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Jörg Blüth­mann, Sie waren der erste Wessi im Ost­fuß­ball. Wie kam es denn dazu?
Ich spielte für die Rei­ni­cken­dorfer Füchse und wollte eigent­lich zu Han­nover 96. Das zer­schlug sich aber. Dann nahm Stahl Bran­den­burg Kon­takt auf.

War Ihr Wechsel kein Kul­tur­schock?
Ost­berlin kannte ich, aber die DDR nicht. Die Ver­hand­lungen liefen in Berlin, aber vor der Unter­schrift wollte ich das Trai­nings­ge­lände sehen. Ich fuhr nach Bran­den­burg – und war geschockt.

Warum?
Auf dem Weg kam ich an einem alten Stahl­werk vorbei. Fünf rie­sige Schlote, die schwarzen Rauch in die Luft bliesen. Alles war dunkel und schmutzig, kaputt und roch seltsam. Bei Stahl gab es ein Wohn­haus am Sta­dion, da sollte ich ein Zimmer bekommen. Ich ging einen Schritt in das Haus und drehte sofort um.

Trotzdem blieben Sie. Warum?
Wegen der Herz­lich­keit der Men­schen. Ich wurde mit offenen Armen emp­fangen. Und die Trai­nings­an­lage war toll. Also pen­delte ich jeden Tag 75 Kilo­meter.

Viele Ost­fuß­baller wurden von West­klubs abge­worben. Haben Sie diese Gold­grä­ber­stim­mung mit­be­kommen?
Gün­ther Netzer war oft da, er hatte Kon­takte nach Bran­den­burg. Ansonsten waren die Manager eher bei anderen Klubs, denn Stahl war damals dafür bekannt, Spieler zu haben, die in anderen Klubs negativ auf­ge­fallen waren.

Was meinen Sie?
Ein Mit­spieler wurde aus Berlin nach Bran­den­burg dele­giert, weil er oft hand­feste Aus­ein­an­der­set­zungen mit seiner Frau hatte und eines Tages betrunken und mit einer Stich­wunde im Bauch bei der Polizei stand. Ein anderer kam aus Jena, weil er sich in der Frie­dens­be­we­gung enga­giert hatte. Bei zwei anderen hatte es den Vor­wurf der ver­suchten Ver­ge­wal­ti­gung gegeben.

Du lieber Himmel.
Eine unglaub­liche Kano­nen­truppe. Es war keine Sel­ten­heit, dass noch am Vor­abend der Spiele ein paar Biere getrunken wurden. Mit der Zeit hat sich eine Gruppe von fünf oder sechs Spie­lern her­aus­kris­tal­li­siert, die dem Feiern nicht abge­neigt war und an den Wochen­enden immer mit zu mir nach West­berlin kam. Ich musste sogar Schlüssel nach­ma­chen lassen, weil die Jungs immer noch wei­ter­ziehen wollten, wenn ich schon ins Bett ging.

Klingt nicht nach Leis­tungs­sport.
Quatsch, die Mann­schaft war sen­sa­tio­nell. Steffen Freund, Timo Lange, Eber­hard Janotta, der junge Roy Präger. Wir wurden Achter und qua­li­fi­zierten uns für die zweite Liga.

Trotzdem gab es Pro­bleme.
Im Winter kamen noch zwei Wessis, der eine oder andere war plötz­lich nicht mehr gesetzt und es wurde unruhig. Gerüchte machten die Runde, ich würde mehr ver­dienen, wor­aufhin einige Mit­spieler meinen Ver­trag sehen wollten. Als unser Prä­si­dent der For­de­rung nachkam, war mir klar, dass ich nicht bleiben würde.

Haben Sie denn mehr ver­dient?
Ich habe vom Verein eine kleine Summe bekommen, und noch mal eine grö­ßere vom Stahl­werk. Dort war ich ali­bi­mäßig als Schlosser ange­stellt. Mein Gehalt holte ich bar im Stahl­werk ab. Die Scheine waren so frisch, dass sie anein­an­der­klebten. So habe ich jeden Monat ein paar hun­dert Mark mehr bekommen.

Würden Sie den Schritt wieder gehen?
Die Zeit war sen­sa­tio­nell. Diese in Trüm­mern lie­gende Repu­blik zu sehen, die Sta­dien, die Städte, und dann die Herz­lich­keit der Men­schen, das hat mich sehr berei­chert. Es war ein Aben­teuer.