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Arnd Zeigler, wie hat Thomas Schaaf sich von Ihnen ver­ab­schiedet?
Wir haben uns beim letzten Heim­spiel gegen Ein­tracht Frank­furt im Sta­dion begrüßt, aber da war es bekannt­lich noch kein Abschied, zumin­dest für mich nicht. Inwie­fern er schon etwas von den Ereig­nissen der kom­mende Tage ahnte, dar­über gibt es ver­schie­dene Ver­mu­tungen. Ich habe dann am Tag der Tren­nung lange über­legt, ob ich ihm eine SMS schreiben soll, weil ich mir sehr gut vor­stellen kann, dass ich da even­tuell nicht der ein­zige war. Habe ich dann aber doch getan, und am nächsten Tag hat Thomas sehr nett geant­wortet.

Thomas Schaaf stand bei Ihnen im Garten am Grill, Sie haben ihm ein his­to­ri­sches Wolf­gang-Rolff-Puzzle geschenkt, sogar bei ihm ein Pri­vat­trai­ning absol­viert. Mussten Sie weinen, als er nach 14 Jahren den Verein ver­ließ?
Beinah – und zwar, als ich am Tag nach dem Ent­schluss sein Abschieds­video an die Fans gesehen habe. Das war sehr emo­tional, tief und anrüh­rend. Und da konnte man ein­fach nochmal in zwei Minuten sehen, was ihn für uns Bremer so beson­ders gemacht hat und wes­halb wir ihn als Men­schen ver­missen werden.

Sie sind nicht als Schaaf-Kri­tiker berüch­tigt. Können Sie den­noch Fehler benennen, die er gemacht hat? 
Ich tue mich gene­rell schwer damit, Trai­nern fach­liche Fehler vor­zu­werfen. Ich habe keinen Trai­ner­schein, son­dern nur eine beschei­dene Fan-Sicht. Ich würde auch keinem Gefäß­chir­urgen sagen, wie er zu ope­rieren hat, und keinem Gourmet-Koch, wie er Boeuf Stro­ganoff würzen muss. Alle Ent­schei­dungen, die ein Trainer trifft, trifft er vor allem des­halb so, weil er die Spieler weitaus öfter sieht, als ich es von außen tue. Und jeder Trainer ist min­des­tens genauso am Erfolg der Mann­schaft inter­es­siert, wie ich es als Fan bin. Ich denke zwar auch über tak­ti­sche Fein­heiten und Auf­stel­lungen nach, finde aber dieses dumpfe Der Idiot von Trainer muss doch sehen, dass Spieler XY besser ist und spielen muss!“-Gebashe grund­sätz­lich recht anma­ßend. Nicht nur bezogen auf Thomas Schaaf. Ein gar nicht mal kleiner Teil der öffent­li­chen Kritik an ihm basierte auf einer Naja, irgendwas MUSS man ja ändern“-Grundlage. Auch das hat sich für mich nicht richtig ange­fühlt.

Er wollte mit Arn­au­tovic, Elia und de Bruyne an die Tage des Bremer Offen­siv­spek­ta­kels anknüpfen. Hat er es unter­schätzt, was es bedeutet, mit diesen Jungs in die Abstiegs­zone zu geraten? 
Da haben wir viel­leicht den ganz großen Fehler, für den Schaaf aber sehr wenig konnte: Werder hat in der Vor­runde bewiesen, dass die Mann­schaft auf hohem Niveau Fuß­ball spielen kann. Sie war oft­mals gegen starke Gegner die bes­sere Mann­schaft, in Dort­mund, auch auf Schalke. Die Spieler waren also nicht die Fal­schen. Aber die Mann­schafts­struktur hatte nichts Gewach­senes. Es wurde erzwun­ge­ner­maßen zuviel auf einmal geän­dert. Werder hat in gut zwei Jahren Per­sön­lich­keiten wie Wiese, Mer­te­sa­cker, Naldo, Marin, Frings, Borowski, Özil, Pizarro und Almeida ver­loren und durch junge Spieler ersetzt, die teil­weise bei ihren frü­heren Clubs vor­nehm­lich auf der Bank saßen, ihre erste Bun­des­li­ga­saison über­haupt spielten oder für den nächsten Ent­wick­lungs­schritt gestan­de­nere Neben­leute gebraucht hätten. Diese Spieler waren rar, und des­halb ist die Mann­schaft in der Rück­runde in einen Negativ-Sog geraten, aus dem sie sich man­gels Füh­rungs­per­sön­lich­keiten nicht mehr befreien konnte. Kapitän Cle­mens Fritz hat alles ver­sucht, war aber als ein­ziger lang­jäh­riger, erfah­rener Spieler um die 30 auf ver­lo­renem Posten.

