49 Spiele in Folge ohne Niederlage – Arsène Wenger schrieb als Trainer mit Arsenal Geschichte. Der Franzose blickt auf Pizzawürfe, Bob Marley und den Streit mit Jens Lehmann zurück. Und beantwortet die große Frage: Wie wird eine Mannschaft unbesiegbar?
Wir feiern heute die 2000er – das aufregendste Jahrzehnt der Fußballgeschichte! Warum es so aufregend war? Lest ihr in unserer Titelgeschichte aus dem aktuellen Heft.
Arsene Wenger, Ihr Team blieb 2003/2004 satte 49 Spiele lang ohne Niederlage. Der Kader schien perfekt zusammengestellt. In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, dass die Fähigkeit, ein Team zu basteln und Spieler einzuschätzen, aus Ihrer Kindheit im Bistro Ihrer Eltern La Croix d’Or rührt. Warum?
Das Bistro war eher ein kleines Wirtshaus in einem Dorf, in dem es hauptsächlich nur Bauernfamilien und Pferde gab. Die Bauern kamen vom Feld und tranken ihr Feierabendbier in unserem Bistro. Meine Heimat war sehr religiös geprägt, also gingen die Einwohner am Sonntag zur Messe und kehrten danach bei uns ein, nur um über Fußball zu reden. Jeden Donnerstag wurde die Aufstellung des Lokalvereins bei uns lange debattiert und dann entschieden. Ich hing an den Lippen der Spieler und Trainer, wenn sie sich stritten und manchmal aufeinander losgingen. Fußball war das alles bestimmende Thema. Also muss ich unterbewusst gespürt haben, dass dieses Spiel eine übergeordnete Bedeutung im Leben haben musste. Nach diesem Motto sollte ich daraufhin mein ganzes Leben ausrichten.
Sie schreiben in Ihrem Buch: „Den Männern zuzuhören vermittelte mir Kraft und einen untrüglichen Instinkt.“ Also bildeten diese Beobachtungen das Fundament für Ihre spätere Karriere als Trainer?
Mir war immer klar, wie sehr ich Trainer werden wollte, aber mir blieb zunächst die Wurzel für diesen starken inneren Wunsch verborgen. Erst später realisierte ich, wie allgegenwärtig der Fußball in meiner frühen Kindheit erschien. Außerdem war unser Heimatklub nicht gerade erfolgreich, was den Sieg noch kostbarer erschienen ließ und meinen Hunger für dieses Siegesgefühl noch verstärkte. Und weil ich nun mal religiös erzogen wurde, kombinierte ich die Religion und den Fußball. Ich las das Buch der Messe während der Spiele. Als ich zehn Jahre alt war, betete ich zu Gott, damit er meinem Klub im Spiel hilft.
Das hat Ihnen vielleicht später geholfen, als Uniteds Stürmer Ruud van Nistelrooy einen Elfmeter gegen Arsenal an die Latte schoss – und Ihr Team auf diese Weise unbesiegt blieb.
(Lächelt.) Vielleicht. Aber ich habe herausgefunden, dass gute Spieler mehr helfen als lange Gebete.
Haben Sie sich an etwas Bestimmtes aus der Kindheit im Bistro zurück erinnert, als Sie Arsenals „Invincibles“ (die Unbesiegbaren) zusammen stellten?
Meine Kindheit im Bistro beeinflusste mich in dreierlei Hinsicht. Zuerst einmal entstand dort meine bis heute anhaltende Leidenschaft für diesen Sport. Zweitens hatte ich keinen Trainer bis zu meinem 19. Lebensjahr, was mir vermittelte, wie wichtig im Leben und im Fußball eine Figur ist, zu der man aufschaut. Und drittens: Durch die vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten im Wirtshaus entwickelte auch ich einen liberalen Geist. Ich war aufgeschlossen gegenüber neuen Einflüssen und gegenüber allen Spielern – ganz egal woher sie stammten. Als ich in England das Traineramt übernahm, spielten dort fast nur Einheimische. Das „Invincible“-Team bestand dann aber aus Spielern aus der ganzen Welt, es wurde das multikulturellste Team der damaligen Zeit. Doch es reicht nicht, gute Spieler zu haben. Du musst als Trainer eine Identität entwickeln, für die die Mannschaft bereit ist einzustehen. Deine Werte müssen die Spieler mittragen.
„Habe keine Angst davor, sehr viel von deinen Spielern zu verlangen!“
Die Journalistin Amy Lawrence schrieb in ihrem tollen Buch über die Mannschaft von den „United Nations of Arsenal“. Wie haben Sie es geschafft, dass sich innerhalb der Mannschaft aus den unterschiedlichen Nationalitäten keine Cliquen bildeten?
Ich gebe Ihnen Recht, diese Gefahr bestand durchaus. Der Mensch ist so gestrickt, dass er sich immer mit denjenigen zusammen tut, die ihm ähneln, die die gleiche Sprache sprechen oder die gleiche Nationalität haben. Bei Arsenal haben sich die Franzosen natürlich zusammen an einen Tisch gesetzt. Wenn aber ein Engländer dazu kam, sind sie vom Französischen ins Englische gewechselt. Wichtig ist, dass die Kulturen nicht verschwinden, sondern sich mischen. Mich hat immer der Gedanke getragen, dass die unterschiedliche Herkunft irrelevant wird, sobald sich alle hinter einer Idee versammeln. Ein Trainer muss dafür eine gemeinsame Kultur und Identität etablieren.
