„Fußball im Dornröschenschlaf“ sagt Ex-Bundesligatrainer Michael Oenning über seine Arbeit in Ungarn. 11FREUNDE hat er erzählt, wie er seinen Klub Vasas Budapest aufwecken will und warum es trotzdem keine Chancengleichheit geben wird.
Michael Oenning, sie sind mittlerweile in ihrem dritten Jahr bei Vasas Budapest. Rückblickend: Konnten Sie Ihre persönlichen Ziele umsetzen, die Sie sich zum Anfang vorgestellt haben?
Ich bin mit einer sehr kurzfristigen Erwartungshaltung hier angekommen, weil sich das Trainer-Angebot innerhalb von ein paar Tagen ergeben hat. Über die letzten zwei Jahre gesehen, bin ich mehr als überrascht und auch dankbar für die Erfahrung, weil ich gemerkt habe, dass der ungarische Fußball in gewissen Bestandteilen gleich ist, aber doch wieder unterschiedlich.
Worin sehen Sie die Unterschiede?
Es gibt sicherlich kulturelle wie auch strukturelle Unterschiede. Was aber nicht gleich bedeuten muss, dass die Qualität des Fußballs immer abhängig von dem Land ist, in dem er gespielt wird. Um das zu zeigen, geht es mir darum, hier eine Strategie zu entwickeln. Solche Philosophien sind in Deutschland relativ festgefahren. Hier ist noch so ein bisschen Goldgräberstimmung. Der ungarische Fußball hat einen Dornröschenschlaf hinter sich, aber gerade jetzt merkt man, wie viele neue Stadien gebaut werden. Das mediale Aufkommen ist mittlerweile sicherlich ähnlich wie in Deutschland, auch wenn man das vielleicht nicht vermuten würde. Das Interesse am Fußball ist riesengroß.
Als Sie 2016 anfingen, stand Vasas als Aufsteiger im Tabellenkeller. In der Folgesaison erreichten Sie dann den dritten Tabellenplatz und sogar das ungarische Pokalfinale. Was konkret haben Sie für den Erfolg hier in Ungarn verändert?
Zunächst ging es mir einfach darum, eine Mannschaft mit jungen, ungarischen Spielern aufzubauen. In der ersten Woche habe ich relativ deutlich gesagt, was ich mir vorstelle. Da haben sich alle ein bisschen angeguckt. Wir wollten offensiven Fußball spielen, das Spiel bestimmen und viel Ballbesitz haben, auch mit einer Systemänderung. Wir waren lange die einzigen, die mit einer Abwehr-Dreierkette aufliefen. Das alles umzusetzen, war ein ziemlich hehres Ziel. Wir versuchen dabei junge Spieler zu entwickeln, auch bei Rückschritten. Das gibt es sonst in Ungarn nicht, dieses kompromisslose ›Wir stehen zu unseren eigenen Jungs‹. Ob das Bestand hat, wird man jetzt sehen. Denn wir stoßen auch spielerisch an unsere Grenzen.
Inwiefern?
Wir haben keinen Stürmer, der 15, 18 Tore schießt. Genauso fehlt in der Abwehr die Geschwindigkeit, um höher zu stehen. Wir haben zwar hinten ganz erfahrene Spieler, aber keinen Jerome Boateng, der einen Stürmer einfach abläuft. Das ist generell ein Problem des ungarischen Fußballs: Es gibt kaum zentrale Innenverteidiger und Mittelstürmer, weil diese Position in der Regel von Ausländern besetzt werden. Und da bräuchten wir eben auch Akademien, eine zweite Mannschaft, Nachwuchszentrum und so weiter.
Zu Beginn Ihrer Zeit bei Vasas haben Sie die Strukturen hier in Ungarn bemängelt. Wie Vasas auch haben oder bauen viele ungarische Klubs neue Stadien. Hat sich Ihre Meinung geändert?
Wir sind einer Phase des Übergangs. Das ist etwas, was stark von Verband und Regierung kommt. Sie vertreten den Standpunkt: Mit den besseren Stadien steigt auch die Qualität. Das wird auch so kommen, da bin ich ziemlich sicher. Ich denke, Ungarn will mal eine Europameisterschaft mitausrichten, so wie es Polen und die Ukraine gemacht haben. Die nötigen Spielstätten wären dann schonmal da.