Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

247

Unsere aus­führ­liche Titel­ge­schichte zum Thema Gewalt gegen Ama­teur­schieds­richter lest ihr in 11FREUNDE #247. Unsere aktu­elle Aus­gabe bekommt ihr am Kiosk eures Ver­trauens oder direkt hier bei uns im Shop.

Philip Matthes, Sie haben gerade eine halb­jäh­rige Pause als Schieds­richter gemacht. Was ist pas­siert?
Schon seit län­gerer Zeit mache ich die Erfah­rung, dass die Pöbe­leien auf dem Platz zunehmen. Irgend­wann habe ich mir die Frage gestellt, ob ich dieses Hobby wei­terhin aus­führen möchte.

Waren Sie kon­kret mit Gewalt kon­fron­tiert?
Im Herbst 2019 lei­tete ich ein sehr schwie­riges Spiel in der Kreis­liga B. Ab einem bestimmten Zeit­punkt wurde fast jede meiner Ent­schei­dungen in Zweifel gezogen und ich wurde von Spie­lern und von der Sei­ten­linie teil­weise übel ange­gangen. Um die 70. Minute herum belei­digte mich ein Spieler derart, dass mir keine Wahl blieb. Als ich an meine Hosen­ta­sche griff, sagte er, wenn ich ihn jetzt vom Platz stelle, würde ich schon sehen, was ich davon habe. Als ich ihm darauf die Rote Karte zeigte, ging er auf mich los, wollte mich schlagen, wurde aber von Mit­spie­lern gerade noch zurück­ge­halten.

Diese Ereig­nisse waren aber nicht der Grund, dass Sie auf­ge­hört haben?
Nein. In dem Fall habe ich es hin­ge­nommen, auch wenn ich im Nach­hinein dachte, es wäre besser gewesen, das Spiel zu diesem Zeit­punkt abzu­bre­chen.

Was war dann der Aus­löser dafür, dass Sie Abstand brauchten?
Im Oktober 2021 lei­tete ich das Kreis­li­ga­spiel zwi­schen dem SV Treptow 46 gegen die VSG Rahns­dorf. Ich kannte ins­be­son­dere die VSG Rahns­dorf schon von frü­heren Spielen, bei denen es immer fried­lich lief. In der ersten Hälfte ging Rahns­dorf mit 2:0 in Füh­rung. Anfang der zweiten Halb­zeit gingen die Beschwerden und Pöbe­leien der Trep­tower zu weit. Ins­be­son­dere der Tor­wart ließ mir keine andere Wahl, als ihn zu ver­warnen.

Der Co-Trainer schrie, ich sei wirk­lich das Schlech­teste, was er je gesehen habe“

Wie muss man sich diese Beschwerden vor­stellen?
Ich unter­scheide zwi­schen dem kon­kreten Wort­laut und der Vehe­menz mit der eine Beschwerde vor­ge­tragen wird. Es gibt Leute, die spre­chen ganz ruhig mit mir, bringen ihren Ärger aber zum Aus­druck. Das kann ich im Zweifel ver­tragen. Aber wenn ich am Mit­tel­kreis stehe und jemand brüllt mich vom Straf­raum aus an und kommt dann auf mich zuge­stürmt, emp­finde ich das schon als aggressiv und mit­unter auch bedroh­lich.

Auf welche Sprüche reagieren Sie beson­ders sen­sibel?
Bei Sätzen wie Schiri, das war kein Abseits“ über Schau doch mal richtig hin“ kann ich noch weg­hören. Aber wenn es heißt Wofür bist Du eigent­lich hier?“ geht das schon ans Ein­ge­machte. Wenn einem ständig ver­mit­telt wird, man sei ein schlechter Schieds­richter, stra­pa­ziert das schon die Nerven.

An jedem verdammten Sonntag! Gewalt gegen Schiedsrichter

Woche für Woche werden Ama­teur­schieds­richter kör­per­lich und verbal atta­ckiert. Gleich­zeitig ver­lieren immer mehr aktive Refe­rees die Lust am Pfeifen. Wie finden Ver­bände und Klubs zu einem neuen Mit­ein­ander zwi­schen Spie­lern und Schiris?

Wie ging es im Spiel zwi­schen Treptow und Rahns­dorf weiter?
In der zweiten Hälfte gab ich dem bereits ver­warnten Tor­wart nach einem Foul­spiel außer­halb des Straf­raums die Gelb-Rote Karte, da er eine klare Tor­chance ver­hin­dert hatte. Aber wie das so ist: Obwohl das Spiel sehr hitzig war, gelang Treptow in Unter­zahl noch der Aus­gleich. Der Anschluss­treffer resul­tierte aus einem Elf­meter, den wie­derum die Rahns­dorfer nicht akzep­tierten. Als kurz vor Spie­lende das 2:2 fiel, habe ich habe das Match in der 91. Minute direkt abge­pfiffen. Sicher hätte man dis­ku­tieren können, dass ich noch vier, fünf Minuten nach­spielen lasse, aber ich wollte es dann zu einem Ende bringen.

Was Ihnen erneut den Unmut der Akteure ein­brachte.
Direkt nach Spie­lende kam der Assis­tent von Rahns­dorf auf mich zu. In den unteren Ligen stellte jede Mann­schaft wegen Per­so­nal­man­gels einen Assis­tenten, der mir signa­li­siert, ob ein Ball im Sei­tenaus ist. Dieser Assis­tent war ein ganz junger Mann, viel­leicht 19, 20 Jahre alt, er ent­schul­digte sich höf­lich und teilte mir im ruhigem Ton mit, er würde nach dieser Leis­tung beim Ver­band bean­tragen, dass dieser mir die Lizenz ent­ziehen solle.

