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Du bist seit deiner Geburt Kicker“-Abonnent, hast Comunio schon damals mit 56k-Modem gespielt, kennst das Lieb­lings­essen der Ein­tracht-Frank­furt-II-Ersatz­spieler, kannst jede je gespro­chene Stil­blüte einem Kom­men­tator oder Spieler zuordnen, und natür­lich hast du auch mal 11FREUNDE gelesen, aber nur bis Aus­gabe 17, denn danach wurde das Magazin immer kom­mer­zi­eller.
 
Kurzum: Du weißt alles! Du kennst alles! Du bist Fuß­ball! Zumin­dest die meiste Zeit im Jahr.
 
Denn einmal im Jahr öffnet sich ein kleines Zeit­fenster, in dem du vor einem Tableau stehst und dir vor­kommst wie ein Kfz-Mecha­niker, der damit beauf­tragt wurde, das Getriebe eines NASA-Space-Shut­tles zu repa­rieren: kom­plett ratlos.

Auf nach San Marino und Malta!
 
Es sind die Wochen zwi­schen Juni und August. Die Zeit, in der Bun­des­li­ga­profis auf großen Tur­nieren spielen, im Urlaub weilen oder mit ihren Teams ins Trai­nings­lager fahren. Die Zeit, in der ein Wett­be­werb auf den Plan tritt, der sich Euro­pa­pokal-Qua­li­fi­ka­tion, 1. Runde“ nennt und dessen Teams Namen tragen wie Tschichura Satsch­chere, FK Buduć­nost Pod­go­rica, Sein­ä­joen JK, Hapoel Be’er Scheva, FK Aqtöbe oder FC Alasch­kert Mar­tuni.
 
Ist das Fuß­ball oder kann das weg?
 
Aber natür­lich ist das Fuß­ball! Man muss nur ein wenig weiter reisen. Und oft an Orte, die man sonst nie gesehen hätte. Zum Bei­spiel nach Andorra, Färöer und Est­land. Oder nach San Marino und Malta. So wie unser Autor Julius Müller-Mei­ningen es vor fünf Jahren getan hat, als er ein Cham­pions-League-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel zwi­schen Società Poli­spor­tiva Tre Fiori (San Marino) und Val­letta Foot­ball Club (Malta) besuchte.
 
Die Partie hatte aller­dings nichts vom Glanz und Gloria eines echten Cham­pions-League-Spiels, ganz im Gegen­teil: In San Marino wirkte alles wie auf einer Bezirks­sport­an­lage, wo Con­cordia Britz III gegen For­tuna Bies­dorf II spielt. Es war nicht mal die Cham­pions-League-Hymne zu hören, weil die Uefa den Wett­be­werb erst ab den Play-offs ver­markten lässt. Dafür waren sieben Aus­wärts­fans aus Malta dabei.

Seit 2013 hofft Gibraltar auf die Cham­pions League
 
Aber das ist alles neben­säch­lich, es geht schließ­lich um Fuß­ball, um den Sieg, um die nächste Runde, um das Finale zehn Monate später. Geträumt wird im Juni und Juli noch euro­pa­weit. Auf Malta. Auf Zypern. In Kasach­stan. Und neu­er­dings auch in Gibraltar. Seit Mai 2013 ist der Zwerg­staat näm­lich Mit­glied der Uefa.
 
Und seit dieser Woche gibt es sogar einen guten Grund zum Träumen, Gibral­tars Lin­coln Red Imps FC schlug in der Cham­pions-League-Qua­li­fi­ka­tion näm­lich Schott­lands Rekord­meister Celtic Glasgow 1:0.
 
Es war ein Sieg von Hob­by­fuß­bal­lern gegen einen der größten euro­päi­schen Fuß­ball­ver­eine, einen 47-maligen Meister, der 1963 den Lan­des­meister-Cup gewann, der 2003 noch im Uefa-Cup-End­spiel stand, dessen Team teurer ist als die kom­plette gibral­ta­ri­sche Liga.
 
Und so ist dieses Spiel, trotz Island, trotz Wales, tat­säch­lich die sen­sa­tio­nellste Sen­sa­tion des Jahres.

Alleine ein Blick auf den Kader reicht, um die Gegen­sätze zu ver­an­schau­li­chen. Zwar hat Lin­coln in den ver­gan­genen 14 Jahren 14 Mal die Meis­ter­schaft geholt, aber die Fuß­baller sind eigent­lich gar keine Fuß­baller, jeden­falls keine Profis. Sie sind Feu­er­wehr­leute, Bank­kauf­leute oder Lehrer.

