamen. Du musst als Trainer sauer sein, anders geht es nicht. Heute verhalten sich die Trainer so souverän, sie sind Schauspieler am Seitenrand und haben vor allem ihr Image im Kopf. Am meisten stört mich, wenn Trainer nach dem Spiel auf den Rasen rennt. Diesen Mist habe ich schon immer gehasst. Geh als Trainer nach dem Abpfiff in die Kabine und überlass die Arena deinen Spielern!
Trotz all dieser inneren Qualen wirkten Sie nach außen immer gefasst. Das soll auch bei den Ansprachen in der Kabine so gewesen sein.
Ich musste meinen Spielern vermitteln, dass ich alles unter Kontrolle hatte. Du kannst nicht jede Woche ausrasten. Wenn du deine Spieler nur über die emotionale Seite erreichen willst, hören sie dir irgendwann nicht mehr zu. Dein Stil muss sich der Psychologie der Mannschaft anpassen. Und in dieser Elf waren ohnehin genügend Emotionen im Raum, da war es besser, sich ihnen über logische und sachliche Aspekte anzunähern.