Als wäre nicht schon genug los, kämpft der DFB auch an der Basis mit Problemen: Die Zahl der Jugendmannschaften nimmt weiter ab. Die Liste der Gründe ist lang, vor allem aber das Schulsystem steht im Konflikt mit dem Vereinsfußball. Nun sollen neue Konzepte den Jugendfußball retten.
Der Deutschen Fußballbund befindet sich aktuell in einer schwierigen Zeit. Nicht nur auf höchster Instanz schwelen Konflikte, auch an der Basis zeichnet sich ein großes Problem ab: Im Jugendbereich gibt es immer weniger Mannschaften. Zwischen 2018 und 2019 verschwanden fast 4000 Teams von der Bildfläche – das entspricht gut 4,5 Prozent aller gemeldeten Jugendmannschaften. Es gibt zwar immer noch gut 89.000 U‑Teams in Deutschland, jedoch bestätigt sich der Trend der letzten Jahre: Immer weniger Jugendliche haben Lust, aktiv Fußball zu spielen – zumindest im Verein und im Freien.
Dabei sind nicht alle der 21 Landesverbände gleich stark betroffen. Während der Landesverband Brandenburg sogar ein Mini-Plus von drei Mannschaften meldet, treten in den übrigen Verbänden weniger Mannschaften im Ligabetrieb an. Die großen Landesverbände Westfalen und Bayern sind besonders stark betroffen. Bundesweit ist die Anzahl der gemeldeten Mannschaft um ganze 18 Prozent zurück gegangen. 2,1 Millionen Jugendliche Mitglieder verzeichnen die Vereine, auch hier ein Verlust von neun Prozent verglichen mit dem Jahr 2009 – das geht aus einer DFB-Statistik hervor.
Zahlen, die auch den Verantwortlichen im Landesverband Südwest bekannt sind. Auch hier verloren Vereine in den letzten Jahren kontinuierlich Mannschaften. Andreas Hölscher, DFB-Stützpunktkoordinator beim SWFV, weiß um die Schwierigkeiten – vor allem im B- und A‑Jugendalter. Hier sind laut DFB-Statistik die höchsten Drop-Out-Quoten zu erkennen: Rund 20 Prozent der Jugendlichen in diesen Altersklassen kehren in dieser dem Vereinsfußball den Rücken zu. „Ich sehe da auch ein gesellschaftliches Problem. Es herrscht eine Schnelllebigkeit, viele Spieler bleiben nicht dran und betreiben Hobby-Hopping“, sagt Hölscher gegenüber 11FREUNDE. Außerdem erlebten viele Jugendliche ihre Abenteuer heute zuhause am Bildschirm.
Der Konflikt zwischen der Konsole und dem Sport im Freien ist kein neues Problem. Auch beim Bremer Fußballverband beschäftigen sich die Verantwortlichen schon seit Jahren mit der Thematik. Seit 2011 organisieren sie hier einen Führungsspielertreff mit Vertreter*innen der Jugendmannschaften und sprechen über die Erwartungen der Spieler*innen an Verein und Verband. Vor allem die Verträglichkeit von E‑Sport und Vereinssport wird dort diskutiert. „Wir haben deshalb ein Pilotprojekt gestartet, bei dem zehn Vereine mit Spielkonsolen ausgestattet wurden. Die Jugendlichen können im Verein zocken und davor oder danach dem üblichen Training auf dem Sportplatz nachgehen“, erklärt Jurij Žigon, Vorsitzender des Jugendausschuss im Bremer FV. Neben dem klassischen Zocken würden Medienschulungen angeboten und Medienkompetenz vermittelt. Für Andreas Hölscher sind beide Sportarten nicht auf eine Stufe zu stellen: „Als Ergänzung kann der E‑Sport sicherlich dienen, aber den klassischen Fußball kann er nicht ersetzen.“
Die Liste der Ursachen für den Rückgang der Jugendteams ist lang: zu wenige oder unqualifizierte Trainer in den Vereinen, überambitionierte Eltern und ein zu hoher Erfolgsdruck belasten Kinder und Jugendliche. Andere Sportarten machen dem Fußball Konkurrenz. Auch das Thema Zeit spielt eine Rolle.
Vor allem das G8-System an Deutschlands Schulen sorgt für eine große Belastung bei den Schüler*innen. Im Umkehrschluss leiden Vereine unter der mangelnden Freizeit ihrer Jugendspieler*innen. Teilweise bis 17 Uhr sitzen Nachwuchskicker*innen unter der Woche in der Schule. Danach warten Heimweg, Lernen, eventuell Hausaufgaben. All das trägt zum Konflikt zwischen Schule und Vereinsfußball bei: Das Training am frühen Abend wird für viele zur zeitlichen Belastung.
Carsten Busch vom Westfälischen Fußballverband sieht hier eines der größten Probleme: „Gerade was die Basis angeht, haben ein verändertes Freizeitverhalten und der G8-Unterricht maßgeblich dazu beigetragen, dass wir rückläufige Zahlen der fußballspielenden Kinder verzeichnen müssen. Es gibt heute wesentlich mehr Möglichkeiten als zu meiner Jugendzeit, seine Freizeit zu gestalten. Handy, Tablets und soziale Medien spielen eine große Rolle. Und da ist ein Verein ein weiterer Ansprechpartner, aber nicht mehr der wichtigste.“
Perspektivisch müsse man sich Gedanken machen, den Trainingsbetrieb an die Schule zu verlagern, heißt es aus den Verbänden. Schon heute würden vielerorts lizenzierte Trainer Nachmittagsbetreuungen an den Bildungseinrichtungen übernehmen. Kleinere Reformen tragen auch schon Früchte: In Bremen haben sie die Verantwortlichen mit den Vertreter*innen der Jugendteams darauf verständigt, keine Spiele der A‑Jugend vor sonntags 13 Uhr anzupfeifen. „Das bringt den Spielern mehr Freizeit. Wir können beobachten, dass die meisten Spiele jetzt Freitagabend oder Samstagmittag ausgetragen werden. Das kommt gut an.“
Auch neue Spielformen in den unteren Jahrgängen werden aktuell diskutiert. Ziel ist es, die Spielanteile und Erfolgserlebnisse von Kindern zu erhöhen und so den Drop-Out in der Altersklasse der Sieben- bis Neunjährigen so zu verringern. Es sollen mehr Tore fallen und alle Spieler sollen eingesetzt werden. Unter anderem dadurch versprechen sich die Verantwortlichen mehr Spaß beim Spiel und wieder wachsende Mitgliederzahlen bei den Jüngsten.
Zum Thema Jugendfußball war ein Kongress in Frankfurt geplant. Dort sollten Vereinsvertreter und DFB-Funktionäre unter andrem über die Kompatibilität von E‑Sport und Fußball, die neuen Spielformen in den unteren Jugendmannschaften und Lösungen zum Konflikt mit Bildungseinrichtungen beraten. Der Kongress wurde – wie aktuell fast alle Großveranstaltungen – aufgrund des Coronavirus abgesagt.