Starker Tobak.
In dem Fall hatten die Rahns­dorfer das Spiel aus der Hand gegeben, bis zu einem bestimmten Punkt konnte ich den Frust ver­stehen. Dann aber kam der Co-Trainer von Rahns­dorf aus ziem­li­cher Ent­fer­nung auf mich zuge­rannt und schrie, ich sei wirk­lich das Schlech­teste, was er je gesehen habe.

Nee, bei aller Liebe, das Match gerade war zu heftig“

Das war direkt nach dem Schluss­pfiff.
Ich zeigte ihm dar­aufhin die Rote Karte, was er sinn­gemäß mit den Worten quit­tierte, wenn er jetzt eh vom Platz gestellt sei, könne er ja wei­ter­ma­chen. Später rief noch der Rahns­dorfer Trainer bei mir an und teilte mit, er wolle juris­tisch gegen den Platz­ver­weis seines Assis­tenten vor­gehen, da dieser angeb­li­cher­weise nichts davon mit­be­kommen habe.

Heißt: Sie wurden in einem Spiel von beiden Teams schwer ange­gangen.
Nachdem ich in der Kabine meinen Bericht geschrieben hatte, rief ich meinen Schieds­rich­ter­be­treuer an und teilte ihm mit, dass ich auf­höre.

Hatten Sie zu dieser Angst, dass vor der Tür Sie noch Schlim­meres erwarten könne?
Angst nicht, nein. Wit­zi­ger­weise ging die Tür auf und ein Ver­treter einer Senio­ren­mann­schaft fragte, ob ich nicht noch deren Spiel auch leiten könne.

Und Sie?
Nee, bei aller Liebe, das Match gerade war zu heftig.“

Was bekommen Sie für so ein Spiel?
19 Euro Auf­wands­ent­schä­di­gung, sechs Euro Fahrt­kosten.

Sie sind seit 2011 aktiver Schieds­richter. Können Sie jetzt mit etwas Abstand sagen, was Sie zu Ihrer Ent­schei­dung bewogen hat, eine Aus­zeit zu nehmen?
Die per­ma­nente Aggres­sion, die stän­digen Pöbe­leien und dass keine meiner Ent­schei­dung ein­fach mal ange­nommen wird. Das Fass zum Über­laufen brachte letzt­lich der Auf­tritt des Co-Trai­ners. Warum geht mich ein Mensch derart an? Im Spiel­be­richt hatte ich gesehen, dass dieser Mann, der um einiges älter ist als ich, am Spieltag eigent­lich als Schieds­rich­ter­be­treuer vor Ort ein­ge­plant war. Aber es hatte kei­nerlei Kon­takt gegeben. Wissen Sie, ich arbeite beruf­lich bei der Polizei. Ich bin in meinem Job fast täg­lich mit dem Funk­wagen auf der Straße unter­wegs.

Wodurch Sie den Umgang mit Kon­flikt­si­tua­tionen kennen.
Ja, aber die Frage ist doch, ob ich mir das als Hobby auch zumuten will.

Hat die Aggres­sion auf dem Rasen zuge­nommen?
Ich weiß gar nicht, ob es ein Pro­blem des Fuß­balls ist. Ich erkenne gene­rell einen zuneh­menden Mangel an Respekt im Umgang der Men­schen.

Was würde Ihnen bei der Tätig­keit als Schieds­richter helfen?
Unsere Mittel sind sehr begrenzt. Von der Ver­war­nung bis zur Roten Karte ist es ein weiter Weg. Wenn wir zwi­schen­durch eine fünf­mi­nü­tige Zeit­strafe aus­spre­chen könnten, wäre das ein gutes Druck­mittel, um der gröbsten Aggres­sion aus dem Weg zu gehen. Und es bliebe auch Zeit für den betref­fenden Akteur, sich zu beru­higen.

In der Kreis­liga muss ich mich als Ein­zel­kämpfer oft auf mein Bauch­ge­fühl ver­lassen“

Gibt es sons­tige Regel­kor­rek­turen, die Ihnen helfen würden?
Eine grö­ßere Akzep­tanz, dass ein Schiri auch beim Meckern kon­se­quenter durch­greifen kann. Deniz Aytekin hat in der Bun­des­liga im Sep­tember 2021 den Dort­munder Mo Dahoud für sein Abwinken die Gelb-Rote Karte gezeigt. Das gab einen großen Auf­schrei. Aber nur weil es nicht jeden Spieltag kon­se­quent von jedem ein­zelnen Schieds­richter so umge­setzt wird. Ich fände es gut, wenn sich alle Akteure mehr vor Augen führen, wie ein Schieds­richter emp­findet.

Und sonst?
In der Kreis­liga muss ich mich als Ein­zel­kämpfer oft auf mein Bauch­ge­fühl ver­lassen, gerade bei Abseits­ent­schei­dungen. Da wäre es natür­lich wün­schens­wert, mit Lini­en­rich­tern anzu­reisen. Aber das wird ange­sichts der gegen­wär­tigen Zahlen von aktiven Schieds­rich­tern ein Wunsch­traum bleiben.

Philip Matthes, nachdem Sie Ende Oktober 2021 auf­ge­hört haben, sind Sie Ende März 2022 auf den Rasen zurück­ge­kehrt. Was hat das Umdenken in Ihnen aus­ge­löst?
Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich auch aus Nega­tiv­erfah­rungen lerne kann und am Ende gestärkt daraus her­vor­gehen kann.