Drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung sind die zwei größten Vereine der Hauptstadt große Rivalen. Das war mal anders. Ein Rückblick in die Zeiten, als sich Hertha und Union noch lieb hatten.
Gesamtberliner Höhepunkt war jedoch das UEFA-Viertelfinalspiel im März 1979 gegen die Armee-Elf von Dukla Prag. Sportlich drohte der Hertha nach einem 1:1‑Hinspiel im Olympiastadion das Aus. Doch das Auswärtsspiel in Prag wurde für die Herthaner beinahe zu einem Heimspiel. Von den 30.000 Zuschauern im Prager Dukla-Stadion stammte ungefähr die Hälfte aus der DDR und West-Berlin. Allein aus Berlin sollen nach Erinnerung eines West-Berliner Hertha-Fans ca. 5000 Fans aus Ost und West die Reise gemeinsam angetreten haben. Mit der Reichsbahn ging es ab Bahnhof Zoo in Richtung Prag. Am Ost-Berliner Bahnhof Schönefeld stiegen in den „Hertha-Zug“ wie abgesprochen die Union-Fans zu. In Prag wurde dann der Seite an Seite lautstark und mehrfach intonierte Schlachtruf „Hertha und Union“ zu einem gesamtdeutsches Fanal. Das gesamtdeutsche Engagement zahlte sich auch sportlich aus: Mit dem „Wunder von Prag“ stieß die Hertha völlig unerwartet gegen die tschechische Spitzenmannschaft ins Halbfinale des UEFA-Cups vor. Eine Leistung die bis heute den größten internationalen Erfolg der Vereinsgeschichte darstellt.
Die Alte Försterei – Markt gesamtdeutscher Fanutensilien
Aber auch außerhalb dieser Schlupflöcher gelang der Kontakt. Hertha-Fans sollen ab Mitte der 1970er Jahre unregelmäßig bei den Heimspielen des 1. FC Union in der Alten Försterei gesichtet worden sein. Die Alte Försterei wurde über Jahre hinweg zu einem Markt gesamtdeutscher Fanutensilien. Die mühsam über die Grenze geschmuggelten Mitbringsel der Herthaner hatten allerdings politische Brisanz: Aufnäher mit Bekundungen wie „Wir halten zusammen, uns kann nichts trennen, keine Mauer und kein Stacheldraht!“ oder Schals und Mützen, mit dem Slogan „Hertha und Union – eine Nation“ gingen nur verdeckt von Hand zu Hand.
Ganz offen im Schutz der Fankurve war dagegen die eigenwillige Sprechchor-Kultur über Mauer und Stacheldraht hinweg, die als Zeichen der gegenseitigen Sympathie unüberhörbar wurde. Bei Heimspielen von Hertha BSC erklang beispielsweise „Und wir halten zusammen wie der Wind und das Meer – die blau-weiße Hertha und der FC Union – Union, Union, eisern Union!“ Die Ost-Berliner „Erwiderung“ darauf war das Intonieren des Sprechchores „Ha-Ho-He, Hertha BSC“ in der Alten Försterei. Die Freude darüber war immer dann besonders groß, wenn bei Übertragungen des DDR-Fernsehens der Sprechchor auch noch deutlich hörbar über den Sender ging. Die Fernseh-Techniker hatten es offensichtlich versäumt, den Stadion-Lautpegel schnell genug herunter zu regeln. Einige Alt-Herthaner beziehen sogar bei der Rückschau auf dieses Fanphänomen noch heute den politischen Protestes gegen den „Eisernen Vorhang“ in ihre Ergründungen mit ein. Mit Vergnügen intonierten sie in den Jahren der Drittklassigkeit von Hertha gegen Ende der 1980er Jahre nach ihren Spielen im West-Berliner Poststadion beim Umsteigen im DDR-Gebiet Bahnhof Friedrichstraße ein lautes „Union, Union, Eisern Union!“ oder „Die Mauer muss weg!“ in Richtung der DDR-Grenzposten.
Das „Wiedervereinigungsspiel“ im Januar 1990
Als die Mauer im November 1989 fiel, fanden die Hertha- und Unionfans wieder frei zusammen. Sie trafen sich im Olympiastadion zu der symbolträchtigen Zweitligabegegnung Hertha gegen Wattenscheid 09 und feuerten gemeinsam die Hertha-Elf auf ihrem Weg in die Erstklassigkeit an. Im Januar 1990 kam es dann zum denkwürdigen „Wiedervereinigungsspiel“ zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin im Olympiastadion. Über 50.000 Zuschauer feierten emotional das Wiedersehen. Union- und Herthafans lagen sich in den Armen. Doch danach geriet diese Fanfreundschaft zusehends in Vergessenheit. Über 20 Jahre später ist aus der Fanfreundschaft eine Konkurrenz geworden. Was dem MfS glücklicher Weise nicht gelang, ist heute einer abgrenzenden Rivalität geschuldet.
Der Kampf um die „Berliner Stadtmeisterschaft“ ist wieder längst eröffnet. In Anlehnung an die Hertha-Hymne von Frank Zander ist auf den Rängen in der Alten Försterei zu hören: „Nur zur Hertha geh’n wir nicht!“. Und im Olympiastadion brüllen Herthaner anstelle des „Eisern-Union“ mit Genuss ein „Scheiß-Union“ unter das Stadiondach.
Glücklicherweise gelang es den Clubverantwortlichen vor Jahren im 20. Jubiläumsjahr des Mauerbaus einen deutlichen Markstein in den Berliner Fußballkosmos zu setzen. Zur feierlichen Neueröffnung der frisch renovierten Alten Försterei hatte sich Anfang Juli 2009 Union die Hertha eingeladen. Bei einem sportlich hervorragenden Sommer-Kick blieb auch noch Platz für historische Rückbesinnung. Trotz der offensichtlichen Freundlichkeit auf dem Rasen und im Umfeld setzte sich letztendlich die Erkenntnis durch, dass nur noch wenig Zuneigung auf den Zuschauerrängen füreinander vorhanden ist. Aber der neue Umgang der Berliner Traditionsvereine legt nahe, dass nun doch die kluge Einsicht reifte: man muss nicht unbedingt freundschaftlich miteinander wie die Fans vor dem Mauerbau. Man kann aber ganz gut nebeneinander. In Berlin ist schließlich genug Platz für beide Vereine.