Der Sieg­tor­schütze Lee Casciaro, 34, ist als Poli­zei­be­amter tätig. (Fun fact: Die Schotten scheinen Casciaro zu liegen, er traf jeden­falls schon vor einem Jahr in der EM-Qua­li­fi­ka­tion gegen Schott­land. Das Spiel ging aller­dings 1:6 ver­loren.) Und ein Links­ver­tei­diger soll laut BBC als Taxi­fahrer arbeiten und am Vor­abend bis ein Uhr nachts auf den Straßen unter­wegs gewesen sein.
 
Selbst die Top­spieler Lin­colns sind alles andere als erfolg­reiche Ex-Profis. Tor­hüter Raúl Navas hat zwar einst für Tene­riffa oder Cadiz in der zweiten spa­ni­schen Liga gespielt, er ist aller­dings schon 38. Offen­siv­all­rounder Fer­nando Liv­ra­mento, 34, lief in den ver­gan­genen 16 Jahren für 17 Klubs auf. Vor allem in Bul­ga­rien, Por­tugal oder Tsche­chien. Die Tor­aus­beute seit 2013: zwei Tore.

Kommen ein Feu­er­wehr­mann, ein Lehrer und ein Taxi­fahrer in ein Fuß­ball­sta­dion…“
 
Celtic-Trainer Brendan Rogers, für den es übri­gens das Debüt beim schot­ti­schen Rekord­meister war, wie­gelte nach dem Spiel trotzdem ab: Wir sind ent­täuscht, aber es ist nicht pein­lich.“ Ein selt­samer Kom­mentar. Zumin­dest nach einem Spiel, das wie ein rie­sen­großer Witz klingt: Kommen ein Feu­er­wehr­mann, ein Lehrer und ein Taxi­fahrer in ein Fuß­ball­sta­dion…“
 
Auch Lin­colns sport­liche Bilanz ist natür­lich über­schaubar. 2014 schied das Team in der ersten Qua­li­fi­ka­ti­ons­runde gegen die Färöer von HB Tór­shavn aus, 2015 erreichte Lin­coln immerhin die zweite Qua­li­fi­ka­ti­ons­runde, weil die Mann­schaft gegen den FC Santa Coloma aus Andorra gewann. 
 
Diesen Erfolg krönten die Gibral­tarer vor zwei Wochen mit einem Sieg gegen Est­lands FC Flora Tal­linn, der erneut zum Errei­chen der zweiten Qua­li­fi­ka­ti­ons­runde reichte. Nun darf man also auf ein Wunder in Glasgow hoffen.

Der FC Europa muss in die Europa League!
 
Wer nun Lust auf diese Cham­pions League ganz unten bekommen hat, muss sich aller­dings bis nächste Woche gedulden, denn heute finden nur Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiele der Europa League statt, aber auch die haben es in sich.

Arme­niens FC Schirak Gjumri trifft etwa auf die Slo­waken von FC Spartak Trnava, FK Schachzjor Sali­horsk (Weiß­russ­land) spielt gegen NK Dom­zale (Slo­we­nien) und Neftci Baku PFK (Aser­bai­dschan) bekommt es mit KF Shken­dija (Maze­do­nien) zu tun. Unnützes Wissen: Bei Shken­dija spielt der ehe­ma­lige Duis­burger Bojan Vru­cina, bei Neftci Baku stand bis vor vier Jahren noch Ex-Schalke-Stürmer Emile Mpenza unter Ver­trag und NK Dom­zale gewann 2005 ein Uefa-Cup-Spiel gegen den VfB Stutt­gart.
 
Heu­tiges High­light ist das Spiel des Europa FC, eben­falls aus Gibraltar. Zwar spielen hier keine Feu­er­wehr­leute oder Poli­zisten mit, dafür sind die meisten Spieler noch Schüler oder Stu­denten. Er trifft heute auf den AIK Solna aus Schweden und gehört schon qua Name in das Haupt­feld der Europa League. Wo er, der Europa Foot­ball Club, in der Vor­runde auf ein Team aus Eng­land trifft und Boris Johnson eine Frei­karte für das Spiel schickt.

Das wären Gefühle, wo man schwer beschreiben kann.