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Der 1. Spieltag war gleich­zeitig auch mein erstes Spiel für Borussia Dort­mund. Und wie das so ist mit Neu­an­fängen, war ich hoch moti­viert zu zeigen, dass ich kein Fehl­ein­kauf war. Sicher, es gibt ein­fa­chere Auf­takt­gegner als den FC Bayern. Aber für mich bedeu­tete der Gedanke an Mün­chen zusätz­liche Moti­va­tion. Als das Spiel begann, war es brü­tend heiß – meine Lieb­lings­be­din­gungen. Alles schien per­fekt.



Doch nach einer Minute gingen die Bayern durch Roland Wohlf­arth in Füh­rung. Der Rück­stand kam mir als Stürmer sehr ent­gegen. Unser Spiel wurde offen­siver, und ich bekam mehr Gele­gen­heiten, mich aus­zu­zeichnen. Eine davon hätte meinen per­fekten Ein­stand bedeuten können. Statt­dessen wurde sie zum denk­wür­digsten Moment meiner Kar­riere. Kurz vor der Mit­tel­linie bauten die Bayern eine Abseits­falle auf. Aus dem Mit­tel­feld durch­stieß ein langer Pass die Abwehr­reihe. Keiner der Bayern-Spieler hatte auf­ge­passt, und ich hatte freie Bahn. Kurz vor dem heraus stür­menden Jean-Marie Pfaff kam ich an den Ball. Mit einer ein­fa­chen Kör­per­täu­schung ließ ich Pfaff ins Leere laufen. Eine Ball­be­rüh­rung, eine zweite. 20 Meter Rasen trennten mich von meinem ersten Tor für die Borussia. Als ich die Grenze zum Fünf­me­ter­raum pas­sierte tobten die Fans, als wäre der Ball längst im Tor. Plötz­lich kam mir Pierre Litt­barski in den Sinn. Für den Bruch­teil einer Sekunde wollte ich es machen wie er. Litt­barski schoss nie ein­fache Tore. Ich hätte genug Zeit gehabt, den Ball ein­fach ins Tor zu schieben.

Doch ich wollte es machen wie er. Mein Plan: aus­holen, den Ball zwi­schen die Füße klemmen und nach einem Über­steiger ele­gant ein­schieben. Noch hatte ich genug Zeit dafür, dann sah ich etwas im Augen­winkel näher kommen. Es war Pfaff, der mit letzter Kraft vom Straf­raum­rand zurück­wetzte. Panik stieg in mir auf: jetzt nur noch den Ball im Tor unter­bringen! Ich schoss – und traf den Pfosten! Aus drei Metern! Das war der schlimmste Moment über­haupt: zu begreifen, dass der Ball nicht im Tor lag. Ich wünschte, Pfaff hätte mich so unter Druck gesetzt. Doch ich war es selbst. Ich und meine fixe Idee mit dem Über­steiger-Scheiß! Das Spiel endete 2:2, ich wurde in der 89. Minute aus­ge­wech­selt. Ich glaube, mein Trainer wollte mich vor den Jour­na­listen schützen. Die nächsten Wochen wurden richtig böse für mich. An jeder Ecke musste ich mich ver­ar­schen lassen, sogar von den eigenen Team­kol­legen.

Ein halbes Jahr später reiste ich durch die USA. Als ich vom Sight­see­ingtrip aus China-Town in San Fran­cisco zurück­kehrte, lief im US-Fern­sehen eine Pan­nen­show mit lus­tigen Sport­vi­deos. Ich sah einen bemit­lei­dens­werten Fuß­baller aus Deutsch­land, der aus drei Metern den Pfosten traf. Neben ihm jubelte Jean-Marie Pfaff. Nie hätte ich gedacht, dass mein Pfos­ten­schuss um die halbe Welt gehen würde. Ich habe diese Szene nicht oft gesehen, einmal in der Sport­schau und einmal 9 000 Kilo­meter von zu Hause weg in China-Town, San Fran­cisco. Wenn mich heute Kinder in meiner Fuß­ball­schule besu­chen, sage ich immer: Jungs, ihr dürft mich alles fragen, aber nicht: Wie war das damals in Mün­chen?“ Mein großer Plan, der um die Welt ging: aus­holen, den Ball zwi­schen die Füße klemmen und nach einem Über­steiger ele­gant ein­schieben. Wenn dir 20 Jahre lang die­selbe Frage gestellt wird, geht dir das irgend­wann auf den Pinsel.


Auf­stel­lung

FC Bayern: Jean-Marie Pfaff, Nor­bert Eder, Andreas Brehme, Klaus Augen­thaler, Hans Pflügler, Lothar Mat­thäus, Nor­bert Nacht­weih, Rein­hold Mathy, Dieter Hoeneß, Michael Rum­me­nigge (74. Ludwig Kögl), Roland Wohlf­arth. Trainer: Udo Lattek

Borussia Dort­mund: Wolf­gang de Beer, Frank Pagels­dorf, Bernd Storck, Dirk Hupe, Günter Kutowski, Marcel Radu­canu, Michael Zorc, Thomas Helmer, Michael Lusch, Daniel Simmes, Frank Mill (89. Ingo Ander­brügge). Trainer: Rein­hard Saftig


Sta­tistik

1:0 Wohlf­arth (1.), 1:1 Simmes (30.), 2:1 Mat­thäus (50.), 2:2 Zorc (70.) 

Gelbe Karten: Augen­thaler – Kutowski
Schieds­richter: Peter Gabor (Berlin)
Zuschauer: 31 000
Sta­dion: Olym­pia­sta­dion Mün­chen
Datum: 9. August 1986
Wett­be­werb: Bun­des­liga (1. Spieltag)


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