Doch wie haben Sie das konkret angestellt?
Meine Überzeugung war: Habe keine Angst davor, sehr viel von deinen Spielern zu verlangen! Verlange sogar das Unmögliche von ihnen! Im Leben brauchst du ein kurzfristiges und ein langfristiges Ziel. Ersteres unterstützt die Intensität der Motivation, also wie stark du ein Ziel verfolgst. Zweites unterstützt die Ausdauer der Motivation, also wie lange du daran festhältst. 2003 stellte ich mich vor die Presse und verkündete, dass wir Meister werden können – ohne ein einziges Spiel zu verlieren. Wir wurden nicht Meister und die Spieler waren wütend auf mich.
Ihr erfahrener Spieler Martin Keown sagte Ihnen, dass es Ihre Schuld gewesen sei, dass Arsenal nicht Meister wurde. Mit Ihrem Spruch hätten Sie zu viel Druck auf die Spieler ausgeübt. Hatten Sie nicht spätestens da echte Zweifel an Ihrem Ziel?
Vielleicht hatte Martin sogar Recht, die Spieler glaubten zu diesem Zeitpunkt noch nicht daran, dass wir tatsächlich unbesiegbar sein könnten. Und als Trainer bist du immer von Zweifeln geplagt. Doch ich rückte nicht von meinem Ziel ab, weil es für mich wie ein Lebenstraum war, den ich seit Beginn meiner Laufbahn hegte. Als Trainer musst du das Maximum aus deiner Mannschaft herausholen – und das ist nun einmal eine Saison ohne Niederlage. Außerdem fiel mir ein weiterer Aspekt im Laufe jener Saison auf: Der Gedanke an eine mögliche Niederlage kann ein Team hemmen. In dieser Saison 2003/04 ließen wir jenen Gedanken einfach nicht zu. Für uns existierte ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht einmal die Möglichkeit einer Niederlage. Die Angst war komplett verschwunden. Was blieb, war die pure Freude am Spiel. Noch heute kommt mir diese Serie von 49 Spielen ohne Niederlage vor wie das Logischste der Welt.
Wie haben Sie alle diese starken Persönlichkeiten im Team gezähmt? Sie hatten Spieler wie Thierry Henry, Sol Campbell…
…Lehmann, Ashley Cole – alle waren fordernde Charaktere. Diese Jungs besaßen in gleichem Maße Charisma und Demut.
Die Spieler selbst fürchteten, sich im Abschlusstraining zu verletzen, weil die Intensität so hoch war. Teilten Sie diese Befürchtung?
Nie. Ich hatte ein starkes Team mit einer guten Bank. Die Spieler agierten voller Hingabe, aber auch mit Respekt voreinander. Es lief nie aus dem Ruder, ich kann mich an keinen Ausfall erinnern. Ein Freund von mir arbeitete zu dieser Zeit beim französischen TV und ich lud ihn mal zu einem Training ein. Er war beeindruckt vom Charisma dieser Jungs, schon als sie morgens das Gelände betraten. Sie lehnten Durchschnittlichkeit mit jeder Faser ab – doch ohne dabei arrogant zu sein.
Robert Pires sagte: „Wir waren nicht arrogant, wir hielten uns nur für unbesiegbar.“
(Lacht.) Und Recht hatte er. Man United hatte damals fantastische Spieler, Chelsea unglaubliche Spieler. Doch wir verfügten gleichzeitig über Harmonie und Kampfgeist in der Truppe.
Doch es ging mitunter hart zu, beispielsweise als Kolo Toure sein Probetraining absolvierte. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Sie dürfen nicht vergessen, dass Kolo aus einer Schule meines Freundes Jean-Marc Guillou in der Elfenbeinküste stammte. Er war bei Probetrainings in Bastia, Genf oder Straßburg durchgefallen. Als ich ihm in Aussicht stellte, ihn zu verpflichten, war er zu allem bereit: auch jeden zu attackieren.
Zunächst foulte er Henry, dann Dennis Bergkamp, sodass beide lange auf dem Boden lagen. Die Spieler waren fassungslos, dann aber grätschte er selbst Sie um.
Ja, er tacklete uns, aber nicht aus Aggressivität, sondern aus Enthusiasmus. Er wollte unbedingt zeigen, was er drauf hat, und bei Arsenal bleiben. Ich musste zwar zum Arzt, aber meine Verletzung war nicht so schlimm. Ich habe Kolo direkt am nächsten Tag verpflichtet wegen seines Hungers, seiner Hingabe und seiner physischen Stärke. Er war ein Monster.
Sein Kollege in der Innenverteidigung Sol Campbell war ähnlich veranlagt…
…nein, er war noch härter. Wenn Sol dir auf den Fuß stieg, konntest du eine Woche lang nicht laufen, das kann ich Ihnen sagen.
„Ich weiß nicht, ob ich den Transfer von Sol Campbell noch mal machen würde“
Campbells Transfer war ebenfalls kontrovers, weil er vom großen Rivalen Tottenham zu Arsenal wechselte. In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Sie den Wechsel vorbereiteten: Sie trafen sich mit Campbell im Haus des stellvertretenden Vorsitzenden, allerdings nur nachts.
