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Frank Wormuth, vor einigen Jahren ver­kün­deten diverse Zei­tungen aus Istanbul, dass Joa­chim Löw neuer Natio­nal­trainer der Türkei wird. Wie haben Sie damals reagiert?
Ich habe gelä­chelt.

Weil Sie wussten, dass die Nach­richt eine Ente ist?
1998 habe ich mit Joa­chim Löw eine Saison lang bei Fener­bahce Istanbul gear­beitet. Wenn wir jedes Mal gegen eine Zei­tung vor­ge­gangen wären, die ein frei erfun­denes Inter­view ver­öf­fent­lichte oder Gerüchte für Tat­sa­chen ver­kaufte, dann hätten wir nichts anderes mehr zu tun gehabt.

Erfun­dene Inter­views?
Es gab Tage, da kamen wir zum Trai­ning und ließen uns die Artikel von unserem Dol­met­scher über­setzen. Wir waren immer wieder erstaunt, wie viele Jour­na­listen Inter­views mit Jogi in den Zei­tungen unter­ge­bracht hatten, ohne je ein Wort mit ihm gewech­selt zu haben. Doch wir konnten und wollten uns damit arran­gieren. Wir ver­standen das als Eigen­heit der tür­ki­schen Pres­se­land­schaft, als Men­ta­li­täts­sache.

Joa­chim Löw bekam von vielen tür­ki­schen Jour­na­listen in dieser Zeit sehr viel Lob für seine offene und koope­ra­tive Art.
Er ist immer auf die Leute zuge­gangen. Umar­mung hier, Küss­chen dort. Manchmal dachte ich: Mensch Jogi, den brauchst du doch nicht auch noch umarmen, der tor­kelt ja direkt aus der Kneipe. Doch Jogi wusste um die Wich­tig­keit seiner Posi­tion. In der Türkei gibt es eine unge­schrie­bene Hier­ar­chie: Erst kommt der Staats­prä­si­dent, dann Fener­bahces Prä­si­dent, dann Fener­bahces Trainer.

Ihn hat es auch nicht gestört, wenn eine Tages­zei­tung mal wieder neue Trans­fers von Spie­lern ver­kün­dete, mit denen nicht mal gespro­chen wurde? In der Saison 1998/99 wurden in der Presse unter anderem Davor Suker, Jens Jere­mies, Patrick Klui­vert und Chris­tian Kar­embeu als Neu­zu­gänge vor­ge­stellt.
Nein. Man musste das Spiel nur ver­stehen. Einmal wun­derten wir uns etwa über einen Mann aus Saudi-Ara­bien, der vom Prä­si­denten in Eigen­regie gekauft worden war. Er kannte den Spieler nur von Video­auf­zeich­nungen. Später kam heraus, dass ein Jour­na­list den Kauf dieses Spie­lers gefor­dert hatte. Der Prä­si­dent kaufte ihn also, um sich mit der Zei­tung und diesem Schreiber gut zu stellen.

Wenige Tage nach Trai­nings­be­ginn for­derte der Prä­si­dent und eine Zei­tung bereits den Ver­kauf des Rumänen Viorel Mol­dovan. Ihn hatten Sie und Löw aber gerade erst gekauft, er war Ihr Wunsch­spieler gewesen…
…und er hatte im ersten Test­spiel kein Tor erzielt. Ein kleines Drama. Wir konnten ihn trotzdem halten. Er blieb zwei Jahre. (Mol­dovan erzielte in 52 Spielen 33 Tore für Fener­bahce, d. Red.)

Wie ist es damals über­haupt zu Ihrem Enga­ge­ment in Istanbul gekommen?
Jogi und ich haben 1982 zusammen beim SC Frei­burg gespielt. Wir spürten schon früh eine gewisse See­len­ver­wandt­schaft und so ent­wi­ckelte sich eine Freund­schaft, die über den Fuß­ball hin­aus­ging, wir fuhren auch gemeinsam in den Urlaub. Als Jogi das Angebot aus Istanbul bekam, fragte er mich, ob ich nicht mit­kommen wolle. Er wusste, dass ich seine Phi­lo­so­phie vom Fubßall teilte.

