Die Gewalt gegen Amateurschiedsrichter nimmt zu. Philip Matthes, Polizist aus Berlin, verlor wegen ständiger Attacken auf ihn nach elf Jahren als Schiri den Spaß an seinem Ehrenamt.
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Philip Matthes, Sie haben gerade eine halbjährige Pause als Schiedsrichter gemacht. Was ist passiert?
Schon seit längerer Zeit mache ich die Erfahrung, dass die Pöbeleien auf dem Platz zunehmen. Irgendwann habe ich mir die Frage gestellt, ob ich dieses Hobby weiterhin ausführen möchte.
Waren Sie konkret mit Gewalt konfrontiert?
Im Herbst 2019 leitete ich ein sehr schwieriges Spiel in der Kreisliga B. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wurde fast jede meiner Entscheidungen in Zweifel gezogen und ich wurde von Spielern und von der Seitenlinie teilweise übel angegangen. Um die 70. Minute herum beleidigte mich ein Spieler derart, dass mir keine Wahl blieb. Als ich an meine Hosentasche griff, sagte er, wenn ich ihn jetzt vom Platz stelle, würde ich schon sehen, was ich davon habe. Als ich ihm darauf die Rote Karte zeigte, ging er auf mich los, wollte mich schlagen, wurde aber von Mitspielern gerade noch zurückgehalten.
Diese Ereignisse waren aber nicht der Grund, dass Sie aufgehört haben?
Nein. In dem Fall habe ich es hingenommen, auch wenn ich im Nachhinein dachte, es wäre besser gewesen, das Spiel zu diesem Zeitpunkt abzubrechen.
Was war dann der Auslöser dafür, dass Sie Abstand brauchten?
Im Oktober 2021 leitete ich das Kreisligaspiel zwischen dem SV Treptow 46 gegen die VSG Rahnsdorf. Ich kannte insbesondere die VSG Rahnsdorf schon von früheren Spielen, bei denen es immer friedlich lief. In der ersten Hälfte ging Rahnsdorf mit 2:0 in Führung. Anfang der zweiten Halbzeit gingen die Beschwerden und Pöbeleien der Treptower zu weit. Insbesondere der Torwart ließ mir keine andere Wahl, als ihn zu verwarnen.
„Der Co-Trainer schrie, ich sei wirklich das Schlechteste, was er je gesehen habe“
Wie muss man sich diese Beschwerden vorstellen?
Ich unterscheide zwischen dem konkreten Wortlaut und der Vehemenz mit der eine Beschwerde vorgetragen wird. Es gibt Leute, die sprechen ganz ruhig mit mir, bringen ihren Ärger aber zum Ausdruck. Das kann ich im Zweifel vertragen. Aber wenn ich am Mittelkreis stehe und jemand brüllt mich vom Strafraum aus an und kommt dann auf mich zugestürmt, empfinde ich das schon als aggressiv und mitunter auch bedrohlich.
Auf welche Sprüche reagieren Sie besonders sensibel?
Bei Sätzen wie „Schiri, das war kein Abseits“ über „Schau doch mal richtig hin“ kann ich noch weghören. Aber wenn es heißt „Wofür bist Du eigentlich hier?“ geht das schon ans Eingemachte. Wenn einem ständig vermittelt wird, man sei ein schlechter Schiedsrichter, strapaziert das schon die Nerven.
Woche für Woche werden Amateurschiedsrichter körperlich und verbal attackiert. Gleichzeitig verlieren immer mehr aktive Referees die Lust am Pfeifen. Wie finden Verbände und Klubs zu einem neuen Miteinander zwischen Spielern und Schiris?
Wie ging es im Spiel zwischen Treptow und Rahnsdorf weiter?
In der zweiten Hälfte gab ich dem bereits verwarnten Torwart nach einem Foulspiel außerhalb des Strafraums die Gelb-Rote Karte, da er eine klare Torchance verhindert hatte. Aber wie das so ist: Obwohl das Spiel sehr hitzig war, gelang Treptow in Unterzahl noch der Ausgleich. Der Anschlusstreffer resultierte aus einem Elfmeter, den wiederum die Rahnsdorfer nicht akzeptierten. Als kurz vor Spielende das 2:2 fiel, habe ich habe das Match in der 91. Minute direkt abgepfiffen. Sicher hätte man diskutieren können, dass ich noch vier, fünf Minuten nachspielen lasse, aber ich wollte es dann zu einem Ende bringen.
Was Ihnen erneut den Unmut der Akteure einbrachte.
Direkt nach Spielende kam der Assistent von Rahnsdorf auf mich zu. In den unteren Ligen stellte jede Mannschaft wegen Personalmangels einen Assistenten, der mir signalisiert, ob ein Ball im Seitenaus ist. Dieser Assistent war ein ganz junger Mann, vielleicht 19, 20 Jahre alt, er entschuldigte sich höflich und teilte mir im ruhigem Ton mit, er würde nach dieser Leistung beim Verband beantragen, dass dieser mir die Lizenz entziehen solle.