Oh ja. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich Sol der Presse vorstellte, hätte niemand auf der Welt diesen Transfer auch nur für möglich gehalten. Dieser Wechsel blieb geheim zwischen Sol, seinem Berater, unserem Vorsitzenden und mir. Das wäre heute undenkbar, weil viel zu viele Personen in einen Transfer involviert sind. Wir liefen nachts durch die Felder rund ums Haus und redeten lange. Für mich bestand kein großes Risiko, weil ich von seinen Stärken als Spieler überzeugt war. Doch für Sol war die Angelegenheit komplizierter, ihm sollte der blanke Hass entgegen schlagen.
Arsenals Spieler sollen ihn im Training ausgebuht haben, um ihn auf die feindselige Atmosphäre bei Spielen gegen Tottenham vorzubereiten.
Sie wollten ihm helfen und machten aber auch ihre Witzchen. Doch die Situation stellte sich für Sol wirklich unangenehm dar. Erst später hat er mir erzählt, dass er sich in London nicht mehr frei bewegen konnte und viele Restaurants meiden musste. Wenn ich so zurückblicke, weiß ich nicht, ob ich den Transfer heute noch mal so tätigen würde. Einfach weil ich weiß, welchen Schwierigkeiten Sol dadurch ausgesetzt wurde.
Der Kader der „Invincibles“ bestand nur aus 21 Spielern für vier Wettbewerbe. Wollten Sie ihn absichtlich so klein halten?
Ja, ich halte nichts von großen Kadern. Das wirkt sich negativ auf den Konkurrenzgedanken aus, zu viele Spieler sind dann außen vor. Die beste Kadergröße liegt zwischen 23 und 25. Wenn du aber 21 erfahrene Jungs hast, kann das auch reichen – wie wir bewiesen haben.
Vor jener Saison holten Sie nur einen Neuen dazu: Jens Lehmann.
Er war das letzte fehlende Puzzleteil. Ein Gewinnertyp durch und durch. Bevor er unterschrieb, führten wir beide lange und heftige Diskussionen. Jens hatte keinen Berater dabei, er war hart. Ich bekam einen Eindruck davon, welch schwieriger Typ er sein konnte. Aber ich dachte: Ok, wenn er so geradeaus und entschlossen auf dem Rasen ist, dann soll es mir recht sein.
In seiner Biografie schrieb Lehmann, es habe manchmal zwanzig Minuten lang zwischen Ihnen beiden geknallt. Danach besprachen Sie private Themen, als sei nichts gewesen.
Korrekt. Ich mag ihn sehr. Er ist ehrlich und steht für seine Meinung ein. Am wichtigsten: Er ist verlässlich. Und er hasst es, durchschnittlich zu sein.
Stimmt es, dass Sie nach der gewonnenen Meisterschaft mit Lehmann und Campbell in der Kabine aneinander gerieten?
Wir bekamen uns in die Köpfe wegen des Elfmeters für die Spurs in der letzten Minute, den Jens verschuldet hatte. Die Spurs glichen damit aus, wir spielten unentschieden, aber waren damit Meister. Es muss verrückt klingen, aber wir waren nun mal alle etwas anders gestrickt. Deswegen schäumten wir selbst vor Wut, weil wir das Spiel nicht gewonnen hatten. Wenn Sie in diesem Moment die Kabine betreten hätten, hätten Sie nie, nie, nie für möglich gehalten, dass dieses Team gerade Meister geworden war. Es ging sehr aggressiv zu, es gab Schreie wie „Warum hast du den Elfer verschuldet?“ oder „Was ist dein Problem, Mann?“ Es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns alle beruhigten.
Sie haben den Titel also nicht gefeiert?
Erst später. Die Arbeit war noch nicht erledigt. Vier Spiele blieben schließlich noch, um die gesamte Saison über unbesiegt zu bleiben. Es ging nicht mehr um die Meisterschaft, sondern um die Unsterblichkeit. Das habe ich der Mannschaft auch direkt gesagt. 99 Prozent der Meisterteams schenken das folgende Spiel ab. Also war ich gefordert. Und es wurde knapp: Gegen Portsmouth hatten wir viele Verletzte, Johan Djourou musste rechts spielen und der Gegner war stark. Nur mit Glück spielten wir unentschieden. Im allerletzten Saisonspiel lagen wir gegen Leicester zurück und ich dachte: „Verdammt noch mal, wie dumm kann man sein, ausgerechnet das letzte Spiel zu verlieren!“ Aber am Ende setzte sich der Stolz der Mannschaft durch, wir siegten 2:1.
Gab es andere Momente in der Saison, in denen Sie Ihren Lebenstraum in Gefahr sahen?
Viele. Wir gewannen 26 Spiele, spielten 12 Mal unentschieden. Jedes dieser Remis hätte auch gegen uns laufen können. Es ist hilfreich, gute Spieler zu haben, aber sie müssen von einer tieferen Motivation angetrieben sein. Meine Spieler stemmten sich gegen die Niederlage, weil es um mehr als ein Spiel ging.