Was reizte Sie am tür­ki­schen Fuß­ball?
Zunächst war es vor allem inter­es­sant, mal eine Pro­fi­mann­schaft zu trai­nieren. Bis dahin war ich ja als Ver­bands­li­ga­trainer tätig, außerdem hatte ich gerade mein Sport­stu­dium beendet. Ich teilte Jogi am Anfang auch meine Zweifel mit und sagte ihm, dass ich über­haupt keine Ahnung vom tür­ki­schen Fuß­ball hätte. Er ant­wor­tete nur: Mach dir keine Gedanken, komm ein­fach mit!“ Ich bin heute sehr froh dar­über, denn das Jahr zeigte mir, dass ich auch mit gestan­denen Profis arbeiten konnte. 

Joa­chim Löw war zuvor beim VfB Stutt­gart ent­lassen worden. Angeb­lich soll er zu sanft für das Geschäft gewesen sein. Sein Spitz­name war Der nette Herr Löw“. Wollte er sich bei Fener­bahce neu posi­tio­nieren?
Jogi war nie der liebe und brave Trainer, zu dem er gemacht wurde. Er war zum einen sehr diplo­ma­tisch und ande­rer­seits nie­mals hys­te­risch. Eine wich­tige Gabe im Umgang mit Men­schen. Bestes Bei­spiel: Sein Jahr in Öster­reich. Er holte mit dem FC Tirol Inns­bruck 2002 die Meis­ter­schaft. Mit einer Mann­schaft, die im Durch­schnitt jen­seits der 30 war, mit Spie­lern, die mona­te­lang auf ihre Gehälter gewartet hatten. Dafür braucht es hohe soziale Kom­pe­tenz. 

Wie kom­mu­ni­zierten Sie bei Fener­bahce mit den Spie­lern? Konnten Sie Tür­kisch?
Die Anspra­chen in der Kabine waren auf Deutsch, ein Dol­met­scher über­setzte. Für die Kom­mu­ni­ka­tion auf dem Platz kannten wir die wich­tigen Wörter auf Tür­kisch: Schneller“, Tempo“, Auf geht’s!“. Erleich­ternd hinzu kam, dass fast alle Spieler ent­weder Deutsch oder Eng­lisch spra­chen.

Sie hatten keinen Sprach­un­ter­richt?
Ich habe mir mal ein Lehr­buch gekauft. Ich schlug es aller­dings sofort wieder zu, als ich mir die ersten Wörter ein­prägen wollte und merkte, dass diese eien Viel­zahl an Endungen haben. Dazu ver­zwei­felte ich am Satzbau. Heute denke ich ein biss­chen anders. Ein Trainer, der im Aus­land arbeitet, sollte die Lan­des­sprache spre­chen.

Nach nur einer Saison wurden Sie und Joa­chim Löw bei Fener­bahce wieder ent­lassen. Was war der Grund?
Das ist heute schwer zu sagen. Unser Ver­trag wurde ja wenige Wochen zuvor ver­län­gert. Man beschei­nigte uns gute Arbeit, auch wenn Fener­bahce am Ende der Saison nur auf Platz 3 lan­dete. Am letzten Spieltag erfuhren wir den­noch, dass wir unsere Koffer packen können. Dazu muss man wissen, dass es bei Fener­bahce ein rie­siges Gre­mium im Hin­ter­grund gibt, etliche Vize­prä­si­denten, dann den Prä­si­denten. Wer genau gegen uns votierte, weiß ich nicht.

Sie haben einmal gesagt: Wer die Türkei über­steht, steht über den Dingen.“
Wissen Sie, wenn nach der Türkei-Zeit jemand Wormuth raus“ schrie, kratzte mich das weniger. In der Türkei habe ich ganz andere Dinge erlebt. Alleine die letzten zwei Tage bei Fener­bahce. Einen Tag vor dem Spieltag begrüßte uns der Prä­si­dent noch über­schwäng­lich, Küss­chen links und rechts. Am Tag danach wür­digte er uns keines Bli­ckes mehr. Tür­ki­sche Fans sind eben unheim­lich emo­tional und zeigen dies auch immer. Mit der rechten Hand heben sie dich in den Himmel, und mit der linken Hand zerren sie an dir, immer abhängig vom Spiel­ergebnis. Das ist aber kein typisch tür­ki­sches Ver­halten, wenn ich sehe, was in Deutsch­land oft im Fuß­ball­ge­schäft pas­siert.

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Frank Wormuth ist heute Leiter der DFB-Fuß­ball­leh­rer­aus­bil­dung und Trainer der U20-Natio­nal­mann­schaft. Jeden Monat erklärt er in der 11FREUNDE-Fuß­ball­schule die Geheim­nisse de Fuß­balls.