Es heißt ja oft, ein Trainer erreiche seine Spieler nicht mehr. Das wollen wir Schaaf nicht unter­stellen – aber wie erreicht man eigent­lich zwei Typen, die sich vor dem Spiel gegen Lever­kusen nachts um drei auf der Auto­bahn blitzen lassen?
Dieses Er erreicht die Spieler nicht mehr“-Gefasel ist ein großes Ärgernis. Das kann nie­mand von außen beur­teilen, und es ist im Grunde nichts als ein Haus­frau­en­psy­cho­logie-Schein­ar­gu­ment, um eine Misere zu erklären, für die man keine bes­seren Erklä­rungen hat. Im Fuß­ball möchte man als Fan ein­fache Lösungen haben, wenn es nicht läuft. Oft sind sie aber kom­pli­ziert, leider. Ich weiß aus Wer­ders Mann­schaft, dass sicher nicht jeder ein enger per­sön­li­cher Freund des Trai­ners war, aber Schaaf hatte bis zuletzt den Rück­halt, den man braucht. Wer­ders Nie­der­lagen und Rück­schläge basierten in den letzten Monaten eher nicht auf tak­ti­schen Feh­lern oder fal­schen Auf­stel­lungen, son­dern auf haar­sträu­benden Feh­lern ein­zelner Spieler. So etwas hat nichts damit zu tun, dass ein Trainer irgend­je­manden nicht mehr erreicht. Die Sache mit Arn­au­tovic und Elia war eine große Ent­täu­schung, zumal in dieser kri­ti­schen Sai­son­phase. Aber sowas pas­siert in allen Ver­einen und hat nie was mit der Auto­rität des Trai­ners zu tun. Bei Real Madrid gab es unter Mour­inho auch Skan­dal­nu­deln, die näch­tens Autos demo­liert haben. Oder nehmen wir die berühmte Pizza-Affäre“ bei den Bayern, als Sven Scheuer und Mario Basler zu vor­ge­rückter Stunde unan­ge­nehm auf­ge­fallen sind. Das geschah unter Ottmar Hitz­feld, und der hat die Mann­schaft zu jeder Zeit ziem­lich gut erreicht, das lassen die Resul­tate zumin­dest ver­muten.

Was mag es für Schaaf bedeutet haben, dass sein Kom­pa­gnon Klaus Allofs im Herbst zum VfL Wolfs­burg wech­selte?
Man hat Schaaf und Allofs öffent­lich immer wie sia­me­si­sche Zwil­linge wahr­ge­nommen. Das trifft sicher auf Bereiche der Zusam­men­ar­beit zu, aber letzt­lich war jeder sein eigener Herr. Und Allofs hat diese Ent­schei­dung für sich so getroffen. Thomas Schaaf hat das akzep­tiert. Gefreut haben dürfte es ihn nicht.

Seit wann haben Sie geahnt, dass Schaafs Tage gezählt waren? Gab es einen spe­zi­ellen Moment?
Nein, der Abschied kam für mich sehr über­ra­schend. Natür­lich ist eine Tren­nung unter der­ar­tigen tabel­la­ri­schen Umständen im Grunde keine Sen­sa­tion. Ich habe aber gehofft, dass die Mann­schaft sich fängt und alle gemeinsam die Kurve kriegen. Der Schul­ter­schluss zwi­schen Fans, Team und Trainer nach der Nie­der­lage in Lever­kusen war so etwas wie ein High­light der Saison. Danach haben in zwei denk­wür­digen Heim­spielen alle Betei­ligten gemerkt, was man als Fan positiv bewegen kann, wenn man eine Mann­schaft bedin­gungslos unter­stützt. Das war für jeden, der an dieser Stim­mung mit­wirkte, eine Erfah­rung, die er in dieser Wucht noch nie gemacht hatte. Die Spieler wurden getragen, und ich hatte damals die viel­leicht etwas roman­ti­sche Hoff­nung, dass dadurch die Mann­schaft ins­ge­samt so befreit auf­spielt, dass alles ein gutes Ende nimmt. Mit Thomas Schaaf.