„Die früheren Teams von Bayern, Real oder Barcelona auf ihrem Höhepunkt waren alle technisch besser als die heutigen Mannschaften“
Arsenals Fußball war herausragend. Beim Spiel gegen die Spurs dauerte es nur elf Sekunden vom Ballgewinn im eigenen Strafraum bis zum Tor auf der anderen Seite. Die Konter sahen aus wie Choreographien. Wie kann man so etwas einstudieren?
Die Voraussetzung dafür sind die herausragenden Fähigkeiten der Spieler. Wenn du darüber verfügst, kannst du an zwei Merkmalen arbeiten: dem genauen Timing des Passes und der Qualität der Entscheidung unter Druck. Der heutige Fußball ist mehr von Individualität geprägt, es geht darum, Stars zu fabrizieren. Ich habe meinen Spielern damals gesagt, dass sie tief ins Spiel eintauchen müssen, um zu verstehen: Der Erfolg aus einem gemeinsamen Fußball wird immer größer sein als der persönliche Erfolg bei einem individuell geprägten Spielstil. Erst im Zusammenspiel kann der Fußball dir mehr geben. Heute aber ist das noch schwieriger, weil das Spiel physisch geprägt ist und die technische Seite vernachlässigt wird. Das müssen wir in der Ausbildung ändern.
Sprich: Mehr Fokus aufs Spielen denn aufs Rennen?
Heute spielen Monster in jedem Klub, die die 100 Meter in unter elf Sekunden laufen. Alles dreht sich um die Physis. Doch die früheren Teams von Bayern, Real oder Barcelona auf ihrem Höhepunkt waren alle technisch besser als die heutigen Mannschaften.
Ist dieser Schwerpunkt auf der Athletik der Grund, warum so viele 16-Jährige spielen und 31-Jährige ihre Karriere beenden?
Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Aber ich weiß: Wenn du eine Gruppe von begabten Unter-20-Jährigen hast, kannst du deren Entwicklung nie voraussagen. Mit 20 trennen sich die guten von den durchschnittlichen Spielern. Mit 23 trennen sich die exzellenten von den guten Spielern. Dann erkennst du die Messis oder Ronaldos anhand ihrer Widerstandsfähigkeit und ihres mühelosen Umgangs mit Schwierigkeiten auf dem Platz.
Welcher Ihrer Spieler entwickelte sich nach 23 besser, als Sie es erwartet hatten?
Thierry Henry. Er entwickelte sich unglaublich schnell. Ich habe ihn als Mittelstürmer aufgestellt, weil ich ihn so in Monaco gesehen hatte. Doch danach hatte er seinen Instinkt verloren und war auf die Außenbahn geschoben worden. Ich wollte seine Sinne schärfen und habe in den ersten Trainingseinheiten nur an dem Timing seiner Sprints gearbeitet. Er musste erkennen, wann und wo er auf dem Feld seine Läufe anzieht. Das war es.
Henry steht als Sinnbild für die taktische Flexibilität Ihrer Spieler. Er wich auf den Flügel aus, um dann den Raum in die Tiefe zu nutzen. Bei den Angriffen von Arsenal tauschten die Spieler Positionen und immer füllte ein anderer automatisch die entstandenen Lücken.
Lassen Sie mich das an (Thierry) Henry erklären: Er war schnell darin, den Gegner zu analysieren. Nach zehn Minuten wusste er, welcher Verteidiger sich auf welche Seite bewegte, welcher Gegenspieler einen schwachen Fuß hatte. Er erkannte von selbst die Schwächen der anderen und wusste sie zu nutzen. Robert Pires dahinter verstand es, seine Läufe mit Thierrys Läufen zu synchronisieren. Robert war unglaublich und bereit, sich für Henry aufzuopfern, ihm die Bälle zu servieren. Als Robert 45 Jahre alt war, habe ich ihn immer noch zum Training der aktuellen Arsenal-Mannschaft eingeladen. Selbst da gehörte er technisch immer noch zu den Besten auf dem Feld.
Sie achteten immer auf die Spielintelligenz Ihrer Akteure. Später führten Sie Tests zur Informationsverarbeitung auf dem Platz durch. Wie sahen diese aus?
Ich wollte herausfinden, wie viele Informationen die Spieler unmittelbar vor der Ballannahme aufnehmen: Wo sind meine Mitspieler? Wie viel Raum und Zeit habe ich? Wo steht der Gegner? Wenn du den Fußball einfach spielst, nimmst du den Ball an, triffst eine Entscheidung und führst sie aus – das ist alles. Mich interessierten die zehn Sekunden vor dieser Entscheidung. Ich arbeitete mit einer Universität zusammen und wir stellten Kameras auf, die die Bewegungen und Sichtweisen des Spielers in dieser Zeitspanne festhielten. Die ganz großen Spieler nehmen sechs bis acht Informationen auf, die guten vier bis sechs. Also je besser du deine Umgebung scannst, umso besser spielst du. Großartige Spieler drehen immerzu den Kopf herum, bevor sie den Ball bekommen. Spielen Sie Fußball?
Auf Amateur-Niveau.
Ok, dort nimmt man wohl null bis eine Information auf. (lächelt.)