Starker Tobak.
In dem Fall hatten die Rahnsdorfer das Spiel aus der Hand gegeben, bis zu einem bestimmten Punkt konnte ich den Frust verstehen. Dann aber kam der Co-Trainer von Rahnsdorf aus ziemlicher Entfernung auf mich zugerannt und schrie, ich sei wirklich das Schlechteste, was er je gesehen habe.
„Nee, bei aller Liebe, das Match gerade war zu heftig“
Das war direkt nach dem Schlusspfiff.
Ich zeigte ihm daraufhin die Rote Karte, was er sinngemäß mit den Worten quittierte, wenn er jetzt eh vom Platz gestellt sei, könne er ja weitermachen. Später rief noch der Rahnsdorfer Trainer bei mir an und teilte mit, er wolle juristisch gegen den Platzverweis seines Assistenten vorgehen, da dieser angeblicherweise nichts davon mitbekommen habe.
Heißt: Sie wurden in einem Spiel von beiden Teams schwer angegangen.
Nachdem ich in der Kabine meinen Bericht geschrieben hatte, rief ich meinen Schiedsrichterbetreuer an und teilte ihm mit, dass ich aufhöre.
Hatten Sie zu dieser Angst, dass vor der Tür Sie noch Schlimmeres erwarten könne?
Angst nicht, nein. Witzigerweise ging die Tür auf und ein Vertreter einer Seniorenmannschaft fragte, ob ich nicht noch deren Spiel auch leiten könne.
Und Sie?
„Nee, bei aller Liebe, das Match gerade war zu heftig.“
Was bekommen Sie für so ein Spiel?
19 Euro Aufwandsentschädigung, sechs Euro Fahrtkosten.
Sie sind seit 2011 aktiver Schiedsrichter. Können Sie jetzt mit etwas Abstand sagen, was Sie zu Ihrer Entscheidung bewogen hat, eine Auszeit zu nehmen?
Die permanente Aggression, die ständigen Pöbeleien und dass keine meiner Entscheidung einfach mal angenommen wird. Das Fass zum Überlaufen brachte letztlich der Auftritt des Co-Trainers. Warum geht mich ein Mensch derart an? Im Spielbericht hatte ich gesehen, dass dieser Mann, der um einiges älter ist als ich, am Spieltag eigentlich als Schiedsrichterbetreuer vor Ort eingeplant war. Aber es hatte keinerlei Kontakt gegeben. Wissen Sie, ich arbeite beruflich bei der Polizei. Ich bin in meinem Job fast täglich mit dem Funkwagen auf der Straße unterwegs.
Wodurch Sie den Umgang mit Konfliktsituationen kennen.
Ja, aber die Frage ist doch, ob ich mir das als Hobby auch zumuten will.
Hat die Aggression auf dem Rasen zugenommen?
Ich weiß gar nicht, ob es ein Problem des Fußballs ist. Ich erkenne generell einen zunehmenden Mangel an Respekt im Umgang der Menschen.
Was würde Ihnen bei der Tätigkeit als Schiedsrichter helfen?
Unsere Mittel sind sehr begrenzt. Von der Verwarnung bis zur Roten Karte ist es ein weiter Weg. Wenn wir zwischendurch eine fünfminütige Zeitstrafe aussprechen könnten, wäre das ein gutes Druckmittel, um der gröbsten Aggression aus dem Weg zu gehen. Und es bliebe auch Zeit für den betreffenden Akteur, sich zu beruhigen.
„In der Kreisliga muss ich mich als Einzelkämpfer oft auf mein Bauchgefühl verlassen“
Gibt es sonstige Regelkorrekturen, die Ihnen helfen würden?
Eine größere Akzeptanz, dass ein Schiri auch beim Meckern konsequenter durchgreifen kann. Deniz Aytekin hat in der Bundesliga im September 2021 den Dortmunder Mo Dahoud für sein Abwinken die Gelb-Rote Karte gezeigt. Das gab einen großen Aufschrei. Aber nur weil es nicht jeden Spieltag konsequent von jedem einzelnen Schiedsrichter so umgesetzt wird. Ich fände es gut, wenn sich alle Akteure mehr vor Augen führen, wie ein Schiedsrichter empfindet.
Und sonst?
In der Kreisliga muss ich mich als Einzelkämpfer oft auf mein Bauchgefühl verlassen, gerade bei Abseitsentscheidungen. Da wäre es natürlich wünschenswert, mit Linienrichtern anzureisen. Aber das wird angesichts der gegenwärtigen Zahlen von aktiven Schiedsrichtern ein Wunschtraum bleiben.
Philip Matthes, nachdem Sie Ende Oktober 2021 aufgehört haben, sind Sie Ende März 2022 auf den Rasen zurückgekehrt. Was hat das Umdenken in Ihnen ausgelöst?
Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich auch aus Negativerfahrungen lerne kann und am Ende gestärkt daraus hervorgehen kann.