Schaaf wurde Amts­mü­dig­keit nach­ge­sagt. Wie wirkte er in den ver­gan­genen Monaten auf Sie?
Nie­mand von uns kann sagen, wie es genau in Thomas Schaaf aussah. Ich glaube nicht, dass seine Per­sön­lich­keits­struktur den Faktor Amts­mü­dig­keit“ vor­ge­sehen hat. Ich hätte aber in den letzten Wochen mit ihm nicht tau­schen wollen. Er hat sich ver­mut­lich mehr Gedanken über den Erfolg dieses Ver­eins gemacht als jeder andere Mensch auf der Welt, Tag und Nacht. Und die Kritik an ihm war zwar nach­voll­ziehbar, weil üblich. Die Art und Weise aber ließ oft jeg­li­chen Respekt und Anstand ver­missen. Und das hatte Thomas Schaaf nicht ver­dient. Des­halb: Ich weiß nicht, ob er amts­müde war. Aber wenn, hätte ich es gut ver­stehen können.

War die Tren­nung von Schaaf schlichtweg not­wendig, damit sich Thomas Eichin als neuer Manager pro­fi­lieren und einen Neu­be­ginn initi­ieren kann? 
Ich bin mir sehr sicher, dass die Tren­nung nicht dazu da war, Thomas Eichin als Manager zu pro­fi­lieren. Es war ja auch kein Allein­gang von ihm. Eine Tren­nung ist immer ein Risiko und eine Chance zugleich. Man kann Bewährtes unwie­der­bring­lich ver­lieren und von einer schlechten in eine sehr schlechte Situa­tion abrut­schen. Dafür gibt es genug Bei­spiele. Man kann aber im posi­tiven Fall auch ein Klima der Erneue­rung schaffen, das eine Auf­bruch­stim­mung erzeugt und die Ver­stei­ne­rung löst, die eine lange Phase des Miss­erfolgs bei jedem ein­zelnen Betei­ligten wachsen ließ. Darauf hoffe ich sehr.

Kann ein gebür­tiger Frei­burger, der bei Glad­bach gespielt hat und dann Manager bei einem Eis­ho­ckey­club war, ver­stehen, was genau der SV Werder ist? 
Ich hoffe es und traue es Eichin ohne jede Ein­schrän­kung zu. Er ist jetzt etwas über 100 Tage im Amt. Für jemanden, der von außen kam und ganz frisch in einen Tra­di­ti­ons­verein mit gewach­senen Struk­turen hin­ein­ge­riet, in dem er vom ersten Tag an eine Posi­tion aus­füllen musste, die Kom­pe­tenz und Auto­rität ver­langt, hat er bereits sehr viel erreicht und hin­ter­lässt einen tollen Anfangs­ein­druck. Die Dis­kus­sion um seine Eis­ho­ckey-Ver­gan­gen­heit ist in meinen Augen völ­liger Unsinn. Andere Per­sön­lich­keiten in ver­gleich­baren Jobs sind ganz ohne ver­gleich­bare Erfah­rung in der Bun­des­liga Manager geworden, haben in man­chen Fällen sogar selbst nie gespielt und machen den­noch einen her­vor­ra­genden Job. Und die Sache mit dem Stall­ge­ruch halte ich auch für einen schönen Gedanken, aber für nicht sehr rea­lis­tisch. Bei der Beset­zung eines ent­spre­chenden Pos­tens hat man als Fan immer die Sehn­sucht nach ehe­ma­ligen Spie­lern. In den Wochen der Sport­di­rektor-Suche fiel etwa der Name Rune Bratseth. Für jeden betag­teren Werder-Fan wie mich ist Rune eine gott­gleiche Person, aber wäre er wirk­lich auto­ma­tisch ein guter Sport­di­rektor? Bei ihm hätte nie­mand ver­mutet, er könne zu weit weg sein“, aber ist er nach zwanzig Jahren im gemüt­li­chen Nor­wegen nicht viel weiter von Werder Bremen ent­fernt als jemand, der in Köln als Sport­ma­nager und lang­jäh­riger Bun­des­li­ga­profi auf lange Sicht bewiesen hat, erfolg­reich arbeiten zu können?