Es gibt einige Mythen um Ihre Trainingseinheiten. Zunächst: Sie ließen die Spieler im 11 gegen 0 spielen oder im 11 gegen 11, wobei ein Team sich nicht bewegen durfte.
Stimmt. Ich wollte die Bewegungen und Verbindungen der Spieler zueinander einstudieren; Passen und Laufen ohne Gegenwehr.
Zweitens: Das erste, was sie sich vor dem Training anzogen, war Ihre Stoppuhr.
Das ist wahr. Das Spiel hat sich dahin entwickelt, dass der Trainerstab personell angewachsen ist. Ein Trainer übergibt seine Mannschaft heute an Spezialisten. Doch ich war damals der Taktiktrainer, Athletiktrainer und so weiter in einem. Es gab nur mich und das Team. Ich musste die Einheiten unterbrechen anstatt sie nur zu beobachten. Also brauchte ich eine Stoppuhr. Noch heute time ich mein Leben so genau, wie ich es damals bei jeder Einheit und jedem Spiel getan habe.
Sie haben die physische Seite des Spiels angesprochen. Viele ehemalige Arsenal-Spieler sagen, Sie seien nur so fit geworden, weil Sie die Ernährung im Klub umgestellt haben. Alkohol war verboten, statt Pommes gab es Hähnchen. Das war seinerzeit fast revolutionär.
Nein, ich glaube nicht, dass dies der Schlüssel für unsere physische Stärke war. Die Ernährung ist nur ein Teil davon, wenn auch ein nicht unwichtiger. Es ist wie das Benzin im Tank. Es gibt das sichtbare und das unsichtbare Training, sprich Ernährung, Schlaf, Vorbereitung auf ein Spiel. Ein Verein muss die Grundlagen für die optimale Leistungsfähigkeit schaffen. Ich engagierte damals einen Ernährungsberater, der den Spielern vermittelte, warum ihnen bestimmte Nahrungsmittel bei ihrem Spiel helfen können. Ich selbst bin kein Spezialist, aber ich schaffte es auf diese Art, die Spieler zu überzeugen. Es geht um die Überredung der Spieler, nicht darum, bloße Vorgaben zu erlassen.
In Ihrer ersten Saison bei Arsenal sangen die Spieler im Bus „Wir wollen unsere Mars-Riegel zurück“. Wie haben Sie darauf reagiert?
(Lacht.) In meinem ersten Spiel wandte ich mich an den Physio und fragte: „Was ist los? Warum sagt hier niemand ein Wort?“ Er sagte: „Trainer, sie sind alle hungrig. Sie brauchen ihre Schokoriegel.“ Doch mit der Zeit änderte ich ihre Gewohnheiten. Dein Körper hat nun einmal auch ein Gewissen. Und im heutigen Fußball entscheiden Kleinigkeiten über Sieg oder Niederlage.
Ein Arsenal-Anhänger vom deutschen Fanclub fragte sich zurecht: Wenn Wenger die Ernährung umstellte, warum gab es dann beim Spiel in Manchester Pizza in der Kabine?
Im Old Trafford stellt die Heimmannschaft den Gästen Essen in die Kabine, damals gab es auch Pizza. Also schmiss jemand ein Stück auf einen Offiziellen von Man United.
Ihr Spieler Cesc Fabregas war so sauer nach der ersten Arsenal-Niederlage nach den berühmten 49 Spielen, dass er den United-Trainer Sir Alex Ferguson mit Pizza bewarf. Welche Erinnerungen haben Sie an den so genannten „Battle of the buffet“?
Wenn ich mich heute daran erinnere, finde ich es lustig. Damals aber bekamen wir große Probleme im englischen Fußball und in der Öffentlichkeit. Das Spiel selbst hatten wir dominiert bis United einen unberechtigten Elfmeter zugesprochen bekam. Wir fühlten uns nach dieser Serie von 49 Spielen einfach betrogen. Wir wurden beraubt.
Sie sollen heute Nachrichten mit Ferguson austauschen. Wie sprechen Sie beide über diese Duelle mit United?
Heute begegnen wir uns freundschaftlich und sind nett zueinander. Wenn du nicht mehr gegeneinander antrittst, wird die Beziehung naturgemäß besser. Aber wenn du im Wettbewerb bist, kann es hart werden. Und das wurde es damals.
Der Gipfel der Spannungen war ein Elfmeter von Ruud van Nistelrooy 2003. Er holte den Strafstoß heraus und setzte ihn dann an die Latte. Ihre Spieler umringten und verhöhnten ihn. Sie nannten van Nistelrooy einen „Betrüger“. Die Öffentlichkeit zählte Sie und Ihr Team an. Welchen Einfluss hatte dieses Spiel auf die „Invincible“-Saison?
Es war unser Start. Das alles hat das Team zusammengeschweißt. Martin Keown stand schlecht vor diesem Elfmeter und van Nistelrooy hat dies ausgenutzt. Doch zu dieser Zeit bekam United schon einen Elfmeter, wenn sie nur kurz danach fragten. Schiedsrichter sprachen ihnen Elfer aus Lust und Laune zu. Das lief ganz automatisch. Dieser Elfmeter von van Nistelrooy war ein Witz wie viele andere für United.