Erklären Sie es uns noch mal: Was genau ist denn der SV Werder?
Ein Tra­di­ti­ons­verein, der unab­hängig von Erfolgen bun­des­weit einen seriösen, guten Namen hat. Das merke ich immer wieder, wenn ich beruf­lich im Land unter­wegs bin, und das bin ich oft. Der Verein steht für fuß­bal­le­ri­sche Werte, für han­sea­tisch-durch­dachtes Han­deln mit Augenmaß, das von außen manchmal als Zau­derei miss­ver­standen wird. Er hat es bisher her­vor­ra­gend ver­standen, sich auch in einer radikal ändernden Bun­des­liga-Szene treu zu bleiben. Wir hatten gerade eine 14-jäh­rige Trainer-Ära, unser Sta­dion heißt noch Weser-Sta­dion, Werder hat keine Schulden und wirt­schaftet nicht auf Pump. Das ist nicht so gut wie ein Cham­pions League-Sieg, fühlt sich aber auch gut an und ist ein Grund, immer ein wenig stolz zu sein.

Was macht Schaaf der­zeit? Steht er aus alter Gewohn­heit vor dem Fern­seher und macht Kur­bel­be­we­gungen, um seine Mann­schaft anzu­feuern?
Ich hoffe absolut, dass er jetzt erstmal run­ter­kommt und sich die Erho­lung geneh­migt, die er 14 Jahre lang nicht hatte und die er sich mehr als ver­dient hat.

Glauben Sie, dass er eines Tages zurück­kehren wird?
Ich wün­sche es mir. Ihn jetzt auf Bil­dern zu sehen fühlt sich für mich an wie nach dem Ende einer Bezie­hung alte Fotos anzu­schauen. Er war immer ein Teil von Werder Bremen und wird das auch bleiben. Und es wäre irgend­wann viel­leicht eine fol­ge­rich­tige Ent­wick­lung, wenn er in anderer Rolle in den Verein zurück­kehrt. Ich kenne keinen hier, der sich das nicht sehr wün­schen würde.

Man wird ihm doch wohl nicht die Schlüssel abge­nommen haben?
Jeder Bremer hat seinen Schlüssel. Immer. Den tragen wir im Stadt­wappen.

Schaaf besitzt ein Feri­en­haus in Salz­burg. Die Nähe zum Klub eines Brau­se­fa­bri­kanten löst bei man­chen Alb­träume aus. 
Schaaf wird bestimmt mal etwas Neues machen, aber im Moment ist das alles noch sehr frisch und wir können ihn uns nicht woan­ders auf der Bank vor­stellen. Unser alter Trainer im Klub des Brau­se­fa­bri­kanten ist sicher eine schreck­liche Vor­stel­lung, aber Thomas Schaaf auf der Bank des 1. FC Kai­sers­lau­tern oder bei Han­nover 96 würde für Werder-Fans momentan kaum weniger absurd aus­sehen.

Beim letzten Spiel in Nürn­berg bedankte sich die Mann­schaft auf eigens ange­fer­tigten T‑Shirts beim Coach – doch der war gar nicht mehr da
Ein ganz beson­derer Moment. Schaafs Platz auf der Trai­ner­bank blieb ja auch demons­trativ leer, weil Wolf­gang Rolff und Mat­thias Höner­bach ihm seinen Stuhl frei­ge­halten haben. Hätten auch noch Blumen auf dem Stuhl gelegen, hätte es wie nach einem plötz­li­chen Todes­fall aus­ge­sehen. So aber war es ein sehr respekt­voller, viel­leicht sogar lie­be­voller Abschied von jemandem, ohne den dieser Verein nie das geworden wäre, was er heute ist. Und anders als bei Reh­ha­gels Abschied 1995 geht mit Thomas Schaaf jemand, der zu 100 Pro­zent Werder Bremen ver­kör­pert. Das macht diese Zäsur noch einmal dras­ti­scher.

Hätten Sie sich gewünscht, dass Schaaf erst nach der Saison auf­hört? 
Natür­lich! Aber ich habe auch aller­größtes Ver­ständnis dafür, dass er sich das Blitz­licht­ge­witter und die klas­si­schen Fragen rund um dieses Spiel ein­fach nicht mehr antun mochte, zumal es ja auch um nichts mehr ging.

Schön wäre es doch gewesen, wenn er noch einmal in einer OLT-Maschine in Bremen landet, so wie 2004 nach der gewon­nenen Meis­ter­schaft. 
Die OLT ist seit Januar pleite. Auch das noch. Im Gegen­satz zu dieser Flug­ge­sell­schaft hat Thomas Schaaf sicher eine schö­nere Zukunft. Er ist ja immer noch jung.

Was bleibt von Schaaf? 
Seine Art, seine Aura, viele Erin­ne­rungen. Ein toller Mann, ein großer Bremer. Jemand, der unsere Stadt ver­kör­pert hat und uns des­halb so nahe war. Und jemand, der uns emo­tional berührt hat, aber gleich­zeitig Auto­rität aus­strahlte. Man hätte ihn sich als besten Kumpel ebenso vor­stellen können wie als gerechten, strengen Klas­sen­lehrer. Und viel­leicht ist das sein Geheimnis: Ver­bind­lich­keit, Herz und Nähe, gepaart mit Cha­rak­ter­fes­tig­keit, not­wen­diger Härte und dieser unnach­ahm­li­chen Knor­rig­keit, auf die er sicher ein Patent ange­meldet hat.

Schaaf war die große Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur. Wer kann die Lücke füllen?
Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­guren müssen wachsen. Schaaf war weder als Spieler noch als Trainer von Anfang an eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur. Er ist es geworden. Und nie­mand von uns weiß, ob nicht Robin Dutt, Özkan Yil­dirim oder Nils Petersen irgend­wann einmal auf ihre Art auch Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­guren sein werden. Nebenbei bemerkt: Nils Petersen ist auf einem sehr guten Weg dorthin. Er hat sich in schweren Zeiten immer sehr klug und dezi­diert zum Verein geäu­ßert, obwohl er nur aus­ge­liehen war. Er hat sehr viel soziale Kom­pe­tenz in seinen Aus­sagen, lässt eine rie­sige Iden­ti­fi­ka­tion durch­bli­cken und hat unge­wöhn­li­cher­weise in Zeiten seiner unklaren sport­li­chen Zukunft immer gesagt, nur bei Werder bleiben zu wollen, obwohl er hätte pokern und sich andere Ange­bote anhören können. Klasse!

Noch aber sticht aus der Mann­schaft nie­mand recht hervor. Wo sind Männer wie Micoud, Ismael, Mer­te­sa­cker, Frings? 
Als Thomas Schaaf kam, hatte Werder keinen Micoud und keinen Ismael oder Mer­te­sa­cker, son­dern brave Spieler wie Benken, Trares oder Flock. Das war damals eine graue Maus, viel grauer als wir es uns heute noch vor­stellen können. Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­guren kann man nicht züchten oder gezielt ein­kaufen. Siehe das Sta­nis­lawski-Expe­ri­ment in Hof­fen­heim. Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­guren müssen wachsen und Raum haben, sich zu ent­wi­ckeln. Micoud war in Bor­deaux oder Parma ein guter Spieler, aber kein Held. Das wurde er erst bei uns. Werder muss sich erst einmal als Mann­schaft neu finden und fes­tigen. Mit dem Erfolg kommen dann auch die Helden.

Haben Sie Angst, dass – wie nach dem dem Ende der Amts­zeit Otto Reh­ha­gels – sich nun auch wieder die Trainer die Klinke in die Hand geben?
Das möge Gott ver­hüten. In der Ära nach Reh­hagel ist unheim­lich viel falsch gelaufen, bedingt auch durch ein viel zu großes Vakuum, das sein Abschied hin­ter­lassen hat. Er hatte hinter sich Willi Lemke als pfif­figen Mar­ke­ting-Mann, aber keinen Sport­ma­nager im heu­tigen Sinne. Mit Thomas Eichin und Robin Dutt ist Werder nun gut auf­ge­stellt, könnte ich mir vor­stellen.