In der Doku „Best of enemies“ sagen sowohl Uniteds Roy Keane als auch Ihr Kapitän Patrick Vieira: In den Duellen zwischen Arsenal und United herrschte Hass auf dem Rasen.
Ja, es war Hass. Keane war ja geübt darin, Gegenspieler zu hassen. Patrick war eine starke Persönlichkeit, doch nicht per se aggressiv. Er war unnachgiebig in den Zweikämpfen, doch hielt sich an die Regeln. Doch wenn du einen Kampf mit ihm suchtest, dann hast du einen bekommen. Patrick fürchtete nichts und niemanden. Deshalb ragten die Duelle mit Keane auch so heraus.
„Fußball muss wie Kunst sein“
Im Interview mit der „Times“ erzählten Sie, dass Sie Pep Guardiola als Spieler ablehnten, weil Sie auf dieser Position Vieira vertrauten.
Guardiola kam sogar in mein Haus und bat mich darum, ihn zu verpflichten. Er befand sich aber am Ende seiner Karriere, kurz darauf wechselte er zu Brescia. Er hätte sehr gut zu Arsenal gepasst, aber ich schuldete Patrick eine Menge. Als ich Mitte der Neunziger zu Arsenal gekommen war, galt ich als Niemand. Zwar war ich in Frankreich zum „Trainer des Jahres“ erkoren worden, doch das interessierte niemanden. Sie fragten: „Arsene who?“ Patrick war mein erster Transfer und bis heute einer meiner besten. Er verschaffte mir Glaubwürdigkeit. Zehn Jahre später suchte die ganze Welt den neuen Vieira, selbst er selbst als Funktionär bei Man City. Doch niemand hat ihn gefunden.
Lassen Sie uns über den Druck in dieser speziellen Saison sprechen. Sie sagten einmal: „Als Trainer habe ich nie Schönheit, Vergnügen oder Entspannung gespürt.“ Dieser Job muss Sie doch gesundheitlich stark belastet haben?
Schauen Sie mal: Ich habe Arsenal in 1235 Spielen betreut und nicht ein einziges Mal gefehlt. Körperlich war ich nie angeschlagen. Noch heute – mit 70 Jahren – spiele ich Fußball und kann ordentlich laufen. Sie müssen glücklich sein, wenn Sie das in diesem Alter noch tun können. Was ich meinte, war: Ich habe mein Leben als Trainer in vollem Maße geliebt, doch ich musste immerfort Probleme lösen. Die pure Freude bleibt für wenige Sekunden, der Rest ist harte Arbeit. Das dürften Sie als Reporter auch kennen. Der Alltag ist hart. Die langweilige, sich wiederholende Seite des Lebens macht es schwer. Und genau das ist der Grund, warum ich diesen unterhaltsamen Spielstil etablierte. Es geht darum, die Leute vom langweiligen Leben abzulenken. Das Ziel ist immer, das Spiel in Kunst zu verwandeln. Lasst die Menschen die Langeweile vergessen!
Fußball hat demnach eine kulturelle Aufgabe?
Ja, Fußball muss wie die Kunst sein.
Sie sprachen von „wenigen Sekunden der puren Freude“. Wann erlebten Sie sie?
Nach Siegen. Aber sobald ich die Kabine betrat, lauerten dort wieder die üblichen Probleme: Wer ist verletzt? Wen kann ich ersetzen? Wann spielen wir wieder? Der Ärger über eine Niederlage hielt länger als die Freude über einen Sieg. Selbst wenn ich heute an die „Invincibles“ denke, ärgere ich mich über unser Ausscheiden in der Champions League gegen Chelsea. Eigentlich hätten wir den Wettbewerb in jenem Jahr gewonnen. Doch wir spielten an der Stamford Bridge nur unentschieden. Vor dem Rückspiel hatte ich die komplette erste Elf gegen United spielen lassen, weswegen uns die entscheidenden Prozente an Energie gegen Chelsea fehlten. Es schmerzt mich noch heute, daran zu denken.
Bei Gegentoren pochten Ihre Arterien, sagten Sie einmal. Wie hält man das in einer so langen Karriere aus?
Manchmal war es weniger schlimm, aber ja, ich war außer mir, wenn wir ein Gegentor bekamen. Du musst als Trainer sauer sein, anders geht es nicht. Heute verhalten sich die Trainer so souverän, sie sind Schauspieler am Seitenrand und haben vor allem ihr Image im Kopf. Am meisten stört mich, wenn Trainer nach dem Spiel auf den Rasen rennt. Diesen Mist habe ich schon immer gehasst. Geh als Trainer nach dem Abpfiff in die Kabine und überlass die Arena deinen Spielern!
Trotz all dieser inneren Qualen wirkten Sie nach außen immer gefasst. Das soll auch bei den Ansprachen in der Kabine so gewesen sein.
Ich musste meinen Spielern vermitteln, dass ich alles unter Kontrolle hatte. Du kannst nicht jede Woche ausrasten. Wenn du deine Spieler nur über die emotionale Seite erreichen willst, hören sie dir irgendwann nicht mehr zu. Dein Stil muss sich der Psychologie der Mannschaft anpassen. Und in dieser Elf waren ohnehin genügend Emotionen im Raum, da war es besser, sich ihnen über logische und sachliche Aspekte anzunähern.