Ist es Ihnen damals, in der Ära de Mos/​Sidka/​Dörner/​Magath schwerer gefallen, Werder zu lieben?
Ich habe gelitten wie ein Hund. Das halbe Jahr unter Aad de Mos 1995 war ganz schlimm. Ein Ekel­paket von Mensch, der den häss­lichsten Fuß­ball spielen ließ, den ich je gesehen habe. Werder hatte pro Heim­spiel zwei Tor­chancen. Wenn der Gegner in Füh­rung ging, wusste man: Das war’s jetzt wieder. Starr, lang­weilig, sta­tisch. Und das, obwohl Werder damals groß­ar­tige Fuß­baller wie Baiano, Car­doso, Bode und Basler in seinen Reihen hatte. Aber die Liebe zum Verein wird dadurch nicht kleiner. Des­halb tun solche Phasen ja so weh. Ich bin genau in dieser Phase Werder-Mit­glied geworden. So!

Wenn Spieler und Trainer kommen und gehen: Was unter­scheidet den SV Werder dann noch vom VfB Stutt­gart oder gar vom HSV?
Das ist eine böse, aber auch inter­es­sante Fra­ge­stel­lung. Zwi­schen dem VfB und Werder gab es immer schon gewisse Par­al­lelen, auch wenn Werder etwas häu­figer in der Liga ganz oben mit­ge­spielt hat. Die größten Unter­schiede sieht man aber in der man­gelnden Kon­ti­nuität, wenn wir mal den HSV nehmen. Der hatte zeit­gleich zu Wer­ders Schaaf-Ära 14 Trainer, wenn man die Inte­rims­trainer mit­zählt und ich richtig gezählt habe. Die Sport­di­rek­toren und Manager seit Günter Netzer kriege ich nicht mehr zusammen, und wie genau der Verein struk­tu­riert ist, das wirkt auf uns Bremer manchmal sehr aben­teu­er­lich. Davon sind wir weit ent­fernt und bleiben es hof­fent­lich auch in Zukunft.

In den Tage nach der Ent­las­sung wurden illustre Namen gehan­delt, Wol­litz, Scholl, sogar Effen­berg. Wie kann es denn sein, dass der jah­re­lang so ruhige Verein über Nacht zum Gegen­stand wil­dester Gerüchte wurde?
Für die Gerüchte kann der Verein ja nichts. In Zeiten von Face­book und Twitter kann man jedes noch so dus­se­lige Gerücht wider jede Ver­nunft am Leben erhalten. Bei Mehmet Scholl wurde das zu einem Run­ning Gag, zu einer wahren Neu­rose. Selbst ver­meint­lich seriöse Men­schen über­boten sich mit dem wei­teren Aus­schmü­cken eines Non­sens-Hoaxes. Am Ende hatte Scholl acht Häuser in ver­schie­denen Stadt­teilen gemietet und gekauft, selbst Makler prahlten damit, für ihn eine Woh­nung zu suchen. Er wurde beim Anmelden seiner Kinder im Kin­der­garten beob­achtet, es wurde getu­schelt, welche Firma ihm soeben die Ein­rich­tung gelie­fert habe. Ein groß­ar­tiges Trash-Hap­pe­ning der Phan­tasie. Ich finde es, nebenbei bemerkt, sehr kin­disch und respektlos, sol­chen Mist mit­zu­ma­chen. Wer immer in den letzten Wochen Freude an der Wei­ter­ver­brei­tung der von Anfang an absurden Scholl-Räu­ber­pis­tole hatte, sollte sich viel­leicht ein schönes Hobby suchen und was Sinn­volles tun.

Nur mal ein Gedan­ken­spiel: Wenn Effe tat­säch­lich Werder-Trainer geworden wäre, dann…
… hätten wir wenigs­tens nicht Mat­thäus auf der Bank gehabt.

Kann Robin Dutt, der am Mitt­woch vor­ge­stellt wurde, nun der neue Papa der Werder-Familie werden?
Ich wün­sche es mir. Ich muss gestehen, dass ich ihn vorher nur aus dem Fern­sehen kannte und eher als unnahbar und kühl emp­funden habe. Das wäre nach Thomas Schaaf ein abso­lutes Kon­trast­pro­gramm gewesen. Aber bei seiner Vor­stel­lung hat er einen tollen Ein­stand gehabt, sich sehr gut ver­kauft und ist sym­pa­thisch rüber­ge­kommen. Seitdem habe ich ein sehr gutes Gefühl mit ihm.