Sie zogen sich gar zurück. Beim berühmten 4:2 gegen Liverpool 2004, in dem Arsenal das Spiel drehte, hielt der Spieler Martin Keown angeblich die Halbzeitansprache.
Er hat nicht meinen Job übernommen, im Gegenteil. Manche Details sehen nur die Spieler auf dem Rasen und es ist ihr gutes Recht, das auch anzusprechen. Ich habe sehr oft die Jungs sprechen lassen. Denn darum ging es: Die Spieler sollten meine Philosophie annehmen und übernehmen, um sich dann selbst zu coachen. Es gab auch Spiele, bei denen ich in die Kabine kam und nur fragte: Und was sagt ihr zur ersten Halbzeit?
Die Spieler sollten sich also um sich selbst kümmern?
Ich verlangte von ihnen vor allem, dass sie miteinander kommunizieren. Kommunikation ist ein wichtiger Teil einer Mannschaft und ihres Fortschritts. Nur ein Team mit guter Kommunikation ist dynamisch. In der Niederlage verkriecht sich jeder in seine Muschel. Doch ein Trainer muss sie dort herausholen und zum Sprechen auf und neben dem Platz animieren.
Es heißt, Sie lenkten sich auf dem Weg zum Training mit Reggae-Musik ab. Stimmt das?
Manchmal ja. Ich mochte Bob Marley. Seine Musik war nicht künstlich, sondern handgemacht, inspirierend und entspannend. Man spürte die Lebenslust beim Hören und kam etwas runter. Marley starb mit 36, einem Alter, in dem Fußballer damals für gewöhnlich ihre Karriere beendeten. Zudem arbeitete er sich aus schwierigen Verhältnissen hoch wie viele meiner Spieler. Ich fand also immer Anknüpfungspunkte in seinen Texten, „Could you be loved?“ war eines meiner Lieblingsstücke. Ich bewundere zudem viele französische Komponisten und Poeten wie Léo Ferré.
Gab es noch andere Arten für Sie, sich vom Druck zu erholen?
Fußball schauen. Mir ist es fast peinlich, wie viel Zeit meines Lebens ich damit zubrachte, Fußballspiele zu schauen. Es gab für mich kein größeres Vergnügen, als am Samstagmorgen unser Spiel zu gewinnen und zu wissen, dass ich das gesamte Wochenende Zeit hatte, um die anderen Spiele zu sehen. Für mich sah genau so das perfekte Wochenende aus.
„Der Sinn des Lebens ist Fußball“
Und Sie bedauerten nie, Ihre Zeit mit, sagen wir mal, einem 0:0 zwischen Burnley und West Brom vergeudet zu haben?
Schon, aber wie bei allen anderen kulturellen Unterhaltungen passiert das nun mal. Wenn Sie zehn Bücher lesen, zehn Filme sehen oder zehn Mal ins Theater gehen, fühlen Sie sich auch nicht immer gleich gut unterhalten. Doch ich habe von jedem einzelnen Spiel etwas Neues für mich lernen können.
Würden Sie sagen, dass Sie dabei Ihre Familie etwas vernachlässigt haben?
Definitiv, ich hätte mehr Zeit mit ihr verbringen sollen. Ein Mann mit einer so ausgeprägten Leidenschaft lässt häufig die ihm nahe stehenden Menschen leiden. Ich fühle mich deswegen schuldig. Auf der anderen Seite konnte meine Familie durch meine Leidenschaft ein angenehmes Leben führen. Aber das ersetzt nie die Präsenz und die gemeinsame Zeit. Das Leben hat keine Bedeutung, eben bis zu dem Zeitpunkt, an dem du sie für dich selbst entdeckst. Für mich hieß das: Der Sinn des Lebens ist Fußball.
Dieser Satz lässt es noch seltsamer wirken, dass Sie nicht mehr als Trainer arbeiten.
Für mich fühlt es sich auch seltsam an, das kann ich Ihnen versichern. Gerade samstags vermisse ich es, an der Seitenlinie zu stehen. Momentan arbeite ich mit der Fifa daran, die Infrastruktur für junge Talente auf der ganzen Welt zu verbessern, damit sie nicht mehr nur nach Europa wechseln. Das ist eine erfüllende Aufgabe, doch Fußball und das Trainersein ist noch immer wie eine Droge in mir. Deswegen habe ich auch noch nie ausgeschlossen, wieder als Trainer zu arbeiten.
Wie nah waren Sie an einem Engagement als Bayern-Trainer im vergangenen Jahr?
Nicht sehr nah. Ich habe mit Karl-Heinz Rummenigge telefoniert, aber nur um eine Sache klarzustellen. Es kursierte die Meldung, ich hätte mich bei Bayern München als Trainer angeboten. Das war nicht wahr und das wollte ich deutlich machen. Bayern hat mich wiederum auch nicht für den Job angefragt. Sie haben mit der Wahl für Hansi Flick die richtige Entscheidung getroffen. Ich gratuliere ihm.
Also war das mögliche Engagement bei Lyon im Jahr 2019 das konkreteste Gespräch in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren?
Richtig. Ich hatte andere Angebote, aber habe auch diese alle abgelehnt.
Warum waren Sie seit Ihrem letzten Arbeitstag nicht mehr im Stadion von Arsenal?