Was wird er ändern, was wird er bei­be­halten?
Fragen Sie ihn selbst. Der schon erwähnte Aad de Mos wollte 1995 nach eigener Aus­sage im Ver­gleich zu Reh­hagel nur wenig ändern und ganz viel bei­be­halten, hat dann aber das genaue Gegen­teil getan. Das rich­tige Maß ist wichtig. Es werden sich Dinge ändern müssen, aber es gibt auch Stärken, die man aus­bauen kann. Er wird da schon seine Vor­stel­lungen haben.

Welche Ziele sind für Werder in den kom­menden Jahren erreichbar?
Die Mann­schaft muss sich jetzt erstmal finden und sta­bi­li­sieren. Es werden ein paar neue Spieler kommen müssen, und vor­han­dene Spieler werden sich weiter ver­bes­sern. Ich glaube, dass die Eigen­ge­wächse wie Mie­litz, Kroos, Yil­dirim oder Füll­krug sehr viel Poten­zial haben. Wenn alle jungen Spieler einen Schritt nach vorne machen, die Neu­ein­käufe passen und der Trainer in Bremen funk­tio­niert, dann sollte die obere Tabel­len­hälfte das Nah­ziel sein. Dazu kommen Spieler, die zuletzt weit unter ihren Mög­lich­keiten gespielt haben. Das muss ja nicht so bleiben. Werder sor­tiert sich hinter Bayern, dem BVB, Lever­kusen und Schalke mit ein. Und wirt­schaft­lich gehört der VfL Wolfs­burg dort oben uner­reichbar mit hin. Wenn es per­fekt läuft kann Werder also Fünfter werden, so wie wir das in der abge­lau­fenen Saison in Frank­furt und Frei­burg beob­achten konnten.

Aber wird die Schale je wieder nach Bremen kommen? 
Als ich Werder-Fan wurde, lan­dete das Team jedes Jahr ganz knapp vor den Abstiegs­plätzen, und ich hätte mir nie vor­stellen können, jemals einen Meis­ter­titel zu feiern. Dann sind wir abge­stiegen und haben gegen Bocholt, Erken­sch­wick und Union Solingen um Punkte gespielt. Die Reh­hagel-Ära ließ dann Träume wahr­werden, die vorher unvor­stellbar waren. Unter de Mos, Dörner oder Sidka waren Titel­ge­winne dann wieder Licht­jahre ent­fernt, bis Thomas Schaaf kam. Man weiß nie, was pas­siert. Im Augen­blick ist ein anderer Meister als Bayern Mün­chen erst einmal ohnehin nicht vor­stellbar. Warten wir es ab. Es geht im Fuß­ball immer um lang­fris­tige Ent­wick­lungen und um Rich­tungen, die ein­ge­schlagen werden. Manchmal dauert ein sol­cher Weg lange, und man braucht einen langen Atem. Bis dahin habe ich übri­gens eine Bana­nen­schale anzu­bieten, die ich Jürgen Klopp 2011 ver­liehen habe und die seitdem in meinem Tief­kühl­fach liegt.

Ist auch Dutt einer, mit dem man im Garten grillen kann? 
Da bin ich mir sehr sicher. Man kann mit ihm aber bestimmt auch gut ein Tan­doori Chi­cken essen. Sein Vater ist ja Inder. Ich bin da für alles offen.

Müssen Sie auf­passen, dass Sie ihn nicht mit Thomas“ anspre­chen? 
Dar­über habe ich auch schon nach­ge­dacht. Mein Traum wäre übri­gens: Robin Dutt kommt hier blen­dend klar, wir lieben ihn schon nach wenigen Spielen, und er wird in Bremen rasch hei­misch, um dann 14 Jahre zu bleiben. Und bei jedem Heim­spiel feiern die Werder-Fans aus alter Gewohn­heit Thomas Schaaf. Mei­net­wegen immer in der 14. Spiel­mi­nute, wegen der 14 Jahre. Dar­über sollten wir mal nach­denken.