Ich dachte, dass ich nach meinem Weggang erst einmal komplett verschwinden muss. Ich wollte nicht wie ein Schatten über anderen Personen liegen. Also war es das Beste, zunächst komplett abzuschließen.
Hat Ihr Fernbleiben auch mit der heftigen Kritik von Fans und Experten zum Ende Ihrer Zeit bei Arsenal zu tun?
Nicht wirklich. Das war doch nur eine Minderheit. Bei meinem Abschied habe ich große Dankbarkeit bei den Fans gesehen. Ich habe das Stadion gebaut, habe das Trainingszentrum gebaut und alles zurückgezahlt. Sicherlich gab es einige Personen, die den nötigen Respekt mir gegenüber vermissen ließen. Ich habe diesen Leuten vergeben, weil einen in diesem Sport nun mal die Emotionen davon tragen können. Allerdings wurde es zu einer gewissen Zeit sehr unangenehm: Wenn Sie sich anschauen, welche Angebote ich ausgeschlagen habe (Juventus, Real Madrid etc., die Red.) und stattdessen mit geringen Mitteln weiter Arsenal führte, empfand ich schon eine gewisse Ungerechtigkeit.
Auch Undankbarkeit?
In Frankreich sagen wir: „Dankbarkeit ist die Krankheit von Hunden, die nicht auf den Menschen übertragbar ist.“ (lächelt.) Am langen Ende respektieren die Menschen meine Leistung für Arsenal: Ich habe dem Klub mit Integrität und Beständigkeit gedient. Darauf bin ich stolz. Heutzutage ist die menschliche Seite in einem Verein verloren gegangen. Als ich bei Arsenal anfing, arbeiteten 70 Angestellte für den Klub, heute sind es 700. Da kannst du nicht mehr jeden Mitarbeiter persönlich kennen. Diese Größe hat einen Effekt auf dein Management. Ich kann aber sagen, dass es für mich ein Privileg war, auf jeder Ebene außergewöhnlichen Menschen begegnet zu sein.
Wenn man auf Ihre 22 Jahre bei Arsenal zurückblickt: Finden Sie es nicht komisch, dass diese Ära vermutlich wegen einer Zigarette zustande kam?
Verrückt, oder? Das Leben wird bestimmt von Haltung, Neugier und eben auch Zufall. Es hängt von kleinen Dingen ab. Ich hätte wohl niemals Arsenal trainiert, wenn ich nicht Englisch gelernt hätte oder früher nicht geraucht hätte. 1989 beobachte ich ein Spiel von Galatasaray in meiner Funktion als Trainer von Monaco. Auf dem Rückflug hatte ich einen Stopp in London und sah mir spontan ein Spiel von Arsenal an. In der Halbzeitpause bat ich jemanden um Feuer für meine Zigarette. Diese Dame war eine Freundin von Barbara Dein, der Frau des stellvertretenden Vereinsvorsitzenden David Dein. Wir unterhielten uns und sie stellte mich ihrem Gatten vor. Er lud mich zum Abendessen zu sich nach Hause ein. Dort spielten wir dann ein Pantomimenspiel.
Warum das?
Bei ihm zu Hause waren viele Gäste eingeladen und sie hielten es für einen großen Spaß, wenn jemand einen Zettel mit einer Rolle bekommt und diese dann vorspielt. Ich sagte: Ok, ich gebe mein Bestes. Ich kann mich nicht mehr genau an meine Rolle erinnern, aber David muss gedacht haben: Dieser Kerl aus Frankreich scheint nicht dumm zu sein. In den folgenden Jahren trafen wir uns immer wieder in Südfrankreich und lernten uns besser kennen. Und 1996 vertraute er mir dann endlich Arsenal an.
Um am Ende auf die „Invincibles“ zurück zu kommen: Wie kann ein Trainer eine Mannschaft unbesiegbar machen?
Du brauchst gute Spieler. (Überlegt.) Du musst nach vorne denken, auch wenn du schon etwas erreicht hast. Ein Trainer muss den tiefen Wunsch in die Spieler einpflanzen, nach Mehr zu streben. Er muss ihnen ein klares Bild von einem gemeinsamen Ziel vermitteln. Heute ist es schwierig, weil ein Klub so viele Mitarbeiter hat. Die Vereine sind überladen mit Mitarbeitern, deren Effizienz kaum messbar ist. Das erschwert es, eine Einheit zu bilden. Doch Klarheit und Simplizität sind die Schlüssel für Erfolg.
Kann ein Team demnach heute noch einmal eine Saison ohne Niederlage schaffen?
Liverpool war ja nah dran. Doch auch in dieser Saison haben sie bereits verloren. Sie strukturieren gerade ihr Mittelfeld um, mit Thiago hin zu mehr technischer Qualität. Henderson und Milner waren auch wichtig, aber sie werden älter. Momentan sehe ich kein absolut dominantes Team in Europa. Ich mochte Bayerns Stil in der vergangenen Saison und natürlich Barcelona in ihrer Blütezeit, aber ich sehe gerade kein Team, dessen Spiele man um jeden Preis sehen will. Um auf Ihre Frage zurück zu kommen: Ja, eines Tages wird es eine Mannschaft schaffen, aber es wird einige Zeit dauern.